«Halt's der Konig neuerdings mit Narren?«

«Oberst, wir haben gelernt, nicht zu fragen, sondern zu gehorchen.«»Das ist es, Leutnant. Da sagt Er ein wahres Wort. Ich frage mich oft: Wo fuhrt das hin, ein einziger denkt, und ein ganzes Volk mu? denken wie er.«

Der Oberst winkte ab, als er die betretenen Gesichter der Offiziere sah.»Wir werden sehen, was daraus wird. Gott ist so gnadig, uns nicht in die Zukunft blicken zu lassen.«

In ihrem Quartier, meistens einem Zimmer in der Kaserne, das fur eine Nacht der Futtermeister raumen mu?te, legte sich Adele Wachter sofort auf das Bett, erschopft, mude, bla? und mit schwerem Atem. Von Station zu Station wurde es arger, manchmal lag sie da, pre?te die Hande auf den gewolbten Leib und sagte, mit geschlossenen Augen, lange kein Wort. Wachter sa? dann neben ihr, streichelte ihr Gesicht, legte auch seine Hande auf ihren Leib und konnte nichts fur sie tun, als Trost zu geben.

«Bald ist es vorbei, Delchen«, sagte er zartlich zu ihr.»In Kolberg, auf dem Schiff, kannst du dich ausruhen. Diese holprigen Wege, das Rutteln und Schutteln und die Sto?e… ich wei?, wie es dir zusetzt. Bei? die Zahne zusammen, Deichen.«

«Das Kind tritt in mir, als wolle es den Leib sprengen. So war es nie bei Julius. «Sie umschlang seinen Nacken und zog seinen Kopf hinunter auf ihren Bauch.»Horst du es, Fritz? Es wehrt sich… es will nicht in mir sterben…«

«Es wird nicht sterben, Delchen. Bestimmt wird es nicht sterben. Es wird in Petersburg zur Welt kommen… nur daran sollst du denken.«

Etwa auf der Mitte der Strecke nach Kolberg anderte Wachter seinen Zeitplan. Er legte ofter eine Ruhestunde ein, lie? Adele sich auf einem Strohsack in einem der Kistenwagen ausstrecken, und Julius, nun bald elf Jahre alt, lief uber die Felder, suchte in Wiesen und an Bachrandern und brachte frische Krauter mit, die Wachter, in Wasser getaucht, Adele auf den Leib legte. Das beruhigte und erfrischte sie, kuhlte die ziehenden Schmerzen und gab ihr neue Kraft.

Dann endlich, endlich hatten sie Kolberg erreicht, die kleine, schmucke, saubere Kustenstadt an der Ostsee, machten zum letztenmal Station in einer Kaserne, und Leutnant von Stapenhorst schickte einen Kurier los nach Berlin, die gluckliche Ankunft in Kolberg zu melden.

Zusammen mit Adele und Julius fuhr Wachter schon am nachsten Tag zum Hafen, um das Schiff nach Memel zu besichtigen.

Es war kein gro?es Schiff, eher eine kleine Korvette mit nur einem Mast, ohne Geschutze, dafur mit Laderaumen in dem breitbauchigen Rumpf und einem Aufbau, in dem die Kajuten fur Kapitan, Fahrgaste und die Mannschaft lagen. Die preu?ische Fahne flatterte am Bug.

Uber einen Steg gingen Wachter, Adele und Julius an Bord, wahrend Moritz angebunden in der Kutsche bleiben mu?te und jammerlich heulte und wutend, mit hochgezogenen Lefzen, die ein spitzes, starkes Gebi? blo?legten, bellte.

Als sie an Deck standen, spurten sie trotz der Windstille das Schwanken des Schiffes.

Zum erstenmal hatten sie einen Boden unter den Fu?en, der sich bewegte, ein unangenehmes Gefuhl, das Unsicherheit in ihnen hochkommen lie?. Wachter begriff, warum Seeleute an Land, auf festem Boden, breitbeinig und schaukelnd dahergingen, wie auch der Zar es tat, der verliebt war in Schiffe, Meer und Wellenschlag.

Der Kapitan der Wilhelmine II. - so hie? das Schiff — kam ihnen mit wiegendem Schritt entgegen, warf einen Blick auf Adeles hohen Leib und reichte dann Wachter die Hand.

«Ihr kommt von dem koniglichen Transport?«fragte er.

«Ich bin der Leiter, Kapitan.«

«Willkommen an Bord. «Er druckte Wachters Hand.»Wann laden wir?«

«Schon morgen. Achtzehn gro?e Kisten und Reisegepack. Zeigt mir, wohin sie gestellt werden… sie durfen nicht im Geringsten beschadigt werden. Ich habe dem Konig daruber Meldung zu machen. Hutet Euch davor, nach Berlin zum Rapport befohlen zu werden. Der Stock des Konigs tanzt gern auf anderen Rucken, und die Gefangnisse sind dunkel, feucht und voll Ungeziefer.«»Es wird alles so sein, wie Ihr befehlt. Mit dicken Tauen werden wir die Kisten vertauen. «Der Kapitan machte eine weite Handbewegung.»Aber dem Meer konnen wir nichts befehlen. Im April kann es sturmisch werden… da mussen wir uns dem Starkeren beugen.«

