viel Gluck … Und das werdet ihr brauchen, wenn die Idioten hier das Sagen haben.«
»PFLANZ DEINEN SCHWARZEN NIGGERARSCH SOFORT WIEDER AUF EINEN STUHL, ODER ICH MACHE DICH AUF DER STELLE KALT!«
Detroit achtet nicht auf ihn.
Gavin zieht seinen Revolver.
Detroit geht weiter.
Die gesamte Versammlung holt tief Luft, als Gavin die Waffe hebt und auf den Hinterkopf von Detroit zielt.
Der Schuss saugt die Luft aus dem Raum. Er ist so laut, dass die Wande wackeln. Eine Frau schreit auf. Die Kugel grabt sich in den Hinterkopf des Schwarzen. Detroit wird nach vorne geschleudert und landet auf dem Verkaufsautomaten. Brian, der direkt daneben steht, zuckt zusammen. Der Mechaniker prallt auf den kalten Stahl, wird zuruckgeworfen und sackt dann zu Boden. Das Coca-Cola-Logo ist mit seinem Blut beschmiert. Rote Spritzer kleben an der Wand daruber und an der Decke.
Noch ehe die vielen Schreie verklingen und das Echo des Schusses verhallt, passieren mehrere Dinge auf einmal. Beinahe gleichzeitig springen drei Gemeindemitglieder auf – zwei Manner mittleren Alters sowie eine Frau um die drei?ig – und rennen zum Ausgang. Brian sieht ihnen wie in einem Traum hinterher. Es rauscht noch immer in seinen Ohren, und seine Augen sind geblendet. Er nimmt kaum die absonderlich ruhige Stimme des Majors wahr, die jegliche Reue vermissen lasst und in der keinerlei Gefuhl mitschwingt, als sie den zwei Gardisten Barker und Manning befiehlt, die Fliehenden zu schnappen. Au?erdem sollen sie den Rest zusammentreiben, »der sich da drau?en wie feige Kakerlaken verkriecht«, denn Gavin will, dass jeder, der noch Blut in den Adern hat, seine Worte hort. Die beiden Nationalgardisten rennen aus dem Gerichtssaal und lassen eine fassungslose, gelahmte Gruppe von funfundzwanzig Einwohnern zuruck, den Major und … Brian.
Fur Brian dreht sich alles, als Gavin seine Waffe wieder ins Halfter steckt und einen triumphierenden Blick auf den leblosen Korper des Schwarzen wirft, als ob es sich um eine Trophae handeln wurde. Dann dreht er sich um und schlendert nach vorne zum Rednerpult zuruck. Jetzt hat er die Aufmerksamkeit, die er wollte, und er scheint jede Sekunde davon zu genie?en. Brian merkt kaum, wie er droht, an jedem Weichei ein Exempel zu statuieren, das auch nur daran denkt, das Leben der Einwohner von Woodbury in Gefahr zu bringen, indem er sich auf eigene Faust auf und davon machen will. Solche verdammten Besserwisser gehorten ausgerottet. Diese Zeiten sind nach Gavin etwas ganz Besonderes. Sie wurden schon in der Bibel beschrieben und prophezeit. Tatsache sei, dass sie es vielleicht mit dem Weltuntergang zu tun hatten. Jeder Einwohner von Woodbury musse es endlich in seinen dicken Schadel bekommen, dass dies womoglich die letzte Schlacht zwischen Satan und der Menschheit sei. Und Gavin hochstpersonlich sei von nun an der gottverdammte Messias.
Die durchgedrehte Predigt dauert zwar kaum langer als eine Minute, doch in dieser kurzen Zeit durchlauft Brian Blake eine Metamorphose.
Wahrend er wie versteinert neben dem alten Verkaufsautomaten steht und das Blut des erschossenen Mannes unter seine Schuhsohlen lauft, wird Brian Blake klar, dass er keine Chance in dieser Welt hat, wenn er seinem bisherigen Verhaltensmuster folgt: namlich jedem Streit aus dem Weg gehen, Gewalt vermeiden, sich Gefahren entziehen. Scham erfullt ihn und nimmt von ihm Besitz. Er erinnert sich an seine erste Begegnung mit den wandelnden Toten. Es war in Deering bei seinen Eltern, Millionen von Lichtjahre entfernt. Sie stolperten hinter dem Gerateschuppen hervor, und Brian versuchte, mit ihnen zu reden, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Er warnte sie, sich von ihm fernzuhalten, und bewarf sie mit Steinen, ehe er zuruck ins Haus fluchtete, die Fenster verbarrikadierte, sich in die Hose machte und generell wie ein Feigling auffuhrte, der er schon immer gewesen war und immer sein wurde. Doch in diesem kurzen, furchterlichen Augenblick, in dem Gavin seine gesammelten Weisheiten uber die Einwohner von Woodbury ergie?t, schie?en ihm samtliche Erinnerungen an seine Feigheit und Unentschlossenheit auf dem langen Weg ins westliche Georgia durch den Kopf. Hat er denn nichts gelernt? Zuerst versteckte er sich in der Abstellkammer im Haus in Wiltshire Estates, sein erster erlegter Zombie im Haus der Chalmers war eher so etwas wie Zufall, und standig lag er seinem Bruder in den Ohren, nervte ihn mit seiner Schwache und unnutzen Angstlichkeit. Plotzlich aber begreift Brian mit einem Schmerz, der sein Herz fast zerbersten lasst, dass er das alles nie und nimmer allein uberleben wird. Jetzt, da Major Gavin die traumatisierten Menschen vom Rednerpult aus herumkommandiert, ihnen beinahe unmenschliche Pflichten aufburdet und ihnen neue Regeln unterbreitet, spurt Brian, wie sich sein normales Verhalten gleich einem Schmetterling verabschiedet, der seinen Kokon verlasst. Zuerst wunscht er sich noch, dass Philip hier ware, um ihn zu beschutzen – wie er es seit Beginn der Plage getan hat. Wie wurde Philip mit Gavin umgehen? Was wurde er tun? Es dauert nicht lange, ehe sich diese Sehnsucht in einen akuten Schmerz um Philips Verlust verwandelt. Es qualt ihn wie eine offene Wunde, und das scharfe Schwert der Trauer durchschneidet sein Innerstes. Er stutzt sich an dem blutbesudelten Verkaufsautomaten ab und spurt, wie sich seine Seele von seinem Korper wie von einem urweltlichen Klumpen Erde lost, um den Mond zu formen. Ein Schwindelanfall droht, ihn zu Boden zu rei?en, aber ehe Brian wei?, wie ihm geschieht, hat er seinen Korper verlassen. Sein Bewusstsein schwebt jetzt uber seinem Leib. Er ist ein gespenstischer Zuschauer, der in diesem luftarmen, stinkenden, uberfullten Versammlungsraum im alten Gerichtsgebaude von Woodbury auf sich selbst hinabschaut und sich beobachtet.
