Meinung, die man vor ihm nicht auszusprechen wagte.

Das Bernsteinzimmer in diesem Winterpalais? In einem Holzhaus? Ein Haus, das brennen konnte wie trockenes Reisig?! Wachter kratzte sich den Haaransatz, ging in den Beamtenbau und fand Adele damit beschaftigt, die Taschen und Kisten auszupacken. Drei Kammermadchen halfen ihr dabei, vom Haushofmeister selbst dazu abkommandiert. Die Kunde, da? der neue Deutsche hoch im Wohlwollen des Zaren stand, hatte sich in Windeseile bei den Hoflingen herumgesprochen. Das Speichellecken begann, und naturlich auch der Neid.»Welch eine Stadt«, sagte Wachter und setzte sich auf einen Diwan im Wohnzimmer. Die Zimmer hatte man ihnen voll eingerichtet ubergeben, mit schonen Mobeln, die Adele in Berlin sonst nur bei den Hofdamen gesehen hatte, bei den adeligen Damen, vor denen sie immer einen tiefen Knicks gemacht hatte. Jetzt sollte sie in diesem kleinen Luxus leben. Mit klopfendem Herzen war sie von Zimmer zu Zimmer gegangen, hatte die Mobel und die Bezuge gestreichelt, Damaste, Gobelins und Seiden, sogar gute Teppiche lagen auf den Dielen, einige Ikonen hingen an den Holzwanden, ein Bild des segnenden Christus, und in der Kuche war alles vorhanden, was eine Hausfrau brauchte, vom Wassertopf bis zum Schopfloffel.»Welch eine Wohnung, Fritz«, rief sie glucklich.

«Wo ist Julius?«

«Im Garten spielt er mit Moritz. «Sie drehte sich einmal um sich selbst, wie eine Tanzerin, es ware grazil gewesen ohne ihren schweren Leib.»Alles ist so gro?, so weit, so hoch…«»Wie dieses Land, Deichen. Unendliche Erde unter einem hohen Himmel. Petersburg kann einmal schoner werden als Paris, wenn der Zar es weiterhin so ausbaut. Garten sollen entstehen, gro?e Parks, breite Stra?en, und dann die Kathedralen, Deichen, Palaste zur Ehre Gottes, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat! Wir werden nie bereuen, Berlin verlassen zu haben.«

«La? uns darum beten, Fritz. «Sie setzte sich neben ihn auf den Diwan und legte den Arm um seinen Nacken.»Wei?t du, wie sie mich schon rufen?«

«Ja. Adele Iwanowna…«Er lachte, als sie ihn verblufft anblickte, ku?te sie zwischen die Augen und rief frohlich:»Ja, das bist du. Meine schone, meine einzige Adeluschka… Wie das klingt! Adeluschka… Adelinka… Adjuschka!«

«Ich sehe, du wirst ein Russe, Fritz.«

«Nur au?erlich, Adelinka. Nur au?erlich. Im Herzen bleiben wir Wachters immer Preu?en.«

Schon zwei Tage spater, die Kisten mit dem Bernsteinzimmer standen sicher in den Stallungen, lie? Wachter sich bei dem Haushofmeister melden.

Es war ein Graf Wladimir Viktorowitsch Kubassow, ein vollig anderer Mensch als der Hofmarschall Furst Netjajew, der Wachter an der Kurlandgrenze den Transport aus der Hand genommen hatte. Der Weg durch Schnee, Matsch und Schlamm von Memel bis Petersburg war muhsam gewesen, drei Pferde gingen dabei ein, vier Schlitten und zwei Fuhrwerke brachen zusammen, weil Netjajew eine Eile befahl, als ginge es um ein Wettrennen. Erschrocken sah dabei Wachter zum ersten Mal, da? ein Leibeigener oder ein anderer niederer Mensch in Ru?land nicht mehr galt als ein Tier. Als die Schlitten brachen oder auf besonders aufgeweichten Wegabschnitten Kufen und Rader versanken, sausten die Peitschen nicht nur uber die schmerzhaft wiehernden Pferde, sondern auch uber die Rucken, Schultern und Kopfe der Kutscher und Fuhrleute. Viele sa?en dann blutend auf ihren Bocken, aber keiner wagte auch nur einen Ton zu sagen. Wachter ahnte, da? Netjajew den Mann zu Tode peitschen oder pfahlen hatte lassen konnen.

Kubassow empfing Wachter wie einen Freund… die Gunst des Zaren hob ihn hoch uber alle anderen. Wie hatte einst Men-schikow angefangen? Als Stallbursche. Jetzt war er Furst, uberhauft mit anderen Titeln und einem unschatzbaren Reichtum, Generalgouverneur von Petersburg, ein so enger Freund des Zaren, da? man ihn mehr furchtete als den Zaren selbst. Wu?te man, was einmal aus diesem Deutschen werden wurde? Am Hofe und im ganzen Land gab es genug Generale, Kammerer und Auserwahlte, Architekten wie Arzte, Astronomen wie Physiker, die aus dem Ausland gekommen waren, die meisten aus Landen mit deutscher Zunge.

«Ja, wohin mit ihm, dem Bernsteinzimmer?«sagte Kubassow, als Wachter ihn gefragt hatte, welcher Raum dafur geeignet sei.»Wohin? Wie sagt Ihr, sind die Ma?e?«

«4,75 Meter hoch, und an Wandflache brauche ich vierzehn Meter. Es sind zwolf Wandfelder, 0,80 bis 1,50 in der Breite, genau wie die Sockelstucke. Dazu kommen zwei Turen mit Gesimsen bis zur Decke.«

Die Zahlen schienen Kubassow schwindelig zu machen.»Wei? das der Zar?«fragte er betroffen.

