«Alles, Herr General. Die Wande, die Figuren, die Girlanden, die Turumrahmungen, die Gemalderahmen, die Blumen und Zweige… alles aus Bernstein.«

«Donnerwetter!«Von Kortte war beeindruckt.»Das mussen Sie mir mal zeigen. Wie hei?en Sie?«

«Michael Wachter.«

«Das ist ja ein deutscher Name.«

«Ich bin Deutscher, Herr General.«

«Und arbeiten bei den Bolschewiken?«

«Seit 225 Jahren, Herr General.«

«Donnerwetter!«Von Korttes Stimme gluckste vor Vergnugen.»Sieht man Ihnen gar nicht an, dieses Alter. «Er lachte uber seinen eigenen Witz, nur drei Sekunden lang, dann wurde er wieder ernst.»In Kunstdingen bin ich ein Banause«, sagte er offen.»Bernsteinzimmer… habe ich noch nie gehort. Ist es in Kunstkreisen bekannt?«

«Es gehort zu den gro?ten und wertvollsten Kunstwerken uberhaupt. Es ist unersetzlich. So etwas wird es nie wieder geben.«

«Und da glauben Sie, da? man an ma?geblicher Stelle das nicht wei?? Da? Ihre Bretter noch einen Sinn haben… jetzt, wo Puschkin in unserer Hand ist und es auch fur immer bleiben wird? Es wird nicht lange dauern, und eine Kommission von Kunstsachverstandigen wird kommen, die Bretter wegrei?en und Aha! und Oho! rufen. Man wird herumtelefonieren zum Fuhrer, zu Reichsleiter Bormann, zu Au?enminister von Rib-bentrop, zu Reichsmarschall Goring, zu Reichsleiter Rosenberg — kennen Sie uberhaupt die Namen?«

«Nur Hitler und Goring, Herr General. Hier auf Puschkin lebten wir sehr fur uns allein. Uns interessierte Deutschland kaum.

Wir hatten unsere Arbeiten im Schlo?, die Pflege der vielen Raume, Mobel, Boden und Teppiche, die Ausbesserungen au?en und innen, die Garten… was ging uns an, was au?erhalb des Katharinen-Palastes geschah?«

«Das ist ein weitverbreiteter Fehler, mit Scheuklappen herumzulaufen und nur in eine Richtung zu sehen. «General von Kortte ging zuruck in die prunkvolle Eingangshalle mit ihren marmornen Figuren, der wunderschonen Treppe, den bemalten Stuckdecken und dem einzigartigen eingelegten Boden. Wachter folgte ihm dichtauf. Von Korttes Reden hatten ihn nicht beruhigt, im Gegenteil, seine Sorge hatte neue Nahrung bekommen und wuchs um sein Herz herum.

«Sie meinen, Herr General«, sagte er stockend,»da? Hitler oder Goring oder die anderen…«

«Ich meine gar nichts. «Von Kortte blieb wieder stehen und lie? Wachter um sich herumkommen.»Au?erdem ist meine Meinung vollig gleichgultig. Es gilt allein die Meinung des Fuhrers.«

«Was will Hitler mit dem Bernsteinzimmer?«

«Wenn es so einzigartig ist, wie Sie sagen, Wachter, stellt es eine wertvolle Kriegsbeute dar. Wir haben im Reich Museen genug, um es dort aufzubauen. Mann, Sie haben mein Interesse geweckt. Wann kann ich das Zimmer ohne die Verschalung sehen?«

«Ich werde morgen eine Vertafelung freilegen lassen.«

«Sehr gut. «General von Kortte nickte, als zwei junge Offiziere durch die Halle rannten und dabei stramm gru?ten.»Was ich noch fragen wollte: Wo ist das Personal des Schlosses geblieben? Sie waren doch nicht allein hier.«

«Geflohen, Herr General.«

«Vor uns geflohen?«Von Kortte zog die Stirn kraus.»Vor uns braucht doch keiner zu fliehen!«

«Die Frauen hatten Angst, da? sie vergewaltigt werden.«

«Von uns? Von unseren Soldaten?!«Die Stimme des Generals wurde laut und wirkte wieder wie zerhackt.»Ein deutscher Soldat ist ein ehrenhafter Mann! Wir sind doch keine Mongolen Dschingis-Khans! Ich wunsche, da? die Frauen zuruckkommen und das Schlo? weiter in Ordnung halten.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich von Kortte wieder um und stieg die Marmortreppe hinauf zu den Salen„in denen sein Stab arbeitete. Fur sich selbst hatte er den Chinesischen Saal ausgewahlt, ein Prunkstuck mit bemalten Wanden und Turen und geschnitzten asiatischen Mobeln. Der Fernmeldetrupp schien dafur keine Augen gehabt zu haben. In die Wande hatte man Klammern fur die Telefonleitungen geschlagen und Locher zu den Nebenraumen gebohrt. Hier waren die Dienststellen des Oberquartiermeisters, des Ia und des Ib und die Schlafzimmer der Stabsoffiziere.

