anderer Meinung als er zu sein, die einen hellen Verstand besa? und zu vernunftigen Ratschlagen in der Lage war. Fur ihren Mann strickte sie selbst wollene Strumpfe, verlangte nie etwas Ungewohnliches von ihm, lebte bescheiden mit ihm in Holzhutten, kochte, trocknete Peters Seemannswasche, fuhr mit ihm uber das Meer bei Petersburg, war immer das einfache Madchen geblieben, auch als sie die Zarin geworden war. Aber es gab auch die andere Katharina in seidenen, mit Perlen und Edelsteinen bestickten Roben, mit einem Hofstaat von Furstinnen, Grafinnen und besonders hubschen Hofdamen, der Glanz aller Feste war sie, und wenn im Palast des Menschikow die prunkvollen Empfange und im Garten die herrlichen Feuerwerke, die Peter so liebte, stattfanden, dann neigte Furst Menschikow das Haupt vor seiner ehemaligen Magd und erkannte sie als Zarin an.

Bei Wachter erschien Katharina in einem schlichten Kleid, so wie sie es immer trug, wenn Peter und sie keine offiziellen Verpflichtungen hatten. Wie eine Arbeiterfrau sah sie aus, durch die Geburten etwas dicklich geworden, mit wachen, alles sehenden Augen.

«Er will hier umbauen?«fragte sie Wachter.»Das Bernsteinkabinett aufstellen? Der Zar hat mir von dem Zimmer erzahlt. Wie sieht es aus?«

«Das kann man nicht erklaren, das mu? man sehen, Majestat. Hier versagen Worte.«

«So schon?«

«Es ist die Sonne, eingefangen in Tausenden goldenen Steinen.«

«Dann baue Er das Zimmer. «Katharina nickte Wachter zu.»Uber Schonheit kann Er jederzeit mit mir sprechen.«

Am vierten Tag des Umbaues, nachdem die Wand herausgerissen war und es nun daranging, die Zwischendecken aus Holz abzunehmen und die Wande mit Holz zu verkleiden, erschien der Zar auf der Baustelle. Eine fleckige Arbeiterhose trug er, daruber ein dunkelblaues grobes Hemd, und eine Lederschurze hatte er sich umgegurtet, die ebenfalls voller Flecke war. In den gro?en breiten Handen trug er Hobel und Stecheisen, Feilen und eine Sage. Im Bindeband der Schurze staken drei Hammer, eine kleine Me?latte und ein kegelformiger Senkel.

«Welch eine faule Brut arbeitet hier?«schrie er mit seiner Donnerstimme.

«Zeigen werd ich's euch, was ein Zimmermann kann! Geht nach Holland und lernt, ehe ihr ein Brett anpackt! Fjodor Fjo-dorowitsch…«

«Hier bin ich, Majestat. «Wachter trat auf den Zaren zu.

«Er ist der Vormann. Zeig Er mir, was ich zu tun habe!«Er warf sein Werkzeug auf den Boden und rieb sich die Hande.»Zier Er sich nicht, mir Arbeit zuzuweisen. Ich bin wieder Peter, der Zimmermann. Gott sei mein Zeuge… ist das schon!«Zwei Wochen arbeitete der Zar als Zimmermann am Ausbau des Bernsteinzimmers mit, jeden Tag drei Stunden. Und er verstand sein Handwerk besser als die Schreiner, die unter den besten von Petersburg ausgesucht worden waren. Zu seinem Werkzeug kam nun auch noch seine geliebte Dubina hinzu, das gefurchtete spanische Rohr mit dem selbstgeschnitzten Elfenbeinknopf. Wie oft tanzte der Knuppel auf den Rucken der anderen Schreiner herum, wenn Peter einen krummen Nagel entdeckte, ein schiefes Brett, keine senkrechten Fugen oder winkelige Zusammenfugungen, die er Gehrung nannte.

«In Holland hatte man euch alle ersauft wie blinde Katzen!«brullte er herum.»Und solche Idioten wollen meine Stadt bauen? Zusammenfallen wird sie, das sehe ich schon! Ihr alle werdet am Galgen enden, auf den Pfahlen, auf dem Rad, unter den Peitschen!«

Ein schreckliches Arbeiten war es, aber sieh da… schon nach elf Tagen waren die Zimmer so umgebaut, da? sie einen einzigen Saal ergaben, genau in den Ma?en, die das Bernsteinzimmer verlangte. Die gro?en Kisten in den Stallungen wurden geoffnet, die Tafeln, Figuren, Sockel, Gesimse, Reliefe und Borduren vorsichtig freigelegt, und es zeigte sich, da? nichts zerbrochen war, da? der schwere Weg von Berlin nach Petersburg schadlos uberwunden worden war.

«Vorsichtig!«rief Wachter immer wieder, als das einmalige Getafel vom Stall in das Palais getragen wurde.»Vorsichtig! Bis jetzt hat es gehalten, stellt euch nicht an wie die Dummkopfe…«

«Meint Er mich damit?«fragte Peter I. Er trug auf seiner Schulter ganz allein ein gro?es Sockelstuck, an dem sonst drei Mann geschleppt hatten. Seine Krafte waren ungeheuer.»Majestat…«Wachter schlug die Hande zusammen.»Naturlich die anderen!«

«Sag Er nur, wenn ich mich dumm anstelle. «Der Zar tappte weiter mit seinem Sockel.»Er bekame die Knute, wenn Er mir nicht die Wahrheit sagt!«

Am Abend ging Wachter erschopft nach Hause. Aus der Kuche roch es nach Sauerkohl und geraucherter Schweinehaxe. Adele sa? an dem gro?en, gemauerten Herd, lehnte an einem Stutzbalken und hatte die Augen geschlossen. Moritz, der Hollenhund, sa? vor ihr und winselte leise.

