«Ich bin mit wenig zufrieden. Eine Krautsuppe, Grutze, kalter Braten mit Gurken und gesalzenen Zitronen, etwas Gemuse, und zum Dessert nichts Su?es, das stort meinen Magen, sondern nur Obst und Kase aus Limburg.«

«Von all dem haben wir bestimmt nichts im Haus. «Friedrich Wilhelm lachte drohnend.»Das hatte ich mal meinem Kuchenmeister befehlen sollen, der Schlag hatte ihn getroffen. Wie sind wir uns gleich, Peter. Eine Kanne Bier schmeckt auch mir besser als dieser franzosische Champagner. Und auf einem Holzschemel sitze ich ebenso gern wie auf einem Polster. Meinem Hintern ist das gleich.«

Der Zar folgte dem Konig zur Tur und blieb dort noch einmal stehen. Ein langer, glanzender Blick flog uber die goldschimmernden Wande des Bernsteinzimmers.

«Es gehort jetzt wirklich mir?«fragte er wie ein Junge, der uberraschend beschenkt worden ist.

«Sie konnen mit ihm anstellen, was Sie wollen.«

«Unfa?bar. Das werde ich Ihnen nie vergessen, Friedrich Wilhelm.«

«Vergessen Sie nicht Vorpommern… das ist mir hundert Bernsteinzimmer wert, Peter.«

Sie verlie?en das Eckzimmer, stiegen die Treppe hinunter zur gro?en Halle und trafen dort auf die wartenden Gaste des

Festmahls. Der Konig blieb auf der Treppe stehen und zupfte den Zaren am Armel.

«Da stehen sie, die mir die Haare vom Kopf fressen!«sagte er.»Sehen Sie sich die erwartungsvollen Fratzen an. Sie schmatzen schon in der Vorfreude. Ha, wer ist denn das?«Friedrich Wilhelms Blick blieb an einer Dame hangen, die mit tiefem Dekollete und prachtigen Brusten, mit langer Lockenperucke und seidenschimmernder Robe neben dem Fursten Net-jajew stand. Mit dem Finger zeigte er auf sie, und alle Blicke folgten der Richtung und starrten die Schonheit an. Der Zar lachelte breit. Sein Bart tanzte uber der Oberlippe.

«Natalja Jemilianowna ist es«, sagte er unbefangen.»Meine Reisematresse. Ich wei?, wie Sie daruber denken, Bruder, aber nicht nur der Magen sehnt sich nach Speise und Trank, nicht nur der Geist sucht das anregende Gesprach, das Herz stellt auch seine Forderungen. Natalja ist wie ein Steppensturm im Bett.«

«Mein Vater wurde sich jetzt wie ein Narr benommen haben. «Der Konig stieg wuchtig de letzten Treppenstufen hinunter.»Ich dulde Ihre Natalja an meinem Tisch, weil sie in Ihrer Begleitung ist, Zar Peter.«

Das Festessen konnte beginnen.

Es wurde ein Festmahl, wie man es im Berliner Schlo? so schnell nicht verga?.

Der Zar sa? rechts rieben der Konigin Sophie Dorothea, die Matresse Natalja links von ihm, und neben ihr hatte der Konig sitzen sollen. Friedrich Wilhelm anderte sofort die Sitzordnung, nahm den Stuhl neben seinem Fiekchen und befahl dem Grafen von Bulow, sich neben die» wei?en Kugeln «zu setzen, wie er das Dekollete der Gasenkowa bezeichnete. Ob dieser Wechsel Peter gefiel, war ihm gleichgultig. Hier war er der Hausherr, und das Haus des Konigs von Preu?en war ein sittliches Haus, ohne Dirnen, ohne Knabenliebhaber und ohne schleimige Kriecher. Neben Fiekchen hockte der Kronprinz Friedrich, unter sich einen kleinen Kissenberg, damit er uber die geschmuckte Tafel sehen konnte. An den Wanden aufgereiht standen die Lakaien, im Hintergrund spielte verhalten ein Streichorchester Musik von Handel, Scarlatti und Schutz. Man hatte am Hof einen Wink aus Petersburg bekommen: Bei offiziellen Essen liebte der Zar gern Musikbegleitung.

Peter I. war ein gro?er, ja grandioser Esser. Wie befurchtet, konnte er mit der ihm gereichten Serviette aus feinstem Damasttuch nichts anfangen, ging mit Messer und Gabel sehr ungeschickt um, vergo? Sauce und leckte seine Finger ab. Als Bratensaft auf seine Weste spritzte, machte ihn das nicht verlegen, nein, er schabte mit seinem Daumen den Saft von seinem Anzug und steckte dann den Daumen in den Mund.

«Es schmeckt vorzuglich, Madame«, sagte er zu Sophie Dorothea.»Der Fasan ist zart wie eine Madchenbrust. Man bei?t hinein und hat die Seligkeit im Mund.«

Er sagte das so laut, da? jeder am Tisch es verstand, auch die Prinzessin Wilhelmine, die den Kopf senkte und leise vor sich hinkicherte. Sie sa? zu weit weg von ihrem Vater, sonst hatte Friedrich Wilhelm mit seinem Buchenstock uber den Tisch gelangt und ihr einen Schlag versetzt.

Aber wutend war er allemal uber die Bemerkung des Zaren, die man in einem Mannerkreis machen kann, aber nicht vor den Damen, und da Friedrich Wilhelm nicht daran gewohnt war, eine Wut zu unterdrucken, sondern ihr immer freien Lauf lie?, suchte er nach jemandem, der den Zorn auffing. Sein Blick traf auf einen Lakaien, der ihm gegenuber an der Wand stand und fur das Wohlergehen des Generals Odojewskij zu sorgen hatte. Sein Weinglas war leer, Grund genug, den unaufmerksamen Lakaien zu strafen.

