werde mit dem Konig sprechen.«»Sprechen? Wollt Ihr lahmgeprugelt werden, Wachter? Ein Geschenk kann man doch nicht zuruckholen! Wachter, haltet blo? den Mund. Nehmt es als eine Fugung Gottes. Der Konig wird eine andere Aufgabe fur Euch finden. Es gibt genug Dinge, die verwaltet werden mussen. Ich flehe Euch an: Es ist Schicksal… beugt Euch vor ihm…«

Wachter nickte ruckartig, als sei ihm der Kopf zu schwer geworden und falle nach vorn. Er klopfte Karl Urban auf die Schulter, drehte sich um, lie? seinen Blick uber das sonnenleuchtende Bernsteinzimmer schweifen und verlie? dann mit gesenktem Haupt den Raum.

Langst war der Zar weitergereist, als Freund von Preu?en und beeindruckt von dessen Armee, uber die er in Paris Wunderdinge zu berichten wu?te, als ein Lakai in die Wohnung des Herrn Friedrich Theodor Wachter kam und einen Befehl Friedrich Wilhelms uberbrachte:»Er komme sofort zu mir.«

Wachter sah zum Fenster hinaus. Es war schon dunkel, die konigliche Familie hatte wie ublich sehr einfach zu Abend gegessen. Es war eigentlich die Zeit, in der der Konig hinter seinen Akten sa?, die Militarausgaben durchrechnete und Berichte der verschiedenen Rechnungskammern las und mit Randbemerkungen versah. Rastloser Arbeiter, der er war, kummerte er sich um alles, von den Ertragen des Handels bis zur Urbarmachung versumpften Landes, von der Kleiderordnung seiner Soldaten bis zum hauslichen Frieden seiner Burger. Wie oft war er mit seinem Buchenstock zwischen streitende Eheleute gefahren, wenn er sie auf seinen Wanderungen durch Berlin bis auf die Stra?e keifen horte.

«Wann?«fragte Wachter erstaunt.

«Sofort. So steht's da.«

Wachter zog seinen blauen Rock an, seine Frau Adele reichte ihm die braune Perucke. Im Hintergrund des Zimmers, unter einem sechsflammigen Kerzenleuchter, sa? ihr zehnjahriger Sohn Julius und las in einem Schulbuch.

«Was will der Konig von dir?«fragte Adele Wachter besorgt.»Um diese Zeit? Hat der Urban, dieser Kriecher, dich verraten und von deinen Worten berichtet? Schlage wirst du bekommen, Fritz, das mindeste wird das sein. Vielleicht wirft er dich ins Gefangnis, steckt dich unter die Soldaten… Warum hast du nicht den Mund gehalten…«

«Wir wollen sehen, Deichen. «Er gab seiner Frau einen Ku? auf die Augen, knopfte den Rock zu und folgte dem Lakaien zum Arbeitskabinett des Konigs.

Friedrich Wilhelm arbeitete wirklich und sa? gebeugt uber lange Listen, als die Turwache ihn ins Zimmer lie?. Einen tiefen Diener machte Wachter und wartete dann an der Tur, was nun kommen wurde. Der Konig hob den Kopf und sah ihn an.»Trete Er naher«, sagte er mit ruhiger Stimme. Sie klang zwar immer noch befehlend, hatte aber nicht den Unterton des Zorns.»Komm Er hierher zu mir, ganz nah… Furchtet Er sich?«

«Nein, Majestat.«

«Das hat Er klug gesagt. Den Konig von Preu?en soll man nicht furchten, man soll ihn lieben. Auch wenn Er den Stock spurt — es ist nur zu seinem Guten. Er wei?, da? ich das Bernsteinzimmer dem Zaren zum Geschenke machte? Man hat es Ihm hinterbracht?!«

«Ja; Majestat.«

«Und, Wachter?«

«Ich bin traurig, Majestat.«

«Er wei? nicht, um was es geht, Er kennt nichts von Politik. Er soll's auch nicht wissen, denn Er begreift es doch nicht. Wachter, Er ist der Verwalter und Aufseher des Bernsteinzimmers? Ich erinnere mich, zweimal hat Er mir Meldung gemacht.«»Dreimal, Majestat.«

«Belehre Er mich nicht, Coujon!«Die Miene Friedrich Wilhelms verfinsterte sich.»Seit wann betreut er das Bernsteinzimmer?«

«Seit 1707, Majestat. Die Sockel- und Wandfelder waren fertiggestellt, die restlichen Weiterarbeiten ubernahmen die Bernsteinmeister Ernst Schacht und Gottfried Turow aus Danzig. Da hat Ihre Majestat Friedrich I. mich auf Lebenszeit beauftragt, uber das Bernsteinzimmer zu wachen. «Wachter schwieg und fugte dann leise hinzu:»Das sind nun zwolf Jahre.«

«Glaubt Er, Kanaille, ich konne nicht rechnen?«Die konigliche Faust sauste auf die Tischplatte.»Und nun kommt das Bernsteinzimmer weg. Wird nach Petersburg gebracht. Was hei?t nun auf Lebenszeit, Wachter? Ist sein Leben nun damit herum?«