Sie gingen in die Kapitansraume, tranken hei?en Tee und Rum und knabberten an Zwieback und trockenen Wecken. Der Kapitan erzahlte von wilden Sturmen und Begegnungen mit Geisterschiffen, wobei Adele ganz ubel wurde, wahrend Julius dagegen gluhende Backen bekam, bis Wachter lachend ausrief:»Genug des Seemannsgarns. Kapitan… sehen wir uns das Schiff naher an.«

Es war ein altes, aber gutes Schiff. Dick im Holz, guter Teer in den Fugen, dicht vor allem, kein Durchsickern von Wasser, und die Laderaume, in denen man die Kisten vertauen wollte, waren besonders trocken. Sie lagen in der Mitte des Rumpfes und hatten genug Eisenhaken an den Wanden, um das Bernsteinzimmer ruttelfrei festzuhalten.

«Sind wir allein auf dem Schiff?«fragte Wachter.»Keine anderen Waren?«

«Keine. Der Befehl des Konigs…«Der Kapitan verzog das Gesicht, als habe er innere Schmerzen.»Kennt Ihr einen Grafen von Bulow?«

«Ja. Er berat den Konig bei den Finanzen.«

«Ein Halsabschneider, unter uns gesagt. Schickt mir ein Schreiben: >Was nehmt Ihr fur eine Fracht von Kolberg bis Memel im Auftrage des Konigs?< Ich denke, o Himmel, der Konig selbst, und nenne einen anstandigen, niedrigeren Preis als sonst. Und was schreibt mir der Graf von Bulow zuruck: >Ist er verruckt? Seine Majestat hat angeordnet…< Und er nennt mir eine Talersumme, die fast nur die Halfte meiner Kosten deckt. Was ist besser, habe ich gedacht? Das Schiff versenken oder des Konigs Order annehmen? Ich habe angenommen… und deshalb erwartet nicht, da? Ihr zum Essen gro?e Braten oder fette Kapaune bekommt. Kohl und Grutze wird es geben, gesalzenen Fisch und Fladen. Und die Mannschaft, wundert Euch nicht, wenn sie Euch scheel ansieht… nur zwei Drittel des Lohnes bekommen die Kerle fur diese Fahrt. Meinen Verlust kann ich allein nicht tragen. So ist es hier — «

Am nachsten Morgen fuhr die Kolonne von achtzehn Wagen und drei Kutschen an den Kai vor der Wilhelmine II. Leutnant von Stapenhorst hatte nur noch zehn Kurassiere mitgegeben, seine Mission war beendet, die ihm nie behagt hatte. Er war Soldat und nicht Begleiter eines Kistentransportes.

Das Verladen der riesigen, schweren Kisten wurde ein Problem. Aus den Wagen konnte man sie ganz gut auf den Kai zerren und schieben, aber sie auf das Schiff bringen, schien fast unmoglich. So gro?e Fracht hatte man noch nie geladen, nicht Kisten von diesem Gewicht und diesen Ausma?en. Selbst wenn man sie mit Ketten umgurtete und uber Rollen an von Deck ragenden Balken hochzog, war es zweifelhaft, ob man sie heil an Bord bekam.

Aber es gelang. An dicken Seilen und uber eisernen Rollen wurden die Kisten Zentimeter um Zentimeter ins Schiff gehoben und in den Laderaumen festgebunden. Einen ganzen Tag dauerte es, bis alle achtzehn Kisten im Schiff standen, und als Wachter zufrieden nickte, rief der Kapitan erleichtert:

«Jetzt darf unsereiner einen guten Schluck nehmen. Ihr auch, Wachter?«

«Warum nicht?!«

Sie tranken kraftig, lagen dann trunken in ihren Kojen und fielen in einen kurzen Schlaf. Morgens um sechs Uhr setzte man die Segel, holte den Laufsteg ein und loste die Taue aus den in den Kaiboden eingelassenen eisernen Ringen. Von Leutnant von Stapenhorst sah Wachter nichts mehr… Abschied nahm er nur von den Fuhrleuten und den Kutschenfahrern, die ebenfalls aufatmeten, die kostbare Ladung endlich los zu sein.»Viel Gluck in Petersburg!«sagte der Vormann der Fuhrleute zu Wachter, als sie sich die Hand druckten.»Ich spreche es ehrlich aus: Ich beneide Euch nicht um das neue Leben…«

Von Deck, an der Reling stehend, sah Wachter den Wagen und Kutschen nach, als sie den Hafen verlie?en. Noch einmal winkte er ihnen zu und wu?te, da? es gleich, mit dem Ablegen des Schiffes, ein Abschied fur immer war. Er wurde Preu?en nie wiedersehen -

Adele, Julius und Moritz standen neben ihm, als sich uber ihnen die Segel blahten, die Kommandos des Kapitans uber Deck hallten und das Schiff langsam aus dem Hafen glitt, hinaus aufs Meer. Das Schwanken wurde starker, die Wellen hoben und senkten das Schiff, lie?en es von Seite zu Seite rollen, festklammern mu?te man sich am Relingseil und de Beine spreizen, um einen guten Stand zu haben. Julius fand es herrlich, jauchzte und winkte hinuber zu der verschwindenden Stadt, Moritz bellte und wedelte mit dem buschigen Schwanz, fletschte die

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