da? er nicht neidisch zu sein hat vor dem Hof in Versailles. «Er wanderte in dem kargen Zimmer umher, mit stampfenden Schritten, die Hande auf den Rucken gelegt.»Am 14. November 1706 haben wir geheiratet, Fiekchen. Bis Weihnachten lie? mein Vater die Taler springen und die Seidenrocke tanzen, fressen und saufen. Ballette fuhrte er auf, Opern, Konzerte, Komodien, Maskenspiele, Festbeleuchtungen und Feuerwerke. Und — ich hab's nicht vergessen und mir die Zahlen gemerkt — an unsere Kuche mu?ten die Bauern aus allen Provinzen als >Geschenk< abliefern: 7600 Huhner, 1102 Puten, 1000 Enten, 650 Ganse und 640 Kalber. Und alles wurde kahlgefressen! Aber nicht bei mir, Fiekchen! Ich verfresse nicht den Staat… ich bin der erste Diener des Staates. Auch wenn der Zar von Ru?land kommt, die ewige Seligkeit ist vor Gott — alles andere mu? vor mir sein!«

Sophie Dorothea, obwohl vollig anderer Ansicht, vermied es, gerade heute den Konig noch mehr zu reizen. Was er gerade gesagt hatte, war sein Wahlspruch Nummer eins. Der zweite lautete: Menschen achten fur den gro?ten Reichtum, und der dritte enthielt alles, was das Ziel seines Lebens war: Ich stabilisiere die Souveranitat und setze die Krone fest wie einen ehernen Fels. Es war klar, da? man deshalb mit ihm kaum diskutieren konnte und schon gar nicht anderer Meinung zu sein hatte, denn auch hier hatte Friedrich Wilhelm deutlich gesagt, da? nur sein Wort galt. In seiner beruhmten Antrittsrede als Konig schleuderte er den Ministern ins Gesicht:

«Sollte jemand unter Ihnen sein, der neue Kabalen anfangt, so werde ich ihn auf eine Weise zuchtigen, die ihn verwundern wird. Man moge sich merken, da? ich weder Rat brauche noch Rasonnement, sondern Gehorsam!«

«Noch nicht einmal ein Plan der Veranstaltungen liegt vor«, sagte Sophie vorsichtig.»Die Minister sind verzweifelt, die

Generale haben keine Order von Ihnen, ein Verwaltungsrat soll bereits geweint haben, weil er nachher wieder der Schuldige sein wird…«

«Was er herausweint, braucht er nicht auszupinkeln…«

Sophie Dorothea sa? steif und aufgerichtet in ihrem Sessel. Was fur Manieren!» Sie mussen doch dem Zaren etwas zeigen! Ein Programm mu? gemacht werden…«

«Er wird genug sehen, der Petersburger Bar. Mir wird einiges einfallen.«

«Ja. Exerzierubungen, Paraden Ihrer Grenadiere und Fusiliere, der Kavallerie und Artillerie, Ihre Garde wird stampfen wie eine Herde Stiere…«

«Fiekchen, la? mir meine Langen Kerls in Ruhe. «Der Konig blieb vor ihr stehen und reckte sich. Auf seine Gardegrenadiere lie? er nichts kommen. Jegliche Kritik wischte er mit einer Handbewegung weg oder brullte sie so nieder, da? niemand mehr wagte, ein Wort daruber zu verlieren.

Nur einmal, bei einer frohlichen Runde in seinem beruchtigten Tabakskollegium in Potsdam, einem achteckigen Pavillon mit einer hohen Turmspitze, den er auf einer Insel im Faulen See bauen lie?, nicht zuletzt wegen des ihn erheiternden Namens, in dieser absoluten Mannergesellschaft von Freunden und Generalen, zu der jedem Frauenzimmer der Eintritt verboten war, sagte er, indem er seinen» Heeresfinanzminister «Generalleutnant von Grumbkow anstarrte:

«Meine Langen Kerls verpflege ich von meinem Menu Plaisir, weil ich doch in der Welt in nichts Plaisir finde als in einer guten Armee!«

Menu Plaisir… das war sein Ausdruck fur Taschengeld.

«Der Zar wird genug zu sehen bekommen, au?erdem ist er in Eile und nur auf der Durchreise nach Frankreich und Holland. Gib ihm was zu Kauen und zu Saufen, fuhr ihm unsere Kinder vor, entschuldige dich, da? hier nicht wie in Versailles eine Kompanie parfumierter dummer Kuhe als Matressen herumlaufen… fur alles andere werde ich sorgen.«

Es klopfte kurz, dann wurde die Tur aufgesto?en, und Prinzessin Wilhelmine kam ins Kabinett. An der Hand zog sie den vierjahrigen Kronprinzen Friedrich mit ins Zimmer, er wehrte sich zaghaft, stemmte die Beinchen gegen das Parkett und versuchte, sich durch Rucken dem Griff seiner alteren Schwester zu entziehen. Es gelang ihm nicht. Wilhelmine, sieben Jahre alt, war starker. Er war ein schmalgliedriger, hubscher Junge mit hellen wachen Augen und einem erstaunlich weichen Mund, von dem sein Vater sagte:»Kommt er im Kollegium an die Pfeife, werden wir einen Mann aus ihm machen! Der Kronprinz von Preu?en mu? ein Kampfer sein!«

«Welch ein unwurdiges Schauspiel!«sagte Friedrich Wilhelm laut.»Der Kronprinz la?t sich von einem Frauenzimmer herumzerren! Warum wehren Sie sich nicht?!«

«Sie ist meine Schwester, Papa.«

«Wer bin ich?«schrie der Konig mit drohnender Stimme.»Pardon… mein Vater. «Der Kleine hatte sich jetzt aus dem Griff Wilhelmines befreit und eilte zu seiner im Sessel sitzenden Mutter.