Und Brian wachst weiter uber sich hinaus.
Jetzt sieht er sein Ziel vorne am Rednerpult, circa zehn Meter von ihm entfernt.
Er staunt, wie sein Korper einen Schritt nach vorn macht, weg von dem Verkaufsautomaten, seine Hand nach der Waffe in seinem Gurtel greift und sich seine Finger um dessen Griff legen, wahrend Gavin weiterhin Befehle brullt und vor den Grundungsvatern der Stadt auf und ab stolziert.
Brian schaut zu, wie er drei weitere Schritte auf den Hauptgang zugeht und gleichzeitig die Waffe in einer eleganten, flie?enden Bewegung aus dem Gurtel zieht. Er halt die Achtunddrei?iger an der Seite, macht einen vierten Schritt. Jetzt ist er nur noch funf Meter von Gavin entfernt und bekommt endlich dessen Aufmerksamkeit. Der Major halt inne und schaut auf. Brian hebt die Waffe und leert das gesamte Magazin der todlichen Hohlspitzgeschosse in Gesicht und Oberkorper von Major Gavin.
Wieder herrscht Unruhe unter den Anwesenden, aber diesmal schreit niemand auf.
Alle sind schockiert, jedoch niemand starker als Brian. Er steht einen scheinbar unendlich langen Augenblick wie angewurzelt im Hauptgang. Seine Waffe ist noch immer nach vorne gerichtet, obwohl sie jetzt leer ist. Er scheint keine Kontrolle mehr uber seinen ausgestreckten Arm zu haben. Major Gavins Uberreste liegen zusammengesackt auf dem Boden vor der Wand. Sein Oberkorper ist teilweise durchlochert wie ein Sieb, und aus Hals und Kopf sprudelt dunkelrotes Blut in oligen Blasen.
Der Bann ist gebrochen, als das Gerausch quietschender Stuhle und das Aufstehen von Personen an Brians Ohren dringen. Er lasst die Waffe sinken und schaut sich um. Einige der Anwesenden treten zum Rednerpult, andere starren Brian an. Einer der Manner kniet sich neben Gavins Leiche, macht sich aber nicht die Muhe, nach dem Puls zu suchen oder Erste Hilfe zu leisten. Der Mann namens Martinez geht auf Brian zu.
»Nimm das nicht personlich, Kumpel«, meint Martinez mit rauer und ernster Stimme. »Aber es ware sicher ratsam, wenn du von hier abhaust.«
»Nein.« Brian spurt, dass seine Seele wieder zu ihm zuruckgekehrt ist. Er fuhlt sich so, als ob man ihn neu gebootet hatte.
Martinez starrt ihn an. »Hier wird die Holle los sein, sobald seine Gorillas zuruckkommen.«
»Das wird schon«, antwortet Brian, greift in seine Tasche holt das Magazin hervor und ladt die Waffe. Obwohl er keinerlei Ubung darin hat, bewahrt er eine ruhige Hand. Er steht jetzt mit beiden Beinen felsenfest auf dem Boden. »Wir sind ihnen zahlenma?ig bei weitem uberlegen.«
Einige der Anwohner Woodburys haben sich um den Verkaufsautomaten versammelt, vor dem der Leichnam des Mannes namens Detroit liegt. Dr. Stevens sucht noch nach dem Puls, als Brian jemanden leise weinen hort. Er dreht sich zu der Gruppe um.
»Wer von euch ist bewaffnet?«, fragt er.
Ein paar Manner strecken die Hande in die Luft.
»Bleibt bei mir.« Dann eilt er durch die fassungslosen Anwesenden zum Ausgang, stellt sich unter dem Portal auf und blickt durch das Sicherheitsglas hinaus in den windigen, bewolkten Herbstnachmittag.
Selbst durch die Scheibe ist das untrugliche Drohnen der Zombies aus der Ferne zu horen, das der Wind herubertragt. Aber fur Brian hort es sich jetzt irgendwie anders an. Getrennt durch die behelfsma?igen Barrikaden, durch nichts weiter als durch dunne Bretter, Blech und Drahtzaun von der hartnackigen, kleinen Gemeinde Uberlebender abgegrenzt, scheint die allgegenwartige Symphonie aus Achzen und Stohnen – so schrecklich und