Tee.

«Auch das werden wir noch finden. Wie dumm sie sind! Machen auf sich aufmerksam.«

«Du solltest zuruck nach Puschkin fahren, Vater«, sagte Nikolaj.

«Jetzt? Gerade jetzt? Wo denkst du hin, Sohnchen?!«Wachter schlurfte wieder einen Schluck Tee.»Ha! Sag es, sprich dich aus: Angst hast du…«

«Ja, Vater, um dich. Wenn sie dich erschie?en…«

«Und wenn sie dich erschie?en? Gro?ere Angst mu?te ich haben! Eine Frau hast du, zwei Kinderchen …du solltest nach Hause fahren. Ein alter Mann bin ich. Ja, jetzt sag ich's selbst! — und mein Leben liegt hinter mir. Was kann man noch verlieren? Wenn es nutzt, Sohnchen, das Bernsteinzimmer zu finden… erschie?en sollen sie mich, und du wirst sie verfolgen, Nikolaj, wirst sie zwingen, das Versteck zu verraten, und dann wird es wieder aufgebaut im Katharinen-Palast und alle Welt wird die Hande falten vor soviel Schonheit. Dann hat das Sterben doch einen Sinn gehabt, nicht wahr, Sohnchen? Fur einen Wolf ist eine Blutspur immer die beste — «

«Schone Worte, schone Reden…«Nikolaj schlug mit der Faust auf den Tisch.»Zuruck nach Leningrad fliegst du!«»Nein!«»Sei nicht so storrisch, Vaterchen.«

«Mich stellt man nicht in eine Ecke!«

«Verdammt! Willst du unbedingt ein Bernsteinzimmer-Martyrer werden?«

«Hor dir das an, Wassilissa, hor dir das an! So beleidigt ein Sohn seinen Vater! So erhebt er seine Stimme gegen ihn! Was soll man tun? Traurig sein oder ihn schlagen? Will mich entfernen, jetzt, wo ich das Zimmer fast greifen kann! Jetzt bekommt er Angst, am Ende, am Ziel… sieh nur seine Augen an! Wie ein Ochse im Gewitter schaut er drein! Nikolaj Michaj-lowitsch, nicht ein Wortchen mehr will ich davon horen. Wassi-lissa, was sagst du dazu?«

«Du solltest auf Nikolaj horen, ist meine Meinung.«

«Wegfliegen nach Leningrad?«

«Ja… so schnell wie moglich.«

Mit einem langen Blick betrachtete Wachter seinen Sohn und die so kluge Jablonskaja, schuttelte wie in gro?er Wehmut den Kopf, stand auf und verlie? das Zimmer. In seinem Schlafraum setzte er sich aufs Bett, holte seine alte Reise-Ikone vom Bord, stellte das geoffnete Triptychon auf seine Knie und fuhr mit dem Zeigefinger uber die Figur des segnenden Christus.»Herr, la? mich jetzt nicht allein«, sagte er leise.»Vor der Erfullung meines Lebens stehe ich. La? sie mich noch erleben.«

Es war wirklich ein Zufall, da? Friedrich Silbermann nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus die New York Times des Tages zu lesen bekam, an dem die Suchanzeige darin erschien. Seit einer Stunde erst zuruckgekehrt in seine Wohnung in Wurzburg, klingelte es an seiner Tur, und als er offnete, standen ein Major und ein Captain der US-Army vor ihm.»Kommen Sie rein!«sagte Silbermann und machte die Tur frei. Auf den ersten Blick erkannte er, da? es Manner vom Geheimdienst waren. Zu lange war er selbst dabeigewesen, um nicht sofort zu erkennen, wen er vor sich hatte.

Der Major und der Captain betraten die Wohnung, ohne sich vorzustellen, und hatten sie es getan, waren es falsche Namen gewesen.

«Es freut mich, da? Sie gekommen sind«, sagte Silbermann freundlich.»Whiskey? Nein? Es ist echter Bourbon, Gentleman. Nicht? Bitte, setzen Sie sich. Lassen Sie mich raten, warum Sie gekommen sind: Sie wollen sich fur Ihren Verein entschuldigen. Stimmt's? Ich wei? nur nicht, wer's war… das OSS oder das CIC? Und ich fragte mich immer wieder in diesen Wochen: Warum nur Stichverletzungen! Warum nicht einen sicheren Stich ins Herz oder eine Kugel zwischen die Augen? Zu meiner Zeit hat man da sauberer gearbeitet.«

«Ich wei? nicht, Fred, wovon Sie reden«, sagte der Major ungeruhrt. Silbermanns Worte zeigten keine Wirkung.»Wir ha-ben von diesem Uberfall auf Sie gehort, und wir sind hier, weil wir Sie noch immer als einen der Unseren betrachten. Wir wollen Ihnen helfen.«

«Die Fursorge des OSS ist ruhrend. «Silbermann go? sich einen Bourbon ein.»Wie soll mir geholfen werden?«

«Zunachst mit einem Rat: Kehren Sie in die Staaten zuruck.«»Ich bin Dozent in Wurzburg und fuhle mich hier wohl.«»Warum reden wir so dumm herum, Fred. «Der Captain, ein forscher junger Mann, beugte sich im Sitzen vor.»Was Sie hier in Deutschland tun, wissen wir genau.«

