Ein paar Tage danach lie? Stalin den Marschall Michail Nikola-jewitsch Tuchatschewskij erschie?en und mit ihm eine Reihe anderer hoher Offiziere, weil sie Spione seien. Aber nur unbequem waren sie ihm, und einfach war es, das Unbequeme aus dem Weg zu raumen.

Stalin, der Mann, der jetzt gegen die Deutschen kampfte, ihre Armeen aufhalten wollte, Ru?land zu retten versuchte und Leningrad zu einer riesigen Festung werden lie?.

Vier Jahre erst war das her, man soll's nicht glauben. Es war das letztemal, da? Stalin das Bernsteinzimmer besucht und bewundert hatte.

Im Morgengrauen begann die deutsche Artillerie wieder zu schie?en. Die Granaten verschonten das Schlo?, schlugen in der Stadt Puschkin ein, durchlocherten die Stra?en und Wege nach Leningrad, verfolgten die zuruckgehenden sowjetischen Truppen. Die Panzer der 1. Panzerdivision rollten auf Puschkin und den Katharinen- Palast zu, erreichten ohne Widerstand den Stadtrand von Puschkin und fuhren die breite, schone Allee zum Palais hinauf.

Michael Wachter verlie? sein Bernsteinzimmer, stellte sich wieder unter den Sauleneingang, so wie er in der Nacht Oberst Limonow nachgeschaut hatte. Sein Herz tat ihm weh, als er die graugrunen Stahlkolosse auf sich zurasseln sah, die Geschutzturme mit dem schwarzwei?en Balkenkreuz. Die Kommandanten der Panzer standen in den hochgeklappten Luken und starrten auf den herrlichen Palast, als erlebten sie ein Marchen. Vor der gro?en Treppe hielten sie, kletterten aus den Turmen, sprangen auf den Boden und kamen, Pistolen in der Hand, auf Wachter zu. Ein Offizier, der an der Spitze lief, blieb vor Wachter stehen und stie? ihm den Lauf seiner Waffe gegen die Brust. Die anderen Soldaten sturmten an ihnen vorbei ins Schlo?.

«Was stehst du hier rum?«fuhr ihn der Offizier an.»Wo sind die anderen? Wo Russki?«

«Ich bin kein Russe, Herr Hauptmann«, sagte Wachter ruhig und furchtlos.»Ich bin ein Deutscher wie Sie. Willkommen in Zarskoje Selo — «

Am Nachmittag waren die Sale und Prunkzimmer, die Wirtschaftsraume und Gesindezimmer, die Schlafgemacher der Zaren und die Bibliotheken voller Menschen in deutschen Uniformen. Von allen Seiten waren sie gekommen, um Quartier in diesem Palast zu nehmen, der zum Schonsten gehorte, was in Ru?land je gebaut worden war. Vor allem die Stabe mit ihren hohen Offizieren zogen in das Schlo? ein und belegten die prunkvollsten Raume. An die herrlichen geschnitzten und mit Gold verzierten Turen hammerten Soldaten die handgeschriebenen Pappschilder ihrer Einheiten, mit Richtungspfeilen von links oder nach rechts, mit Namen der Kommandeure oder auch nur Schreibstube oder WuG, was soviel hie? wie Waffen und Gerate.

Funf Stabe richteten sich hauslich im Katharinen-Palais ein: Der Stab des XXVIII. Armeekorps, der Stab der 16. Armee, der Stab des XLI. Panzer-Korps und die Stabe der 96. und 121. Infanterie-Division. Die SS-Polizei- Division und die I. Panzer-Division, die Puschkin als erste erreicht hatten, waren weitergezogen und verfolgten die sowjetischen Truppen. Das Gedrohne der Geschutze lag wie ein ferner Donner uber dem Land, unter dem Himmel brummten die deutschen Bombergeschwader nach Leningrad.

Michael Wachter hatte aufgeatmet, als die SS-Division an dem Schlo? vorbei zum Nordteil der Stadt Puschkin zog, wo sich die letzten Rotarmisten wehrten, ein armseliger Riegel, der nur den Zweck verfolgte, Zeit zu gewinnen, die Stunden hinzudehnen, denn jede Stunde bedeutete ein Stuck Graben, eine Bunkerwand, eine Geschutzstellung mehr im Verteidigungsring um Leningrad.

Am 16. September 1941 war das Bernsteinzimmer in deutscher Hand, aber es stand noch unversehrt hinter den schutzenden Holztafeln und Pappstreifen. Der Krieg war daruber hinweggerollt… und es lebte noch.

Ein glucklicher Mensch war Michael Wachter in diesen Stunden.

Am 17. September war auch der Nordteil von Puschkin von den sowjetischen Truppen geraumt worden. Die SS-Polizei-Division marschierte in die Stadt, der nachruckende Stab erschien vor dem Katharinen-Palast, um hier ebenfalls sein Hauptquartier einzurichten. Mit Schrecken starrte Wachter auf die Uniformen mit dem Totenkopf. Zum ersten Mal sah er SS-Offiziere und SS-Soldaten jener deutschen Division, die zur Elite gerechnet wurde und von der vor dem Krieg und erst recht jetzt im Krieg so viel geschrieben worden war. Gefurchtet waren die Manner mit dem Totenkopf, sie waren von allen deutschen Truppen am besten ausgerustet, eine geballte Faust, deren Schlag Vernichtung hie?.

