Koch das Zimmer verlassen hatte.

Oberschwester Frieda wartete in ihrem Zimmer auf Jana Petrowna, wie eine besorgte Mutter auf ihre zum erstenmal allein ausgehende Tochter wartet. Man sah, wie sie aufatmete, als Jana ins Zimmer kam.

«Wie war es?«fragte sie.»Warst du im Schlo?museum? Was hast du gesehen?«

«Viel, Oberschwester. «Jana setzte sich, nahm ihr Haubchen ab und schuttelte ihre schwarzen Locken.»Aber es war ein falscher Entschlu?.«

«Wieso?«Der Fleischturm beugte sich etwas vor.»Was gefallt dir nicht am Schlo?museum?«

«Ich habe Gauleiter Koch kennengelernt. Am Mittwoch will er mit mir zu einem Jagdschlo?chen fahren.«

«Dieses abscheuliche Schwein!«sagte Frieda und schnaufte laut durch die Nase.»Du bleibst hier!«

«Der Gauleiter will mit Ihnen sprechen…«

«Soll er!«Frieda Wilhelm! richtete sich zu voller Gro?e auf.»Alle haben sie Angst vor dem Schwein… ich nicht!«

«Er ist machtiger als Sie, Oberschwester.«

«Ein Dummkopf ist er! Ein primitiver Affe!«Sie hob die Augenbrauen und musterte Jana Petrowna verargert.»Oder willst du mit ihm ins Bett? Eine seiner vielen Huren werden? Nach zwei Wochen wirft er dich weg. Du wirst irgendwohin versetzt, nur damit du nicht mehr in seiner Nahe bist.«

«Und wenn ich mich weigere… auch. Oberschwester, ich habe Angst.«

Auf der Bettkante sa? sie, die Hande ineinander verschlungen, ein Haufchen Hilflosigkeit. Es gab nur einen Ausweg: die Flucht. Wieder untertauchen in die Anonymitat. Nur so war es moglich, in der Nahe von Vaterchen Michail und dem Bernsteinzimmer zu bleiben.

«Warten wir es ab, Kindchen. «Frieda Wilhelmi war so schnell nicht zu schrecken, ebensowenig wie man sie nicht zahmen konnte, wenn ihr Zorn alle Damme brach. Da half nur noch der Ruckzug… die Arzte, ohne Ausnahme, hatten sich darauf eingestellt.

«Sie ist unersetzbar«, hatte Chefarzt Dr. Pankratz einmal wahrend einer Arztebesprechung gesagt.»Ohne Frieda hatten wir hier ein Chaos… aber ein Drachen ist sie trotzdem!«

«Am Mittwoch?«sagte sie jetzt nachdenklich.»Da sind wir gar nicht im Haus. Da sitzen wir im Kino und sehen uns den Za-rah-Leander-Film an. Und jetzt, Kindchen, koch uns einen starken Kaffee… ich habe wieder ein Pfund organisiert.«

Am Mittwoch abend erschien jedoch nicht Koch selbst, um Jana abzuholen, sondern Gauamtsleiter Bruno Wellenschlag, der Vertraute fur alles. Er hielt mit einem unauffalligen neutralen Wagen, einem Adler, vor dem Krankenhaus und wandte sich an den Pfortner. Da er nicht seine Uniform, sondern Zivilkleidung trug, war alles noch unauffalliger.

«Ich mochte Schwester Jana abholen«, sagte Bruno.

«Jana? Kenn ick nich. Welche Station?«Der Pfortner blickte auf sein Telefonverzeichnis.»Hier laufen so viel Schwestern rum…«

«Sie arbeitet bei der Oberschwester.«

«Bei Frieda? Mann, haben Sie nichts Leichteres anzubieten?!«Der Pfortner musterte den Besucher. Wellenschlag sah nicht ubel aus… einundvierzig Jahre, vom Alkohol etwas aufgeschwemmt, ein rosiges Gesicht, listige Auglein, volle Lippen, ein Genu?mensch. Und diese Jana war bestimmt zwanzig Jahre junger. Na ja, wo die Liebe hinfallt. Im Krieg gibt's nicht mehr viel Auswahl… waren ja alle an irgendwelchen Fronten, vom Eismeer bis nach Afrika.»Ich versuche, anzurufen. Und wenn ick Frieda an der Muschel habe, kriegen Sie das Telefon. Aber atmen Sie tief durch.«

Der Pfortner wahlte die Nummer von Friedas Buro, wartete, lauschte, zuckte dann mit den Schultern und legte wieder auf.»Nichts, mein Herr.«

«Unmoglich. Schwester Jana wei?, da? sie abgeholt wird.«»Aber bei Frieda ist keener.«

«Vielleicht ist sie auf irgendeiner Station.«

«Um die Zeit nicht mehr. Jetzt sind die Nachtschwestern schon dran. «Der Pfortner grinste breit.»Soll vorkommen, da? 'n Madchen einen versetzt…«

«In diesem Fall ist auch das vollkommen unmoglich«, sagte Wellenschlag etwas hochmutig.»Telefonieren Sie mal rum…«»Bitte, bitte… wenn Sie sich so sicher sind…«

«Das bin ich.«

Wellenschlag lachelte mokant. Wenn du wu?test, alter Knabe, da? ich hier fur den Gauleiter stehe, wurdest du deinen Hintern ganz anders in Bewegung setzen. Los, hol mir schon die Jana heran!