«Er hat Angst!«rief die Prinzessin.

«Halt's Maul!«brullte der Konig.»Ein Kronprinz hat keine Angst zu haben.«

«Er furchtet sich vor dem Zaren, Vater.«

«Fritz — «

«Vater?«Der Kleine, eng an seine Mutter gedruckt, nahm seinen kleinen Mut zusammen und sah seinem Vater voll in das strenge Gesicht.

«Du hast Gott zu furchten… sonst keinen. Ein Zar ist kein Gott, auch wenn die Russen oft so tun, als sei er einer!«

«Man erzahlt sich bose Dinge uber ihn, Vater. Dinge, die Fritz angstlich machen«, sagte die kleine Prinzessin furchtlos.»Ist das alles wahr?«

«Was soll wahr sein?«

«Der Zar soll mit den Fingern essen… mit den Saucen spritzt er um sich… wischt sich den Mund mit dem Handrucken ab. Wenn er Huhner oder Fasanen i?t, wirft er die abgenagten Knochen uber den Tisch, und wen er trifft, der mu? aufstehen, sich tief verneigen und sagen: Erhabener Zar, ich danke fur den Orden. Er soll geeiste Sahne den Damen in den Busen gegossen haben, und der Furstin Trubetzkoj schob er mit eigener Hand Fruchte in Gelee in den Mund und druckte mit den Fingern nach, damit es rascher ging. Sie ware bald erstickt…«Sophie Dorothea schlug die Hande zusammen. Der Konig winkte mit dem Zeigefinger, gehorsam kam die kleine Wilhelmine naher.»Wer erzahlt solche Sachen?«

«Ich wei? es nicht, Vater. Ein paar Manner standen zusammen, und ich horte, was sie sagten.«

«Du hast gelauscht?«

«Ja, Vater.«

Mit schnellem Griff fa?te Friedrich Wilhelm nach seinem immer in der Nahe liegenden Buchenstock, schwang ihn durch die Luft.

«Mein Kind schleicht herum und belauscht fremde Manner. Eine Prinzessin von Preu?en! Und sie glaubt auch noch, was sie hort! Hast du den Stock verdient?«

«Ja, Vater.«

«Und wenn der Zar morgen nackt an unserem Tisch sitzt… wir sehen so etwas nicht. Er ist ein Souveran und kann machen, was er will.«

Sophie Dorothea hatte den Kronprinzen umfa?t und zog mit der anderen Hand die Prinzessin zu sich.

Der Konig legte den Stock auf den Tisch.»Der Zar ist ein guter Soldat… da darf er auch am Tisch rulpsen!«

Am Vormittag des nachsten Tages traf die Reisekolonne von Peter I. in Berlin ein.

Er reiste, wie oft, nur mit kleinem Gefolge… vorweg zehn Reiter in der grunen Uniform des Regimentes Preobraschenskij, dann, in einer einfachen, aber stabilen Kalesche, der Zar mit seiner Begleitung, dahinter ein paar Wagen mit Lakaien, Pagen, seinem Lieblingsmohr Abraham Petrowitsch Hannibal und dem Zwerg Lewon Uskow. Den Schlu? bildete eine verhangte Kutsche, in der zusammen mit zwei Zofen die gegenwartige Matresse des Zaren sa?, die schone Natalja Jemilianowna Gasenkowa, eine glutaugige Armenierin, deren Mann von Peter I. zum Verwalter des Munitionsdepots der Peter-und-Pauls-Festung ernannt worden war. Eine kleine

Kolonne also fur einen Zaren, fur einen der machtigsten Manner der Welt.

Friedrich Wilhelm trat vor die Tur, als sein Gast vor dem Schlo? vorfuhr, so wie es sich fur einen Hausvater gehorte. Er hielt nicht viel von einem prunkvollen Empfang mit angetretener Ehrengarde, Trompeten- und Fanfarengeschmetter, wehenden Fahnen, sich verneigenden Ministern und kichernden Ehrenjungfrauen, einem Spalier von Lakaien und Hoflingen. Allein, hinter sich nur seinen Freund, den Freiherrn von Poll-nitz, stand er unter der Tur, in einem einfachen Rock, gestutzt auf seinen Buchenstock und auf dem Kopf eine biedere dunkelbraune Perucke mit einer Rollenlocke an jeder Schlafe. Genau vor dem Eingang des Schlosses lie? der russische Kutscher die Kalesche ausrollen und hielt ganz vorsichtig die Pferde an, um jeden Ruck zu vermeiden und den Zaren nicht

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