da? er vielleicht fur immer hinken wurde, von jetzt ab ein Invalide, ein komplizierter Bruch sei's, der Knochen wurde schief wieder zusammenwachsen, ein kurzeres linkes Bein wurde bleiben.

«Es ist zu ertragen, Majestat«, antwortete Wachter.

«Sei Er froh, da? Er nicht nur ein Bein hat wie viele meiner Soldaten nach dem Kampf. Und das Bernsteinzimmer stort das nicht, und Kinder macht man nicht mit den Beinen! Er ist immer noch ein richtiger Kerl.«

Adele Wachter hatte in dieser Zeit viel eingekauft. Die Reisekisten waren gefullt, und trotzdem hatte sie noch 70 Taler ubrig. Das Sohnchen Julius studierte Karten, Kupferstiche und Beschreibungen von Petersburg und Ru?land und schlug sich mit seinen Spielgefahrten herum, die ihn bereits» den Russen «nannten. Adele war es jetzt viel ubel, sie erbrach sich oft, das Wachsen des zweiten Kindes in ihrem Leib machte ihr zu schaffen. Sie a? viele Apfel und in Zuckersirup eingelegte Kirschen, und die Hebamme, die weise Frau, sah sie forschend an und sagte ein paarmal:»Ein Madchen wird's. Jawohl, ein Madchen. So wie Ihr ausseht, Wachterin, mu? es ein Madchen werden.«

Es wurde April.

Der Bauch der Wachterin hatte sich gerundet, nun sah man deutlich ihren Zustand, und Wachter humpelte ohne Stock und Beinstutzen herum, er hinkte wirklich etwas, aber war mit sich und seinem Korper zufrieden, nachdem ihm der Garde-Medicus mitgeteilt hatte:»Gute Knochen hat Er. Und ein gutes

Heilfleisch. Er ist fruher wieder unter den Gesunden, als ich dachte.«

Bei schonem Fruhlingswetter knirschten die Fuhrwerke uber den Hof des Berliner Stadtschlosses. Achtzehn Kisten waren gepackt worden, gro?e, massive Behalter, gefullt mit Sagespanen und Decken und Daunen, darin die Bernsteinwandtafeln, die Ornamente, Figuren, Masken, Gesimse und Sockel. Die kostbarste Fracht, die jemals von Land zu Land transportiert wurde. Den achtzehn Fuhrwerken waren noch zwei Kaleschen beigeordnet, in denen der Hausrat der Wachters verstaut war und in denen die schwangere Wachterin sa?, der Junge Julius und das Hundchen Moritz. Auch er, der zur Familie seit sechs Jahren gehorte, mu?te mit nach Petersburg, eine abenteuerliche Mischung aus Spitz, Windspiel und Huhnerhund und mit wachen, tatsachlich blauen Augen. Ein braun-wei? geflecktes Fell hatte er, und seine gro?te Tat war bisher gewesen, da? er den Feldwebel Hans Hoppel wahrend des Exerzierens in die rechte Wade bi?. Nur mit Muhe hatte man Hoppel davon abhalten konnen, Moritz mit dem Sabel in zwei Teile zu spalten.

Zum letztenmal stand Wachter seinem Konig gegenuber und hatte, er wollte es nicht, aber er konnte es nicht bezwingen, wieder Tranen in den Augen.

«Wachter, Er heult zuviel!«sagte der Konig streng.»Im Himmel sehe ich euch alle wieder… meine Langen Kerls und Ihn! Mach Er's gut, sei Er ein braver Diener des Zaren, pflege Er mir das Bernsteinzimmer, wie Er geschworen, und denke Er daran, da? Gott seine Hand uber Ihn halt.«

Dann gab er Wachter einen leichten, vaterlichen Klaps mit dem Buchenstock auf die linke Schulter, ein Beweis seiner Gute, den Wachter wie einen Ritterschlag empfing.

«Gott schutze Sie, Majestat«, sagte er mit schwerer Zunge, verneigte sich tief und verlie? das Arbeitskabinett des Konigs. Eine Stunde spater war die Kolonne auf dem Schlo?hof zur Abfahrt bereit. Die Fruhlingssonne bestrahlte sie mit goldenem Glanz, die 108 Pferde — vor jedem Fuhrwerk also sechs kraftige, hohe Pferde, bestens im Futter, stark und ausdauernd, erprobt beim Ziehen der Kanonen — wieherten wie zum Abschied. Die vier Pferde der Kutsche tanzelten in ihrem Geschirr, und Friedrich Theodor Wachter sa? im Sattel eines Apfelschimmels, umritt noch einmal die Kolonne und gab dann das Handzeichen zum Abmarsch.

Friedrich Wilhelm stand am Fenster seines Kabinetts und blickte, auf seinen Stock gestutzt, dem Abzug der Gespanne zu. Wird mir das Vorpommern bringen? dachte er. Werde ich Preu?en zum starksten Staate in Europa machen? Lohnt sich das Geschenk?

