«Was hat Er?«fragte Peter I.»Ist er krank? Wie sieht Er aus… Augen wie ein Kaninchen, ein welker Hals…«

«Meine Frau ist sehr krank, Majestat… Ein Kind hat sie verloren…«

«Das kenne ich. Dafur wird ein neues kommen…«

«Im Mutterleib ist es gestorben, hat den Korper vergiftet. Der Medicus hat das Kind entfernt…«

«Welcher Medicus?«fragte der Zar plotzlich mit lauter Stimme.

«Der Zweite Hofarzt, Dr. van Rhijn…«

«Her mit ihm!«brullte Peter I. in hochstem Zorn.»Hierher, sofort!«Die Tur ri? er auf und schrie in den Gang, wo einige Lakaien warteten.»Herbringen, den Zweiten Medicus! Hier in das Bernsteinkabinett!«

Nach zehn Minuten schon erschien Dr. van Rhijn in der Tur. Seine lederne Arzttasche hatte er bei sich, im Glauben, der Zar habe sich bei der Arbeit verletzt. Aber sofort erkannte er den Irrtum, als Peter wie ein tobender Riese auf ihn zuging.»Was hat Er getan?!«brullte er.»Operiert, ohne mir ein Wort zu sagen? Wei? Er nicht, was alle Spitaler der Stadt wissen? Kennt er nicht meinen Befehl, mir jede ungewohnliche Operation zu melden und zu warten, bis ich ihm assistiere?! Hat Er nie gehort, da? ich von Holland das beste chirurgische Besteck mitgebracht habe?! Er Lump, Er verdammter?!«»Majestat — «Dr. van Rhijn senkte den Kopf. Er wollte vor dem Zaren auf die Knie fallen, aber das hatte Peter noch mehr erzurnt. Einen kriechenden, um Gnade bettelnden Mann verabscheute er.»Es war zu eilig…«

«Nichts ist so eilig, als da? man mir ein Wort sagt! Er hat operiert, ohne mich zu rufen. In meinem Haus! Wei? Er, was Er verdient hat?«

«Majestat…«

«Zwanzig Schlage mit der Knute! Er melde sich beim Exekutor, oder soll ich Ihn hinschleifen lassen? Hinaus! Und komme Er wieder und zeige Er mir seinen blutigen Rucken — «

Wie gebrochen wankte Dr. van Rhijn aus dem Bernsteinzimmer, lehnte sich drau?en an die Wand und weinte. Ein Page trat zu ihm… was der Zar im Zimmer gebrullt hatte, war auf den Fluren gut zu horen gewesen.

«Weint nicht, Medicus«, sagte der Page voll Mitleid.»Was sind schon zwanzig Schlage? Man kann sie uberstehen. Kommt, ich fuhre Euch zur Strafkammer. Dort habt Ihr's besser, als wenn der Zar Euch selbst verprugelt.«

Im Bernsteinzimmer herrschte angstliches Schweigen. Peter stand am Fenster, sein Gesicht zuckte wieder, der nervose Krampf verzerrte sein Antlitz zu einer Fratze, die einen erstarren lie?. Woher Wachter den Mut nahm, er wu?te es hinterher nicht mehr zu erklaren. An den Zaren trat er heran, stellte sich dicht hinter ihn und sagte leise:

«Warum wird der Medicus bestraft? Vielleicht hat er meiner Frau das Leben gerettet…«

Der Zar drehte sich nicht um. Zum Fenster hin knurrte er:»Sei Er still, Fjodor Fjodorowitsch! Noch nicht lange genug ist Er in Ru?land. Wissen mu? Er, da? nur ein Wort gilt: das des Zaren! Ist es bei Seinem Konig anders?«

«Nein, Majestat.«

«Also bezwinge Er sich und widerspreche Er nicht Seinem Zaren.«

Kurz danach betraten Peter I. und Wachter die Beamtenwohnung, und der Zar ging sofort in das Schlafzimmer. Adele lag graubleich im Bett, aus der Ohnmacht erwacht war sie, aber zu schwach, um ein Wort hervorzubringen. Als sie den Zaren erkannte, der sich uber sie beugte, wurden ihre Augen weit, ihre Lippen bewegten sich, und in den Mundwinkeln tauchte ein Zucken auf. Julius stand auf der anderen Seite des Bettes, starrte den Zaren an und hielt das nasse Tuch mit beiden Handen umklammert, das er gerade seiner Mutter vom Leib gezogen hatte, um es zu wechseln.

«Sie wird es uberstehen«, sagte Peter I. Ein vaterlicher Ton war in seiner Stimme.»Ich kenne Sterbende… Sie sieht anders aus. Habe Sie nur Mut und einen starken Glauben.«

Ganz leicht bewegte Adele den Kopf… sie nickte. Der Zar richtete sich wieder auf und warf einen Blick auf Julius, der immer noch erstarrt die Tucher an sich druckte.

«Ist das Sein Sohn, Fjodor Fjodorowitsch?«fragte er dann.

«Ja, Majestat. Bisher mein einziger. Das zweite Kind hat mir nun das Bernsteinzimmer genommen.«

«Ein braver Bursche. Was soll er spater werden?«

«Mein Nachfolger wird er sein, das Bernsteinzimmer pflegen.«»Er wird Ihm wurdig sein, Wachterowskij. «Der Zar griff in die Tasche seiner Zimmermannshose, aber da war nichts als Nagel und Klammern. Was hatten Kopeken oder Rubel auch dort zu suchen?» Du bekommst zehn Rubel von mir«, sagte Peter I.»Dein Vater bringt sie dir morgen mit. Wie hei?t du?«»Julius…«stotterte der Junge.