«Fast, Majestat. Mir wird es das Herz brechen, wenn das Zimmer nach Ru?land kommt.«

Friedrich Wilhelm sah ihn lange und stumm an. Jetzt denkt er daruber nach, dachte Wachter, was er mit mir tun soll. Den Stock, das Gefangnis, der Zwangsdienst in der Armee oder ein einfaches Wegjagen ins Vogelfreie. Wie's auch sei… mein Leben ist nur noch wenig wert. Aber plotzlich sagte der Konig, und es ri? Wachter fast um, als sei er vom Blitz getroffen:

«Er ist ein treuer Diener des Konigs und der Krone. Ich habe Wohlgefallen an Ihm. Glaubt Er, ich trenne mich von meinem Bernsteinzimmer wie von einem Bandwurm im Gedarm?! Noch einmal sag ich's Ihm: Die Politik begreift Er nicht. Um Preu?ens Gro?e geht es. Ich will mich nicht wie mein Vater Konig in Preu?en nennen, sondern Konig von Preu?en… und dazu fehlt mir Vorpommern, die von den Schweden besetzten Gebiete. Sie gehoren zu Preu?en! Versteht Er das, Wachter?«»Ja, Majestat. Der Pakt mit dem russischen Zaren…«

«Genug mit dem Geschwatz!«Der Konig machte eine energische Handbewegung.»Was geht Ihn das alles an! Er hat fur das Bernsteinzimmer zu leben… und Er wird fur das Bernsteinzimmer leben. Wachter, Er begleitet das Zimmer nach Petersburg und wird bis zu seinem Tode bei ihm sein. Dem Zaren schicke ich ein Schreiben. Hat Er einen Sohn?«

«Ja, Majestat. «Wachter war die Kehle zugeschnurt, seine Stimme zerpre?te die Worte. Nach Petersburg… mit meinem Bernsteinzimmer zum Zaren… ich werde bei ihm bleiben. Herz, steh nicht still, halte es aus… Berlin mussen wir verlassen, aber in Petersburg werden wir leben, im Versailles des Ostens.»Julius ist zehn Jahre alt, Majestat.«

«Und Seine Frau?«

«Wird einunddrei?ig.«

«Und Er?«

«Bin dreiundvierzig.«

«Und nur ein Kind? Wachter, Er ist doch ein kraftiger Kerl, hat eine junge Frau — und nur einen Sohn?! Enttausche Er mich nicht in Petersburg, mach Er Seiner Frau noch einige Kinder, noch Sohne. Einer ist keine Garantie. Er kann sterben. Ich habe einen Auftrag fur Ihn… nicht zuletzt, weil ich meinen Vater trotz allem liebe. Wachter, schwor Er mir, heb Er die Hand hoch zu Gott…«

Der Konig erhob sich von seinem Stuhl und streckte ebenfalls drei Finger an die Decke. So feierlich war es, da? Wachter die Knie weich wurden und seine hochgestreckten Finger hin und her schwankten.

«Schwore Er bei Gott«- begann der Konig wie ein Prediger in der Kirche —»das Bernsteinzimmer nie zu verlassen, es zu pflegen wie Sein eigen Aug und Kind, mit Seinem Leben zu schutzen in allen Gefahren und Sorge zu tragen, da? immer ein Sohn die Pflege als Erbe ubernimmt, uber alle Generationen und Zeiten hinweg bis an der Welt Ende, solange auch das Bernsteinzimmer lebt.«

«Ich schwore es, Majestat.«

Wachter senkte den Kopf und die Hand. Es war nicht mehr zu ubersehen, er weinte.

«Sei Er keine Memme!«rief Friedrich Wilhelm und gab Wachter einen Klaps auf die gesenkte Stirn.»Weiber weinen, ein Mann steht immer aufrecht. Auch wenn Er jetzt sagen wird, Er weine aus Gluck.«

«Ich weine aus Gluck, Majestat — «

«Dann geh Er schnell weg von mir, bevor der Stock hupft. La? Er sich morgen hundert Taler von der Kasse auszahlen. Er soll nicht wie eine Vogelscheuche in Petersburg einziehen, sondern wie ein Vertrauter des Konigs von Preu?en. Er vertritt unser Land wie ein Gesandter. Ist Ihm das klar? Und wehe Ihm, wenn seine Nachkommen meinen Auftrag vergessen. Ob in hundert oder zweihundert Jahren… mein Fluch wird sie zerstoren! Ein Wachter hat ab heute die ewige Pflicht, Sohne zu zeugen und das Bernsteinzimmer zu pflegen. Und jetzt geh Er, ich habe genug mit Ihm geschwatzt…«

«Ist eine Frage noch erlaubt, Majestat?«

«Was?«

«Wann wird das Zimmer ausgebaut und nach Petersburg gebracht?«

«Noch in diesem Jahr, Wachter. Sonst im Januar des nachsten Jahres. Beeil Er sich also… Er hat lang genug

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