Rittmeister Dr. Wollters, der die Aktion leitete, wird in den nachsten Tagen in Puschkin eintreffen, um die sachkundige Abwicklung des Turentransportes zu uberwachen.«»Das ist gut formuliert!«lobte Dr. Wollters den Brief, nachdem Findling ihn vorgelesen hatte.»Anordnung des Fuhrers… da kann keiner dran vorbei!«

«Und es ist zudem auch noch die Wahrheit.«

«Ich werde morgen schon aufbrechen.«

«So schnell, Dr. Wollters?«Runnefeldt zeigte irgendwohin.»Wir haben die Kisten noch nicht alle ausgepackt. Wollen Sie nicht warten, bis…«

«Die Zeit ist kostbar, lieber Runnefeldt. Jetzt wegen der Turen um so mehr. Eile tut not! Nach Riga werde ich ohne gro?e Schwierigkeiten kommen, und von Riga aus will ich versuchen, in einer Kuriermaschine zur 18. Armee einen Platz zu bekommen. Du lieber Himmel, Puschkin liegt doch auf keinem anderen Stern, da mu? man doch hinkommen konnen!«

Schon am nachsten Tag fuhr Dr. Wollters mit einem Militartransportzug nach Osten. Sein Abschied war kurz und knapp… ein Handedruck bei Dr. Findling und Dr. Runnefeldt ein Blick wie auf eine Made fur Wachter. Als die Tur hinter ihm zuklappte, atmeten die anderen tief auf. Aber keiner sprach aus, was er in diesen Minuten dachte.

Um es vorwegzunehmen: Der Brief erreichte Major Pietschmann am 17. Januar 1942, am 20. Januar waren die Turen ausgebaut und am 25. Januar trafen sie mit einem Lazarettzug von der Leningradfront in Konigsberg ein. Die Nachschuborganisation, die gesamte Logistik arbeitete vorzuglich. Der Oberquartiermeister und IC der 18. Armee mu?te ein hervorragender Mann sein.

Den Turen lag ein Briefchen von Dr. Wollters bei. Ein knapper, unverbindlicher Gru? und die vollig uninteressante Mitteilung, da? es ihm gut gehe.

Das war die letzte Nachricht von Rittmeister Dr. Wollters. Das Schlafzimmer Katharinas der Gro?en tauchte nie wieder auf, genausowenig eine Reihe Ikonen der Nowgoroder Schule, Gemalde, Gold- und Silberarbeiten, Teppiche und Gobelins. Auch die Kisten mit den vergessenen Bernsteinwandfriesen, ein Hohepunkt der Arbeit von Rastrelli, blieben unauffindbar. Als Dr. Wollters den Katharinen-Palast wieder verlie?, folgten ihm drei Lastwagen bis nach Riga. Was unter ihren Planen lag, kontrollierte niemand und interessierte auch nicht. Man hatte andere Sorgen im Kampfgebiet: Ein morderischer Winter war ausgebrochen, die Truppe hatte nicht genugend Wintermantel, Schals und Ohrenschutzer, kaum Handschuhe und fast gar keine Filz- oder mit Fell gefutterte Stiefel. Alles erstarrte unter unvorstellbarem Frost und Eis, in den Waldern hinter den Fronten uberfielen Partisanen deutsche Trupps, sprengten Eisenbahngleise und Zuge, zerstorten Brucken und vernichteten den Nachschub von Verpflegung und Munition. Wer kummert sich da um einen Rittmeister mit drei klapprigen Lkws, zumal an die Turen Schilder geklebt waren Einsatzkommando Hamburg. Sonder-Kommando AA.

Wer fragte da noch nach einem Marschbefehl? Erstaunlich genug, da? das Au?enministerium in Berlin ein SonderKommando an der Front hatte.

Und noch mehr vorweggenommen: Niemand wei?, ob Dr. Wollters den Krieg uberlebt hat, ob er vielleicht heute noch lebt, ein unbekannter Greis, in einem selbst geschaffenen Grabmal aus Ikonen und Gemalden, Gobelins und dem Schlafzimmer der gro?en Katharina mit den aus Holz geschnitzten und vergoldeten Penissen und Hoden.

Der Bernsteinwandfries des Rastrelli aber versank in das Geheimnis…

Drei Tage lang rief Gauleiter Koch im Stadtischen Krankenhaus an und verlangte Schwester Jana zu sprechen, naturlich ohne Nennung seines Namens. Und dreimal geriet er an Frieda Wilhelmi, die ins Telefon donnerte:»Was wollen Sie von Jana? Wer sind Sie?!«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, legte Koch wieder auf. Eine harte Nu?, dachte er wutend. Aber ich knacke sie. Bisher habe ich immer bekommen, was ich wollte.

«Wieder die Erzsau!«sagte Frieda mit deutlichem Ekel nach dem dritten Anruf.»Ruft er noch mal an, werde ich sagen: Nur uber mich… Herr Gauleiter! Da wird er den Schwanz einziehen!«»Und wenn er das nun tut?«Jana lachte hell — gab es einen absurderen Gedanken?

«Was?«fragte Frieda verstandnislos.

