«Erzahl, Vaterchen, erzahl — «

«Das dauert lange, Janaschka.«

«Jetzt haben wir Zeit. Jeden Abend werde ich zu dir kommen. Alles mu? ich vom Bernsteinzimmer wissen… Nikolaj und ich werden es ja einmal von dir ubernehmen. Lehn dich zuruck, Vaterchen, trink einen Schluck und erzahle mir von Konigen, Zaren und Zarinnen und ihrem wilden Leben.«

Und Michael Wachter begann zu erzahlen.

Friedrich Wilhelm I

Eine Aufregung war das! Ein Hasten und Schimpfen, ein Putzen und Wienern, ein Schrubben und Bohnern, da? den Mamsellen die Rucken wehtaten und die Lakaien Blasen an den Handen bekamen. Der Haushofmeister schrie herum — er war einer der wenigen Hofbediensteten, die nach der Thronbesteigung des Konigs 1713 nicht den sofort folgenden Reformen zum Opfer gefallen waren. In der Kuche wurden Fasanen und Huhner gerupft, Krauter gehackt und Gemuse abgekocht, die Silbertabletts poliert und die Geschirre und Bestecke kontrolliert.

Am aufgeregtesten war Sophie Dorothea selbst, die Konigin von Preu?en. Zwischen Kuche, Empfangssaal, Gastezimmer und Kabinett des Konigs rannte sie hin und her und fiel schlie?lich erschopft in einen Sessel im Arbeitszimmer des Preu?enherrschers.

«Diese Ruhe!«sagte sie mit fliegendem Atem.»Ihre Ruhe… sie zerrei?t mich noch! Um alles mu? ich mich kummern… und was tun Sie?! Sie stehen am Fenster und sehen dem Exerzieren Ihrer Riesengarde zu!«

«Wie notig das ist! Die Grenadiere des Zweiten Bataillons sollten den Stock spuren! Sie marschieren wie lahme Enten! Keine Richtung halten sie. In Falten hangen die Strumpfe! Er soll was erleben, der Kommandeur des Zweiten Bataillons! Dieser trage Saukerl! Zum Teufel jage ich ihn! Nach Ostpreu?en, wo es am einsamsten ist! Dort kann er Gemuse anbauen und Huhner exerzieren.«

Friedrich Wilhelm, trotz seiner achtundzwanzig Jahre schon dicklich und behabig, mit einem runden Gesicht, kraftigen Armen und stammigen Beinen, trat vom Fenster weg in das Kabinett und prustete seinen Zorn hinaus. Sein Gesicht war gerotet, seine Augen verrieten urplotzlich aufbrechenden Jahzorn und wilde Entschlossenheit.

Als sein Vater, Friedrich I., am Sonnabend, dem 25. Februar

1713, starb und der Kronprinz Friedrich Wilhelm nun den Thron bestieg, ahnte das ubrige Europa, was sich da in Preu?en alles verandern wurde. Der englische Hof hatte schon fruh Beschwerden verlauten lassen, nannte den rauhen Unteroffizierston, mit dem er die Diplomaten behandelte, eine Brutalitat des Kronprinzen, und in Frankreich sah man mit Sorge nach Berlin, da man unterrichtet war, da? die Politik des kommenden Konigs sich von der seines Vaters grundlegend unterscheiden wurde. War Friedrich I. noch ein lebensfroher Herrscher mit franzosischen Alluren gewesen, zu denen Prunk, Prachtentfaltung, Vollerei und Matressen gehorten, dann kam mit seinem Sohn ein anderer Wind nach Preu?en: Armee und Finanzen, Familie und das einfache Leben waren die Eckpfeiler seines Lebens. Der franzosische Gesandte druckte es so aus:

«Der neue Konig hat keine anderen Umgangsformen als Kommandieren und Ordreparieren, er strebt seine Ziele, und das ist in erster Linie der Ausbau der Armee, mit Gewalt und skrupelloser Einseitigkeit an. Er hat sich vorgenommen, einen vollig neuen Typ von Offizieren und Beamten zu schaffen. Er ist der Garant eines absoluten Militarismus.«

Die erste Ansprache Friedrich Wilhelms I. nach seiner Thronbesteigung an die Minister war deutlich genug, allen zu zeigen, was ihnen bevorstand. Der hollandische Gesandte Lintelo erlebte diese Vorstellung und schrieb in seinem Bericht:»Der Konig sagte mit gro?em Ernst und kraftigem Nachdruck zu uns allen, also auch zu mir: >Mein Vater fand Freude an prachtigen Gebauden, gro?en Mengen Juwelen, Silber, Gold und au?erlicher Magnifizenz… erlauben Sie, da? ich auch mein Vergnugen habe, das hauptsachlich in einer Menge guter Truppen besteht.< Ohne Zweifel haben wir es mit einem Herrscher zu tun, der eine neue Regierungsform demonstrieren wird. Er berat nicht mit seinen Ministern und Administranten, er erteilt nur Befehle mit schnarrendem Kommandoton und duldet keinen Widerspruch. Wir werden von dem neuen Preu?enkonig noch viele Uberraschungen erwarten konnen.«