Schon beim Platznehmen an der Tafel hatte der Zar mit Verwunderung gesehen, da? zwei Pistolen neben dem Gedeck des Konigs lagen, und er hatte schon fragen wollen, ob der Konig Angst vor einem Attentat wahrend des Essens habe. Erstaunt sah Peter jetzt, wie der Konig aufsprang, eine Pistole ergriff, hochri? und auf den erbleichenden und zitternden Lakaien anlegte.»Er Coujon!«brullte Friedrich Wilhelm.»Sieht nicht ein leeres Glas. Schlaft im Stehen.«,

Der Schu? krachte, aber aus dem Pistolenlauf zischte keine

Kugel, sondern eine Wolke von groben Salzkristallen. Sie traf den armen Lakaien mitten ins Gesicht, ri? kleine Locher in die Haut, er wandte sich ab, rannte aus dem Saal und begann, hinter der Tur bitterlich zu weinen.

Der Zar blickte amusiert uber die Festgesellschaft. Seine Russen waren starr vor Staunen, die preu?ischen Herrschaften zeigten keinerlei Entsetzen — sie a?en ungeruhrt weiter, als sich Friedrich Wilhelm wieder setzte und die abgeschossene Pistole mit der Salzladung neben seinen Teller legte. Sie kennen das, dachte Peter. Eine der vielen Marotten des preu?ischen Konigs — man sollte sie sich merken.

Furst Netjajew und General Odojewskij wechselten einen schnellen Blick. Der Zar hatte wieder etwas gelernt, er lernte ja dauernd und uberall, fallte Baume, sagte Balken, schnitzte Elfenbein, schmiedete Hufeisen und zog sogar Zahne. Zuruck in Petersburg wurde er nun mit einer Salzpistole um sich schie?en und seine gro?e Freude haben, die Lakaien und Pagen hupfen zu sehen.

Gott schutze Ru?land… es konnte auch mal eine Kugel statt grobem Salz im Lauf stecken.

Nach dem Dessert erhob sich der Konig und loste die Tafel auf. Die Damen versanken in einem tiefen Knicks vor den Zaren und verlie?en den Saal, die Herren blieben zuruck, um unter Fuhrung des Konigs in das Rauchkabinett zu gehen, wo Branntwein, Bier und ungarischer Rotwein auf sie warteten. Nur die Matresse Natalja Jemilianowna blieb auf einem Wink Peters zuruck, alle Mannerblicke auf ihr tiefes Dekollete ziehend. Friedrich Wilhelm wolbte die Unterlippe vor. Einem Gast wie dem Zaren kann man nicht sagen, da? eine Hur nicht in den Kreis der Manner gehort. Nicht am Hof von Preu?en.

«Ihr Salzgescho? war beeindruckend — «sagte Peter zu Friedrich Wilhelm und lachte. Dabei legte er den Arm um die schmale, geschnurte Taille der Matresse und klopfte ihr ungeniert auf den Hintern.»Es zeigt Ihre Macht uber die Menschen, Ihre souverane Starke. Ich habe auch ein Zeichen, das jeder versteht. Sehen Sie zu, liebster Freund…«

Er griff auf den Tisch, hob einen Silberteller hoch und fa?te ihn mit beiden Handen. Und dann begann er, ohne Anstrengung, den Silberteller aufzurollen, so wie man ein Stuck Papier zusammenrollt. Die Gasenkowa klatschte in die Hande, der Konig starrte etwas sauer auf den zerstorten Teller, und der Zar uberreichte ihm die Silberrolle, als sei sie ein Zepter.

«Eine kleine Erinnerung«, lachte er dabei.»Begreifen Sie nun, warum meine kleine Natalja immer bei mir ist? Wo soll ich hin mit meiner Kraft?«

Er ist wirklich ein sibirischer Bauer, dachte Friedrich Wilhelm. Dagegen bin ich ein gerechter Hausvater. Potz Blitz und Kanonen… er ist grober als ich. Das hat nun Fiekchen auch gesehen. Wie mich das beruhigt…

«Zu den Pfeifen und Branntwein!«kommandierte Friedrich Wilhelm gutgelaunt. Zwei Diener rissen die Ture zum Rauchkabinett auf.»Lassen wir's uns schmecken, meine Herren… nachher werden wir die Truppen besichtigen.«

Im Lustgarten war das 1. Bataillon des 1. Garderegiments zu Fu?, die Langen Kerls, angetreten und wartete auf den Konig und seinen Besuch, den Zaren von Ru?land. Fur diese Parade hatte man wochenlang geubt, hatte man herumgeschrien, hatten die Unteroffiziere und Feldwebel mit ihren Stocken auf die Soldaten eingeprugelt, wenn die Richtung nicht stimmte, wenn der Gleichschritt aus dem Rhythmus kam, wenn die Wendungen zu mude waren und die Kampfubungen aussahen wie das Spielen mit Kinderholzgewehren. Der Kommandeur der Garde, Oberst von Rammstein, hatte jeden Tag die Truppe inspiziert und eine Stunde lang den Ubungen zugesehen. Vorzuglich klappte alles, aber zufrieden war er nicht. Ein Kommandeur darf nie zufrieden sein, es macht die Soldaten ubermutig und faul. Nach diesem selbstgedrechselten Spruch handelte von Rammstein, schnauzte die

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