Reise Er gut, Wachter, und komme Er gesund in Petersburg an. Sein Konig wird an Ihn denken -

Peter Alexejewitsch

DIE PERSONEN:

Peter Alexejewitsch Romanow Katharina Alexejewna Alexander Menschikow Pjotr Schafirow Lewon Uskow Alexej Petrowitsch Friedrich Theodor Wachter Adele Wachter Julius Wachter Furst Dolgorukij Graf Wladimir Viktorowitsch Kubassow Dr. Benjamin van Rhijn

Zar Peter I. der Gro?e Zarin, Peters 2. Frau Gunstling des Zaren Gunstling des Zaren Zwerg und Hofnarr Zarewitsch, Sohn Peters I. Betreuer des Bernsteinzimmers seine Frau sein Sohn Berater Peters I. Haushofmeister

Zweiter Hofarzt des Zaren

Ein kalter Winter war's gewesen, dieser Anfang des Jahres 1717. In Ru?land lagen Eis und Schnee noch uber Waldern, Feldern, Hutten und Stra?en, die Karren blieben noch in den Schuppen, und die Schlitten, die gro?en fur den Transport, die kleinen fur die Menschen, knirschten und kreischten uber den festgestampften Schnee, gezogen von den kleinen struppigen Panjepferdchen mit den Glockchen am Geschirr.

Anders in Preu?en. Hier begann — in diesem Jahr zwar langsam — schon der Fruhling. Der aufgeweichte Boden hing schwer an den Radern, und auf der Fahrt von Berlin nach Kol-berg, wo ein Schiff nach Memel liegen sollte, rief man oft die Bauern aus den Hausern oder von den Feldern, um die Rader aus dem Lehm zu ziehen.

Das besorgte mit scharfen Befehlen und oft auch mit den Schlagen eines langen Haselstockes, ganz im Sinne des Konigs, der Leutnant Johann von Stapenhorst, der mit einer Abteilung Kurassiere vor, hinter und neben dem wertvollen Transport ritt. Friedrich Wilhelm hatte die schwere Reitergruppe in ihrem blinkenden eisernen Kura?, eine Art Brustpanzer, zum Schutz beigegeben, obwohl Wachter meinte, es sei nicht notig.

«Er hat eine zu gute Meinung von den Menschen!«hatte der Konig zu ihm gesagt.»Merke Er sich eins: Es gibt mehr Halunken als Beter, und selbst die Beter werden zu Halunken, wenn es sich lohnt, zu stehlen und zu betrugen. Sei Er immer auf der Hut, Wachter! Das Gesindel ist uberall.«

Und so wartete au?erhalb des Schlosses die Abteilung Kurassiere auf das Bernsteinzimmer und nahm den Transport in ihre Mitte. Und so waren es nun zusammen mit den 108 Zugpferden und Wachters Apfelschimmel, den sechs Kutschpferden und den drei?ig Kavalleriegaulen 145 Pferde, die nach Osten zogen. Leutnant von Stapenhorst schien keine Ahnung zu haben, was er da bewachen sollte, denn gleich nach der Begru?ung fragte er Wachter:

«Was bringen wir denn da nach Kolberg? Ist es wertvoll?«

Und Wachter antwortete knapp:»Fragen Sie den Konig, Leutnant. Ich kann Ihnen nichts sagen.«

Die Fahrt bis Kolberg vollzog sich ohne Ereignisse bis auf den Schrecken, den jede als Ubernachtung ausersehene Garnison bekam, wenn die Kolonne einruckte. 145 Pferde, 66 Manner, eine Frau, ein Kind und einen Hund zu versorgen, und das aus dem Magazinbestand der Garnison, rief bei allen Kommandeuren tiefe Seufzer hervor, aber sobald Wachter den schriftlichen Befehl — die Order — des Konigs vorzeigte, brachte man heran, was der Transport brauchte. Ganz ohne Schwierigkeiten ging das plotzlich, bis auf Moritz, das Hundemonstrum mit dem braunwei? gefleckten Fell und den blauen Augen. Als der Koch einer Garnison ihm einen schon faulig riechenden Knochen hinwarf, beschnupperte Moritz das stinkende Etwas, hob dann den Kopf, starrte den Koch an und flog plotzlich mit einem gewaltigen Satz auf ihn zu, verbi? sich in seinen linken Oberschenkel und lie? nicht mehr los. Es half kein Schreien und Schlagen, kein Abschutteln.

«Ich bring sie um, die Bestie!«schrie der Gebissene.»Wartet nur ein wenig, ich hole mein Messer. Abstechen werd ich das Vieh!«

«Einen faulen Knochen habt Ihr ihm gegeben!«sagte Wachter streng.»Das beleidigt ihn.«

«Will er etwa ein gebratenes Huhnchen haben?«brullte der Koch.

«Das war schon was. Da hatte er Euch die Hand geleckt. Mein Moritz hat eine menschliche Seele.«

Dieser Ausspruch verbreitete sich schnell in der Garnison. Am Abend, als die Offiziere unter sich waren, fragte der Kommandeur, ein Obrist, den Leutnant von Stapenhorst:»Wer ist dieser Wachter?«

«Ein Vertrauter des Konigs… so nimmt man an. Er hat alle Vollmachten in der Tasche. Sein Pferd ist aus dem koniglichen Stall. Eine undurchsichtige Person.«

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