Der hollandische Gesandte hatte die Lage richtig beurteilt und vorausgesehen: Friedrich Wilhelm raumte zunachst im eigenen Hause auf. Vorbild sein, das war seine erste Devise. Sofort schaffte er den Millionen verschlingenden Hofstaat seines Vaters ab, und ab sofort gab es auch keine prachtigen Hoffeste mehr, mit ein paar Ausnahmen, wie bei Staatsbesuchen fremder Fursten oder bei Hochzeiten in der weit verzweigten Verwandtschaft. Die Hofbediensteten schaffte er weitgehend ab, die Pagen steckte er in die Kadettenanstalten, die Lakaien mu?ten den Uniformrock der Soldaten anziehen, de Ausgaben fur Kuche und Keller wurden rigoros zusammengestrichen, was eine Einsparung von jahrlich 400 000 Taler bedeutete, ein Betrag, der sofort in die Vergro?erung der Armee flo?. Aber damit nicht genug, das Heulen und Zahneklappern begann erst noch: alle Gehalter wurden gekurzt. Ob Minister oder Beamte, Generale oder sonstige Offiziere, jeder wurde kurzer gehalten und zahlte diesen»Uberschu?«in die Armeekasse ein.

Verblufft, ja geradezu erschrocken war Friedrich Wilhelm, als er nach dem Tode seines Vaters eine geheime Schatulle entdeckte, in der Gold- und Silbermunzen im Werte von 2,5 Millionen Taler lagen. Sofort machte er sich ans Rechnen, zahlte den ererbten Reichtum und die zukunftigen Einkunfte zusammen und lie? seinen zwolf Jahre alteren Freund und Helfer ins Stadtschlo? bitten, den Reichsfursten Leopold von AnhaltDessau, der einmal der» Alte Dessauer «hei?en sollte.

«Furst — «sagte Friedrich Wilhelm zu ihm, als sie die Rechenzeilen durchgesehen hatten,»ich bin reicher, als ich gedacht habe… diese Taler sind genug, um unser Heer auf 60 000 Mann zu vergro?ern.«

Und Furst Anhalt-Dessau hatte geantwortet:»Das ist ein gutes Erbe. Ich helfe Ihnen, Majestat, Preu?en zur unbesiegbaren Militarmacht zu machen.«

Es war die Geburtsstunde des» Soldatenkonigs«. Das gro?e Sparen wurde zum Leitmotiv. Friedrich Wilhelm selbst ging mit einem Beispiel voran, das Sophie Dorothea uberhaupt nicht gefiel. Das noch nicht in allen Teilen ausgebaute Berliner Stadtschlo?, entworfen von dem beruhmten Andreas Schluter und von Hofbaumeister Eosander gebaut, blieb, wie es war — der spartanischste Sitz, den je ein Konig bewohnt hatte. Eo-sander, von Friedrich Wilhelm entlassen, ging nach Schweden; der gro?e Schluter fuhr 1713 nach Petersburg und kam nicht mehr zuruck. Die Erzgie?erei des Meisters Johann Jakobi, bei der Schluter sein beruhmtes Reiterstandbild des Kurfursten Friedrich Wilhelm, dem Gro?vater des neuen Konigs, gie?en lie?, mu?te sich umstellen — statt Denkmaler go? sie jetzt Kanonen.

Sophie Dorothea, von Friedrich Wilhelm zartlich Fiekchen genannt, wenn sie allein waren in den schmucklosen, fast kahlen Raumen, die sie bewohnten, schlug mit der Faust auf die Lehne des Sessels. Sie war eine schone, stolze, aber auch eine kuhle und beherrschte Frau, die wenig Angst vor ihrem koniglichen Gemahl hatte, vor allem nachdem sie ihm den Thronerben, den Kronprinzen Friedrich, 1712 geboren hatte. Auch jetzt war sie wutend, was sich mit dem Zorn des Konigs uber das schlappe Zweite Bataillon vermischte.

«Horen Sie mir uberhaupt zu?«rief sie.»Es ist, als habe jeder den Verstand verloren.«

«Wer keinen hat, kann ihn nicht verlieren. Wozu die Aufregung?«

Er blieb vor ihr stehen, sein wutender Blick milderte sich; Immer, wenn er Fiekchen ansah, wurde ihm bewu?t, wie glucklich er mit ihr war.

«Wozu?!«rief sie emport.»Wenn uns der Zar schon mit seinem Besuch beehrt…«

«Was wei?t denn du, was er will, Fiekchen? Kommt er, um einen fetten Kapaun zu essen, eine gute Pfeife zu rauchen und einen Krug Bier zu leeren? Er kommt, um mich in den Nordischen Krieg hineinzuziehen. Hilfe von mir gegen Karl XII. von Schweden will er. Da kann es ihm gleich sein, ob er eine Kohlsuppe oder einen Fasan i?t, ob er in einem Holzbett schlaft oder auf weichem Damast. Wer etwas von mir will, mu? sich nach meiner Fasson richten!«

«Preu?en wird sich blamieren! Morgen blickt die Welt auf uns.«

«Mit dieser Armee — «der Konig streckte den Arm zum Fenster hinaus»- ist es mir einen Schei?haufen wert, was andere

Souverans uber mich denken! Sie sollen sich um ihr Matressenpack kummern und nicht um mich. Sie werden einmal Preu?en bestaunen und furchten. Eine gro?e Tafel fur den Zaren! Ich mu? sparen! Wei?t du noch, wie das bei unserer Hochzeit war? Mein Vater wollte der Welt zeigen, was fur ein Kerl er ist, wieviel Geld er hat,

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