Ein SS-Gruppenfuhrer — dem Rang eines Generals entsprechend — stieg die Stufen der gro?en Treppe hinauf, wahrend der Stab vor dem Portal vorfuhr und wie zu einer Parade eine peinlich ausgerichtete Reihe von Fahrzeugen bildete. Noch hatte der SS-General nicht einmal die Halfte der Treppe erstiegen, da erschien im Eingang des Palais der Kommandeur des XXVIII. Armeekorps und hob, kurz gru?end, die Hand an sein Mutzenschild. Der SS-Gruppenfuhrer erwiderte mit ausgestrecktem Arm, mit dem Hitlergru?.

«Ich nehme an, Herr Kamerad«, sagte der Kommandeur e> was steif —,»Sie haben die Absicht, hier Ihren Stab einzuquartieren.«

Der SS-Gruppenfuhrer blieb auf der Treppe stehen, warf einen schnellen Blick auf die imposante Fassade des Schlosses und nickte.

«Braunfeld«, stellte er sich vor.»Heinrich Braunfeld.«

Der Panzergeneral lachelte mokant. Ausgerechnet Braunfeld, dachte er, und dann Befehlshaber einer SS- Division. Und Heinrich hei?t er auch noch, wie sein Chef Heinrich Himmler. Kompletter geht's nicht mehr.

«Von Kortte«, sagte er noch steifer.»Ich bedaure, Ihnen sagen zu mussen, da? wir fur einen neuen Stab keinen Platz mehr haben.«

SS-Gruppenfuhrer Braunfeld blickte wieder die Schlo?fassade entlang und schuttelte den Kopf. Was will er, dachte er. Dieser Affe mit den roten Streifen an der Hose!» Das Schlo? ist gro? genug. Sie wollen doch nicht sagen, da? Ihr Stab uber hundert Zimmer braucht.«

«Es befinden sich zur Zeit funf Stabe im Katharinen-Palast. Dazu die gesamten Trosse, morgen kommen die Werkstatten von zwei Panzerkorps hinzu. Ich empfehle Ihnen, sich im benachbarten Alexander-Palais einzurichten. Es ist noch verhaltnisma?ig schwach belegt. «General von Kortte hob wie bedauernd die Schultern.»Gruppenfuhrer, es tut mir leid. Der jetzige Hausherr des Schlosses, Generaloberst Busch, Befehlshaber der 16. Armee, hat diese Anordnung getroffen.«

«Ich mochte Busch sprechen!«Braunfeld fuhlte sich wie gegen den Bauch getreten. Und er sagte einfach» Busch«, respektlos, flegelhaft, rude, wie von Kortte es nannte.

«Der Generaloberst ist beschaftigt«, antwortete er kuhl.»Bitte fahren Sie weiter zum Alexander-Palais.«

«Sie werfen einen SS-Stab hinaus?!«Braunfeld holte tief Atem.»Herr von Kortte, das wird Folgen fur Sie haben. Es wird dem Reichsfuhrer-SS gemeldet werden! Ihre Behandlung e-ner kampfenden Truppe ist unerhort! Sie horen noch von vorgesetzter Stelle.«

SS-Gruppenfuhrer Braunfeld drehte sich um und stieg gru?los die Treppe hinunter. Was er an seinem Wagen zu seinem Stabschef sagte, konnte von Kortte nicht verstehen. Er sah nur, wie der SS-Offizier, ein Standartenfuhrer, den Kopf in den Nacken warf, einen musternden Blick hinauf zu von Kortte warf und dann wieder in den Wagen stieg. Braunfeld folgte ihm. Zehn Minuten spater war der Platz vor dem Sauleneingang wieder leer. Zuruck blieb nur ein gro?er Olfleck… einer der Wagen mu?te ein Leck in der Olleitung haben.

Michael Wachter stand noch immer neben der Eingangstur, als von Kortte den Palast wieder betreten wollte.

«Ich danke Ihnen, Herr General«, sagte er in seinem harten Deutsch, stockend und sichtlich bewegt. General von Kortte blieb erstaunt stehen.

«Wofur?«fragte er abgehackt und sah Wachter an.

«Sie haben die SS vom Schlo? ferngehalten.«

«Das geht Sie nichts an!«Von Korttes Stimme wurde scharf. Er kniff die Augen zusammen, es sah aus, als ziele er auf Wachter.

«Es waren noch genug Raume frei, Herr General.«

«Das geht Sie uberhaupt nichts an!«

«Bestimmt nicht.«

«Also, was wollen Sie?«

«Ihnen nochmals danken, da? Sie das Bernsteinzimmer gerettet haben.«

General von Kortte, der sich schon abgewandt hatte, um das Schlo? zu betreten, drehte sich wieder um.»Das Bernsteinzimmer! Ist das der mit Holz verschalte Saal, in dem Sie immer herumsitzen?«

«Ja, Herr General.«

«Und die ganzen Wande sind aus Bernstein?«

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