«Julian Fjodorowitsch. Naturlich, ich hab's vergessen. Zehn Rubel. Was wirst du damit tun?«

«Ein Buch kaufen uber das Wissen eines Medicus.«

«Bei Blitz und Donner, das ist eine kluge Antwort. «Der Zar wandte sich zu Wachter um und klopfte ihm auf die Schulter. Wachter war es, als zerbrache sein Schulterblatt.»Stolz kann Er sein auf Seinen Sohn. Er bleibt jetzt hier bei Seiner Frau. Die Bernsteintafel werden wir auch ohne Seine Hilfe an die Wand bekommen.«

«Sie darf mit dem Untergrund keine Spannung haben, Majestat.«

«Ich habe Schiffe gebaut, Schiffe fur alle Meere. Traut Er mir da nicht zu, eine Wandtafel anzubringen?!«

Der Zar nickte Adele noch einmal zu, warf einen wohlwollenden Blick auf den Jungen und verlie? dann die Wohnung. Erst als die au?ere Tur zufiel, ruhrte sich Julius. Er sah sich suchend um und schuttelte den Kopf.

«Wo ist Moritz?«

«Unterm Bett. «Wachter lachte leise.»Selbst er hat Angst vor dem Zaren.«

«Ich habe keine Angst vor dem Zaren!«sagte Julius.»Er ist ein boser Mann… aber mich hat er angeblickt wie einen Freund. «Er hob die Laken hoch und sah seinen Vater strahlend an.»Papa… wir mussen die Tucher wechseln.«

Adele Wachter uberlebte. Ein Wunder war's… oder doch die arztliche Kunst von Dr. van Rhijn? Nach funf Tagen stand sie zum ersten Mal auf, schwankte, auf Julius gestutzt, einmal durchs Zimmer und legte sich dann, vor Schwache zitternd, wieder hin. Aber ihr Gesicht hatte wieder Farbe bekommen, sie a?, ganz langsam schluckend, eine kraftigende Suppe aus Rindsbouillon mit kleinen, geringelten Nudeln, die der Hofkoch hinuber ins Beamtenhaus bringen lie?.

Der Zar war selbst dabei, als Adele zum ersten Mal das Bett verlie?, und sagte tadelnd, als Adele, kaum da? sie die Beine auf den Dielen hatte, einen tiefen Knicks versuchte, bei dem sie umgefallen ware, wenn Julius sie nicht aufgefangen hatte:»La? Sie den Unsinn, Adele Iwanowna! Ich bin nicht der Zar… ich bin der Zimmermann Pjotr Alexejewitsch. Drau?en ist Fruhling, die Baume beginnen mit der Blute, die Wildganse sind zuruckgekommen, die Storche fliegen ein, und das Meer leuchtet wie Silber. Wenn Se kraftig genug ist, schicke ich eine Kutsche, und Sie fahrt ubers Land und erholt sich in der Sonne. «Er zogerte und fugte dann hinzu:»Der Amsterdamer Medicus ist belohnt worden. Zum Leibarzt habe ich ihn ernannt. Ist Sie zufrieden mit mir?«

«Majestat…«stammelte Adele und hielt sich an ihrem Sohn fest.»Wie kann ich Ihnen danken?«

«Indem Sie nach angemessener Zeit vergi?t, was gewesen ist, und sich nach einem neuen Kind sehnt. Sie ist eine tapfere, schone Frau…«

So war es. Eine Woche spater — der Aufbau des Bernsteinzimmers war zur Halfte vollendet — fuhr eine kaiserliche Kutsche vor mit einem uniformierten Leibkutscher, und hinter dem Aufbau standen zwei Pagen zur Bedienung. Es war, als fahre eine Furstin aus.

Petersburg im Fruhling… ein Wirklichkeit gewordenes Marchen.

Adele weinte vor Gluck und vor Ergriffenheit vor soviel Schonheit, als sie am jenseitigen Ufer der Newa stand und hinuberblickte auf die in der Sonne leuchtende Stadt, auf die Turme und Dacher, die Palaste und Hauser, die Kanale und breiten Stra?en. Und sie legte den Arm um Julius und sagte:»Mein Junge, das ist wirklich unsere Heimat. Vergi? es nie!«Die Einweihung des wiederaufgestellten Bernsteinzimmers nahm der Zar allein vor. Diesmal waren seine Narren und Zwerge nicht dabei, wie sonst bei den Festen, wo sie tanzten und purzelten, sangen, deklamierten und die Gaste verspotteten. Am Hofe wurden die uber sechzig Spa?macher wie Haustiere gehalten, die der Zar liebte und verhatschelte, die aber unter Anfuhrung seines Lieblings zwerges Lewon Uskow nicht nur harmlose Spa?e trieben, um die Geladenen zu erheitern. Sie waren vor allem seine Beobachter und Spione, die auch alle Schwachen, Verfehlungen, Veruntreuungen, Lugen und Diebstahle der Wurdentrager bei Hofe auskundschafteten und diese dann wie frohliche Geschichten erzahlten, wahrend der Zar die Betroffenen

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