«Er hat das Zimmer in Berlin gesehen und brach in Begeisterung aus.«

«Was soll man tun? Im ganzen Palais gibt es nicht solch einen Raum! Man mu?te ihn erst bauen, Zimmer zusammenlegen, die Decken erhohen.«

«Das mu?te man wirklich tun. Sofort. Denn der Zar wunscht…«

Graf Kubassow lie? Wachter nicht ausreden. Wenn dieser sagte, der Zar wunsche es, dann war es ein Befehl, als kame er vom Zaren selbst. Ein kaiserlicher Haushalt besteht nicht nur aus Mobiliar in einem Palast, sondern auch aus vielen Ohren, die alles horen. So wu?te Kubassow von Wachters Vollmachten, schon bevor er mit ihm gesprochen hatte.

«Sehen wir uns an, was ich vorschlagen kann«, sagte er.»Wo soll das Bernsteinkabinett stehen?«

«In der Nahe der Zaren-Zimmer.«

Kubassow seufzte, erkannte die gro?en Probleme, die auf ihn zukamen, und fuhrte Wachter dann durch das Palais. Zwei Raume fanden sie, von denen Wachter sagte, sie seien geeignet fur das Geschenk des Konigs von Preu?en. Im ersten Stockwerk lagen sie, mit zwei gro?en Fenstern hinaus zur Newa. Das Licht fiel voll herein, so da? der Bernstein in der Sonne leuchten konnte und seine ganze Schonheit entfalten wurde, und leicht lie?en sich die Wande herausnehmen und die Decken auf das notige Ma? erhohen, da auch hier eine Zwischendecke eingezogen war.

«Das ist es!«sagte Wachter und drehte sich ein paarmal um

sich selbst, alles genau betrachtend.»Hier kommt es hin.«»Gleich neben den Gemachern der Zarin?«Kubassow wiegte den Kopf.»Der Larm des Umbaues — «

«Nur ein paar Wochen sind's… der Schonheit willen wird's die Zarin dulden.«

Schon einen Tag spater begannen die Arbeiten. Kubassow hatte mit Katharina, der Zarin, gesprochen. Sie war in den ausgewahlten Raumen erschienen, hatte den sich tief verneigenden Wachter lange und eingehend gemustert und ihn dann in ihren Haushalt aufgenommen.

Eine dralle, vollbusige Frau war sie, mit sinnlichen Lippen und einer frohlichen Stupsnase. Breite rote Wangen bestimmten ihr Gesicht, und sie hatte einen kraftigen Korper, was ihr bei den vielen Geburten zugute kam.

Bei der Belagerung von Marienburg, das in schwedischer Hand war, hatte General Scheremetjew sie zum ersten Mal gesehen… die Magd eines geflohenen sachsischen Pastors mit Namen Gluck, mit der er Weiterreisen wollte nach Moskau, und die nicht genau wu?te, wie sie hie?, da sie nie ihren Vater kennengelernt hatte.»Wer ich bin?«hatte sie gesagt, als Scheremetjew sie nach ihrem Namen fragte.»Einmal hei?e ich Katharina Wassilewska, einmal Katharina Trubatschow. Mir ist gleichgultig, wie ich wirklich hei?e. Ist's wichtig bei der Arbeit? Ich putze, koche, backe, schenke aus und bediene, wasche und bugle, halte den Garten in Ordnung und versorge den Stall.«

«Und la?t dich jede Nacht mit den Kerlen ein…«hatte der General gerufen.

«Das nicht. Deshalb bin ich geflohen aus Marienburg. Die schwedischen Soldaten ziehen durch die Stadt und greifen nach jedem Madchen. «Sie hatte den General flehend angesehen und dann hinzugefugt:»La?t uns weiter nach Moskau, Herr. Ich will dort meinem Pastor den Haushalt fuhren.«

Nicht nach Moskau kam sie, sondern nach Petersburg. General Scheremetjew nahm sie mit, damit sie seine Hemden bugelte. So kam Katharina Wassilewska — fur diesen Namen entschied sie sich —, die Tochter eines ihr unbekannten Leibeigenen und einer Wirtshausmagd aus Litauen, nach Petersburg in den Haushalt des Generals. Dort sah sie bei einem Besuch der machtige Menschikow. Sie stand gerade auf der Leiter, putzte die Fenster, und Menschikow, der Frauenkenner, sah sofort ihre schone Gestalt, ihre Fu?e und Waden, ihre Taille und die vollen wei?en Bruste, und sie lachte ihn keck an, als er sie so aufmerksam musterte.

Scheremetjew, immer bedacht, ein Freund des gro?en Menschikow zu bleiben, schenkte ihm Katharina. Nun bugelte sie die Hemden des Fursten, zerknitterte des Nachts seine Bettlaken, eine Kriegsbeute, wie Scheremetjew sie genannt hatte, wie sie nicht schoner, lieblicher und dreister sein konnte.

Bei Furst Menschikow sah sie der Zar. Ohne viel Worte lieh er sich die Magd aus, und als Menschikow sie nach zwei Wochen von Peter zuruckerbat, lie? der Zar mitteilen, da? Katharina noch so viele Hemden auszubessern und zu bugeln habe, da? er sie bei sich behalten wolle.

Nun war sie die machtige Zarin, verheiratet mit Peter I, und der vielleicht einzige Mensch, der es wagte,

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