«Adjuschka, was hast du?«Die vergangenen Wochen hatten genugt, soviel Russisch zu lernen, da? er nun ganze Satze aussprechen konnte. Vor allem auf russisch fluchen hatte er gelernt, abgehort von den Handwerkern, wenn sie sich beschimpften. Er umfa?te Adele, streichelte sie und spurte, wie sie schlaff in seinen Armen lag.

«Es war zuviel, Fritz…«sagte sie, fast unhorbar.»Das Meer, die Schlitten…«Sie legte die Hande auf den gewolbten Leib und starrte Wachter flehend an.»Das Kind… ich spure es nicht mehr… es bewegt sich nicht mehr… es ist alles so still in mir… Ich habe Angst — «

Angst hatte auch Wachter, als er den Zustand seiner Frau sah.»Den Arzt hole ich!«sagte er und wu?te sonst keine Worte, die sie trosten konnten.»Leg dich hin, Delchen, lieg ganz still… es ist bestimmt nichts Schlimmes.«

Der Zweite Hofarzt, ein Benjamin van Rhijn aus Amsterdam, den Peter I. bei seiner letzten Reise 1716 mitgenommen hatte, wollte Wachter erst an einen normalen Medicus verweisen, wurde dann aber sehr zuvorkommend, als er horte, da? der Zar diesem Deutschen viele Sonderrechte eingeraumt hatte. Als Wachter in seine Wohnung zuruckkam, lag Adele fiebernd auf dem Bett, mit gluhendem Kopf, geschwollener Zunge und schien nicht mehr zu begreifen, was um sie herum vorging. Julius sa? an ihrem Bett mit weiten, angstvollen Augen und betete stumm.

«Die Mama…«stammelte er, als Wachter uid der Arzt ins Zimmer sturzten.»Die Mama…«

Es war, wie Adele schon befurchtet hatte: das Kind in ihrem Leib war gestorben, das Leichengift flo? bereits durch ihre Adern. Dr. van Rhijn setzte sich auf die Bettkante und sah zu Wachter hinauf.

«Hier kann nur Gott helfen — «sagte er betroffen.

«Gott ist nicht hier, aber Ihr seid da. Tut etwas! Rettet sie! Wozu habt Ihr studiert, wenn Ihr nur herumsitzen konnt und klagt. Rettet sie…«

Dr. van Rhijn nickte.»Tucher brauche ich«, sagte er.»Viel hei?es Wasser, gro?e Schusseln und Eimer. Ob es gelingt, ich wei? es nicht.«

Drei Stunden arbeiteten sie gemeinsam an Adeles Korper und kampften gegen den Tod. Sogar Julius, der Elfjahrige, half tapfer, wenn auch weinend mit, schleppte Wasser, trug die blutigen Tucher weg, spulte die Schusseln aus und starrte auf seine Mutter, als konne sein Blick den Tod verjagen. Furchterlich war es, was Dr. von Rhijn tat, aber es war die letzte Moglichkeit, Adeles Leben zu retten. Mit langen Zangen holte er das tote Kind stuckweise aus dem Korper. Ein Madchen war's, wie die Hebamme in Berlin es vorausgesagt hatte. Das faulende Fruchtwasser saugte er ab, lie? Adele zur Ader und rieb die Ohnmachtige mit kalten rauhen Tuchern ab, mischte verschiedene Pulver und Flussigkeiten zusammen und fullte sie in eine dunkle Flasche.

«Das mu? sie trinken«, sagte der Arzt und sank erschopft auf einen Stuhl.»Funfmal am Tag funfzig Tropfen in Wasser. «Er blickte zur Seite auf die noch immer ohnmachtige Wachterin. Farblos war ihr Gesicht geworden, eingefallen die Backen und die Augenhohlen. Auf ihrem Leib lagen jetzt mit kaltem Wasser getrankte Tucher, ein scharfer Alkoholgeruch war im Zimmer — zum Schlu? hatte Dr. von Rhijn noch den ganzen Korper mit starkem Wodka eingerieben.»Mehr kann ich nicht tun. «Er blickte Wachter mit muden Augen an.»Jetzt konnen wir wirklich nur noch auf Gott hoffen…«

«Ihr habt keine Hoffnung mehr?«

«Was soll man da sagen?«Dr. van Rhijn wischte sich uber das Gesicht.»Es ist das erstemal, da? ich solch eine Operation gemacht habe.«

Am nachsten Tag begann man, die erste Bernstein wandtafel an die neue Unterkonstruktion zu befestigen. Der Zar war naturlich wieder dabei in seiner Zimmermannskleidung, davon begeistert, mitarbeiten zu konnen und bis in die Seele entzuckt von diesem» Wunder aus Bernstein«, das ausgebreitet vor ihm auf den Dielen lag. Er war der einzige, der frohgelaunt war. Die Schreiner- und Bernsteinmeister furchteten seinen Zorn und schielten immer wieder auf das spanische Rohr, das in einer Zimmerecke stand, und Wachter tappte ubermudet und mit geroteten Augen umher und starrte ab und zu wie abwesend aus dem Fenster.

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