Michael Wachter sah von Kortte nach und wischte sich mit der rechten Hand uber sein Gesicht. Er wurde nicht klug aus dem General. Man konnte mit ihm reden, und plotzlich war er wieder zugeknopft und eisig wie eine Marmorstatue. Wie's auch sei… er hatte nicht zugelassen, da? die SS das Schlo? besetzte. Allein schon das war eine mutige und gute Tat, fur die man ihm dankbar sein sollte.

Am nachsten Morgen war alles anders.

In der Nacht waren zwei Kompanien Infanterie von der Front zuruckgekommen. Sie waren verdreckt, ubermudet, vom schnellen Vormarsch zermurbt. Neue, frische Kompanien hatten sie abgelost. Nun nahmen sie im Schlo? Quartier und belegten die noch freien Raume.

Wachter hatte sie nicht kommen horen, er schlief in seiner Wohnung im Nebentrakt, an deren Tur man ein Pappschild mit der Aufschrift Verwaltung genagelt hatte. Dadurch blieb er ungestort, konnte seine Wohnung behalten und wurde nicht belastigt. Erstaunt stellte er fest, welch ein kleines Wunder solch ein Schild hervorbringen konnte. Niemand kummerte sich darum, was hinter der Tur geschah… das Schild allein genugte. Es war etwas Amtliches. Ein guter Deutscher hatte davor Respekt und keine Fragen mehr.

Als Michael Wachter zu seinem Bernsteinzimmer kam, blieb er zunachst betroffen stehen und starrte auf die herrliche Tur. Auch hier hatte man ein Pappschild aufgenagelt, bemalt mit einer groben Schrift. Belegt von 2. Kp. stand darauf, und man hatte einen derben zweizeiligen Nagel benutzt, um den Fetzen anzuheften. Der gro?e Nagel sa? mitten in den Schnitzereien und vergoldeten Girlanden.

Wachter atmete tief durch, ri? die Tur auf und sturmte in das Zimmer. Zwei Landser waren gerade dabei, ein Stuck der Holzverschalung loszurei?en, um zu sehen, was sich dahinter versteckte. Die Mehrzahl aber ag herum, schlief auf den im Zimmer abgestellten oder herangeschleppten kostbaren Sesseln, Liegen und Kanapees. Sie wetzten mit ihren schmutzigen, erdverkru steten Stiefeln uber die Brokat- und Seidenbezuge, rauchten und warfen die Kippen in den Sand, der den unersetzbaren Parkettboden bedeckte. Zwei andere Landser, die gerade eine Pappverkleidung heruntergerissen hatten, standen einen Augenblick wie erstarrt vor dem Glanz, den sie freigelegt hatten.

In einem Rahmen aus leuchtendem Bernstein, Intarsien von Sonnengelb bis zum warmen Braun, Mosaike, aus denen man Blutenranken und Medaillons geschnitzt hatte, hing das Gemalde einer idealisierten Landschaft, mit romischen Saulen und bogenformigen Ruinen, eingebettet in eine sanfte Hugellandschaft, wie sie in der Toskana zu finden war. Eine gemalte Ode des Vergil.

«Det is'n Ding!«sagte einer der Landser begeistert.»Da bring ick meener Erna 'ne Handvoll mit. Allet Bernstein, meine Fresse!«

Er zuckte sein Seitengewehr, stie? die Spitze in das Mosaik, bohrte und brach ein gro?es Stuck aus der Wand.

Mit drei langen Satzen sturzte sich Wachter auf den Soldaten, gerade, als dieser grinsend sagte:»Erna war schon imma scharf auf Bernstein. Kameraden, det is hier ja wie'n Goldbergwerk.«

«Zuruck!«brullte Wachter. Er entri? dem Landser das Seitengewehr, schleuderte es weg, packte ihn an den Schultern und stie? ihn von der Bernsteintafel weg.

«Na, na, wat is denn?«sagte der Landser verblufft. Dann erst begriff er, da? man ihn angegriffen hatte, da? sein Seitengewehr mitten im Saal im Sand lag und da? es auch noch ein

Zivilist war, der ihm einen Sto? versetzt hatte, ein alterer Mann in einem abgeschabten Anzug.»Hast wohl 'ne Meise, Opa?!«schrie er und ballte die Fauste wie ein Boxer.»Nu halt man dein Kinn fest…«

Aber er kam nicht dazu, seinen Schlag anzubringen. Der zweite Landser, der hinter Wachter stand, hieb mit dem Knauf seines Seitengewehres, weit ausholend, dem anscheinend Verruckten auf den Kopf, zweimal hintereinander, wahrend die anderen Soldaten aus ihren Sesseln und Kanapees hochzuckten.

Michael Wachter spurte den zweiten Schlag schon nicht mehr. Ein scharfer Schmerz durchfuhr ihn bis hinunter zu den Zehen. Jetzt bin ich tot, konnte er noch denken, dann fiel er in eine bodenlose Schwarze, in der es kein Denken mehr gab.

In ihrer Erdhohle wartete Jana Petrowna auf das Erscheinen der deutschen Truppen. In einem dichten Gebusch hatte sie das Fahrrad versteckt, das ihr der Adjutant von General S-nowjew gegeben hatte, ein ziemlich

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