Der Pfortner tat sein Moglichstes. Er lautete alle Stationen an, sogar die Arztzimmer — Junge, Junge, hat man da schon Dinge erlebt — und legte dann resignierend den Horer wieder aus der Hand.

«Fehlanzeige. Weder Frieda noch eine Jana sind im Haus. Tut mir leid. Wird fur Sie jetzt 'n langweiliger Abend werden, nicht wahr?«»Ich glaube kaum. «Bruno dachte an Koch und wappnete sich innerlich, das Toben des Gauleiters zu ertragen. Es war das erstemal, solange Wellenschlag bei Koch war, da? eine Frau ihm auswich. Koch war nur an ein Ja gewohnt, nicht an ein Nein. Meine liebe Jana, wer du auch bist… das gibt Komplikationen. Das vergi?t der Erich dir nie! Dir steht ein schweres Leben bevor.

«Da kann man nichts machen«, sagte Wellenschlag und hob die Schultern.»Weiber! Bis spater…«

«Was hei?t spater?«

«Ich werde wiederkommen, das ist doch klar. Morgen, ubermorgen, was wei? ich?! Gute Nacht.«

«Gute Nacht.«

Der Pfortner sah Wellenschlag nach, bis er hinter der Eingangstur verschwand. Gib's auf, Manneken, dachte er. Wenn Frieda diese Jana unter die Fittiche genommen hat, verdruck dich lieber. Es ist aussichtslos.

Es war seltsam und fur Wellenschlag ein vollig neues Erlebnis, da? Erich Koch nicht wie ein angestochener Stier tobte. Er horte sich ruhig an, was Bruno berichtete, sagte dann:»Es ist gut. Du kannst nach Hause gehen, Bruno«, und zog seine Anzugjacke wieder aus. Aber dann fugte Koch noch etwas hinzu, auch mit ruhiger Stimme, und jetzt begriff Wellenschlag, wie gefahrlich er war:»Ich will alles uber diese Jana wissen… besorge mir ihre Personalakte.«

Wellenschlag nickte und verlie? die prunkvolle Gauleiter-Villa. Ware ich ein Buchhalter, dachte er, konnte ich jetzt den Namen Jana als erledigt abhaken.

War es die Scheu, als Gauleiter selbst mit Oberschwester Frieda Wilhelmi zu sprechen und damit offiziell sein Interesse an Jana Petrowna zu bekunden — was eigentlich gar nicht zum Charakter von Koch pa?te, dem vollig gleichgultig war, was die Menschen von ihm dachten, solange sie das taten, was er befahl —, oder dachte er sich einen anderen Trick aus, um das hubsche Schwesterchen wiederzusehen? Bei Wellenschlag sorgte Kochs Ruhe fur Verwirrung und schweres Ratselraten.

Donnerstag, Freitag und Samstag gingen herum, ohne eine Aktion von Seiten Kochs. Auch die Telefonverbindung mit Puschkin klappte nicht… dreimal war unter gro?en Schwierigkeiten und vielen Umschaltungen der Stab des 50. Armeekorps erreicht worden, aber schon nach den ersten Worten brach die Verbindung wieder zusammen. Wie verhext war es, Dr. Wollters faselte sogar von so etwas wie Sabotage, man wu?te ja, wer da telefonisch durchkommen wollte, und die Rosenberg-Leute hintertrieben das sicherlich, bis sich Koch nach der dritten Unterbrechung sagen lassen mu?te, die Funker seien allesamt keine Idioten, sondern an der Front von Leningrad regne es. Alles versank in Schlamm und Morast, selbst Telefonverbindungen zwischen Kompanie und Bataillon brachen zusammen, die Suchtrupps blieben im Schlamm stecken, alles mu?te zu Fu? gemacht werden, mit Fahrzeugen war uberhaupt nicht mehr durchzukommen. Mit anderen Worten: Nichts ging mehr auf der ganzen Linie!

«Dann schreiben wir einen Brief«, sagte Dr. Findling.»Vielleicht ist die Briefpost besser dran als das Telefon. So etwas Verrucktes gibt es.«

In der Stabsliste der 18. Armee, die Koch vorliegen hatte, fand man den Namen des verantwortlichen Mannes: Major Pietschmann, Nachschubfuhrer der 18. Armee. An ihn schrieb Dr. Findling im Namen von Gauleiter Koch, man moge die noch vorhandenen zwei Turen des ehemaligen Bernsteinzimmers in Puschkin, Katharinen- Palast, vorsichtig und, mit Hilfe von Schreinern ausbauen lassen, gut mit Holzwolle und Pappverschalungen verpacken und dann an die Kunstsammlungen der Stadt Konigsberg schicken. Um dem Wunsch den notigen Nachdruck zu geben, fugte er noch hinzu:

«Diese Turen gehoren zu einem Kunstwerk, das zu seinem Schutz vor Vernichtung auf Anordnung des Fuhrers von uns ausgebaut und gerettet wurde. Ich habe dem Fuhrer daruber Bericht zu erstatten. Herr

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