«Nur uber mich…«

«Das sagst du mir?!«Frieda stemmte ihren Fleischturm aus dem Stuhl.»Du bist ein Wolf im Schafspelz! Du steckst ja voller Frivolitat! Ein Chamaleon bist du… kannst die Farbe wechseln und gleichst dich deiner Umgebung an, bis du unsichtbar bist!«

«Vielleicht. «Jana war plotzlich ernst geworden.»Ich wunschte, ich ware unsichtbar. Meine Schwesternhaube eine Tarnkappe, das ware schon.«

Sie ist es ja, dachte sie. Sie ist eine Tarnkappe. Unter ihr lebe ich unsichtbar unter euch… niemand wird erfahren, da? ich Jana Petrowna Rogowskaja bin. Da hast du etwas Wahres gesagt, Frieda… ich werde wieder und wieder meine Farbe wechseln, um in der Nahe von Vaterchen Michail und dem Bernsteinzimmer zu sein.

Am Montag verfiel Koch auf eine andere Idee. Er rief erneut im Krankenhaus an, lie? sich mit dem leitenden Chefarzt verbinden, nannte als Namen Bruno Wellenschlag, Abteilungsleiter des Schlo?museums, erzahlte etwas von ener Handverletzung, die sich ein Packer zugezogen habe, und bat um eine Schwester.

«Am besten Schwester Jana«, sagte Koch.»Sie war schon mal hier, sie kennt sich aus.«

«Ich schicke sofort einen Sanitater los!«antwortete Dr. Pankratz.

«Danke. Schwester Jana, wie gesagt, kennt sich hier aus.«»Am besten ist, Sie bringen den Verletzten hierher zu uns.«»Wegen einer kleinen Handverletzung?«Es kostete Koch, unsagbare Muhe, nicht loszubrullen. Pankratz, dachte er. Stabsarzt Pankratz. Ich werde dafur sorgen, da? Sie an der Front dringender gebraucht werden als in Konigsberg. Sie haben die langste Zeit Ihren Arsch an der Krankenhausheizung gewarmt!

«So einfach ist das nicht. War's ein rostiger Nagel, kann sich eine Blutvergiftung einstellen, ein Wundstarrkrampf, ein Wundbrand. Ich habe in den Feldlazaretten schon tolle Dinge gesehen…«

«Danke!«sagte Koch und legte auf. Dann hieb er mit beiden Fausten auf seinen Schreibtisch und setzte sich in seinen Sessel. Dieser Pankratz kommt also von der Front, scheint schwer verwundet zu sein und ist nur noch heimatverwendungsfahig. Einen Hvler zuruck an die Front zu schicken, kann ein langwieriges Verfahren sein, aber man kann Dr. Pankratz in ein kleines Krankenhaus abschieben. Nach Rominten etwa oder Lyck. Auch an der Weichsel ist es schon — da kann er mit den Fuchsen herumschnuren und im Winter mit den Wolfen heulen. Und Frieda Wilhelmi begraben wir als Oberschwester eines Irrenhauses. Da kann sie kommandieren, soviel sie will.

Jana, du masurische Wolfin, du entkommst mir nicht.

Er reckte sich etwas im Sitzen, griff wieder zum Telefon und rief Wellenschlag an. Wie immer nahm Wellenschlag eine straffe Haltung an, wenn Koch mit ihm sprach, auch wenn er ihn nicht sah, man konnte es an seiner Stimme erkennen.»Bruno — «

«Gauleiter…«

«Du hast mir mal erzahlt, da? du im Kaufhaus, in der Stoffabteilung, eine hubsche Verkauferin gesehen hast.«

«Jawohl, Gauleiter. Emmi Sonnemann…«

«Noch so ein bloder Witz… und du fliegst an die Front!«

«Ich kann nichts dafur, Gauleiter, da? die Kleine genauso hei?t wie die Frau des Reichsmarschalls Goring. Sie hei?t wirklich Emmi Sonnemann.«

«Das wird ja ein doppeltes Vergnugen!«Koch lachte laut und schlug sich dabei auf die Schenkel.»Bring heute abend Emmi Sonnemann zu mir.«

Er prustete vor Lachen und hangte ein. Das mu?te ich Goring mal erzahlen. Ich hatte eine Emmi Sonnemann im Bett. Aber darin versteht der Dicke keinen Spa? mehr.

Am Abend zog Jana Petrowna ihren dicken Wintermantel uber und nahm einen Wollschal mit. Ganz plotzlich war mit dem scharfen Ostwind auch die Kalte uber Konigsberg hereingebrochen. Es schneite noch nicht, aber es gab bereits Nachtfrost, eine glatte Schicht bedeckte die Stra?en, Hauswande und Dacher. Die Menschen tappten oder rutschten ihre Wege, die Fahrzeuge schlichen dahin. Der Kalteeinbruch war zu plotzlich gekommen, die wenigsten hatten sich darauf eingerichtet.

«Wo willst du hin?«fragte Frieda, als sie Jana mit Mantel, Schal und Strickhandschuhen sah.

«Ins Theater, Oberschwester. Eine Operette spielen sie. Der Vogelhandler.«

«Ich bin die Christel von der Post — «brullte Frieda plotzlich los. Jana zuckte zusammen und starrte Frieda

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