«Naturlich, das ist ja auch Ihre Aufgabe.«

«Mu? das sein?«

«Ja. Oder wissen Sie, wo das Bernsteinzimmer geblieben ist?«

«Es geht hier nicht um dieses dumme Zimmer, Fred!«sagte der Major argerlich.»Die Regierung mochte, da? endlich das Gerede aufhort, unsere Truppen hatten 1945 Kunstschatze geklaut wie die Elstern. Immer wieder kommt das in der deutschen und internationalen Presse hoch. Wir stehen schlechter da als die Russen! Hier, lesen Sie nachher mal durch, was man so alles uber den Nazischatz schreibt, den wir mitgenommen haben sollen!«Der Major warf eine New York Times auf den Tisch, beugte sich nach vorn, nahm Silbermann das Glas aus der Hand und trank den Bourbon aus.»Wenn jetzt auch Sie, Fred, noch einen gro?en Rummel um dieses Bernsteinzimmer machen, hort das Gerede nie auf.«

«Es wird keinen Rummel geben… ich werde lautlos suchen.«»Angenommen, Sie entdecken das Bernsteinzimmer.«

«Das ware der Triumph meines Lebens.«

«Was dann? Dann sto?en Sie aber in die Posaune, damit wie damals die Mauern von Jericho einsturzen. Nur ist's nicht mehr Jericho, sondern Washington! Fred, wir haben Ihre Berichte von 1945 studiert. Danach sind die zwanzig Kisten zusammen mit drei Trucks und drei GIs verschwunden. Verantwortlich waren also wir.«

«Das stimmt. Ich habe das damals als eine personliche Niederlage empfunden, und die will ich nun aus meinem Leben streichen. Das kann doch jeder verstehen.«

«Naturlich, Fred… aber die Zeiten und die Politik haben sich seitdem grundlich verandert. Der Osten ist der gro?e schwarze Mann, und wir mussen sauber sein, ganz sauber. Dieser ha?liche Fleck durch den Kunstraub mu? weg, Fred. Machen Sie ihn nicht noch gro?er… das ist unsere Bitte. «Der Major lehnte sich zuruck in den Sessel.»Fred, Sie sind Dozent in Wurzburg. Reizt Sie nicht eine Professur in Princeton?!«

«Nein. Ich hei?e auch nicht mehr Fred Silverman, sondern Friedrich Silbermann. Ich werde wieder Deutscher sein. Meine Familie hat man in den KZs vernichtet, ich konnte noch fluchten… jetzt bin ich zuruckgekehrt, weil ich trotz allem Heimweh hatte. Lassen Sie mich in Ruhe, Gentlemen… verfolgen Sie mich nicht. Wir sind genug verfolgt worden als deutsche Juden… jetzt sollen Sie mich in Ruhe lassen als einen endlich Heimgekehrten.«

Es gab keine Diskussion mehr, kein Thema, das man noch besprechen konnte. Der Major und der Captain erhoben sich, setzten ihre Mutzen auf und verlie?en nach einem freundlichen»Uberlegen Sie sich's, Fred!«die Wohnung.

Silbermann kehrte ins Zimmer zuruck, go? sich einen neuen Whiskey ein, den anderen hatte ja der Major ausgetrunken, faltete die New York Times auseinander und suchte den Artikel uber den Kunstraub der Amerikaner. Beim Durchblattern sah er aus den Augenwinkeln auch die umrandete Anzeige, stutzte, weil er meinte, seinen Namen gelesen zu haben, blatterte zuruck und las den Text.

Das bin ich, dachte er, teils verwundert, teils erschrocken. Ja, das bin ich! Jemand sucht mich… ein Informant, oder ist es eine Falle? Entscheide dich, Fred — fahrst du hin oder vergi?t du die Anzeige?

Noch am selben Abend erreichte er Frankfurt mit dem D-Zug Munchen-Koln, fuhr mit dem Taxi zum Hotel» Frankfurter Hof «und bekam sogar noch ein Zimmer. Die Halle war mit einem gro?en Tannenbaum und vielen Tannenzweigen geschmuckt, und jetzt erst kam Silbermann voll zu Bewu?tsein, da? morgen Heiligabend war, ein Abend, der jedes Jahr seiner Kindheit bestimmt hatte. Es gab dann immer Honigkuchen und Pfeffernusse, alles im Haus roch nach Lebkuchen und Vanille, und Manna gab es, ja Manna, das Festbrot der Juden. Er hatte es nie gemocht, aber immer tapfer gegessen, um auch Stollen und Schokoladenprinten zu bekommen.

Tapfer, dachte er. Bin ich jetzt tapfer? Wage ich das Leben, um das Bernsteinzimmer zu bekommen? Wohin soll mich diese Anzeige locken? Wieso setzt man voraus, da? ich in den USA die New York Times lese? Wer kennt mich in Frankfurt? Den Heiligen Abend feierte er allein im Restaurant des Hotels. Am 1. Weihnachtstag lie? er sich mit einem Taxi durch die in der Anzeige angegebene stille Stra?e in der Nahe des Zoos fahren und musterte im Vorbeifahren das Haus, in dem er erwartet wurde. Wer ist es, fragte er sich, verdammt, wer ist es? Das Taxi fuhr an einem parkenden VW vorbei, und Silbermann achtete ebensowenig

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