auf seinem Sitz durchzurutteln. Einmal, vor einem halben Jahr, war ihm das nicht gelungen, die Pferde waren aus irgendeinem Grund nervos geworden, die Kutsche machte wahre Sprunge vor dem Anhalten, und der Zar war herausgesturzt, hatte seinen Knuppel geschwungen und den Kutscher so arg verprugelt, da? dieser drei Monate lang im Bett liegen mu?te, bis er wieder den Kutschbock besteigen konnte.

Kaum hielt der Wagen, sprangen zwei Lakaien heran, rissen die Fahrzeugtur auf und standen stramm. Der Zar kletterte aus der Kalesche.

Tief bucken mu?te er sich, die Tur war viel zu niedrig fur ihn, aber er lie? sich keine seiner Gro?e entsprechende Kutsche bauen, einerseits aus Sparsamkeit, andererseits nach seinem Ausspruch handelnd: Ein Haupt zu beugen, ist keine Schande, auch der Zar mu? es tun, allerdings nur vor Gott.

Friedrich Wilhelm umfa?te mit einem Blick, wer da in sein Haus kam, und war sehr zufrieden.

Peter I. ma? an die zwei Meter, ein kraftiger Kerl, muskelbepackt und mit breiten Schultern, ein wahrer Riese, wie ihn Friedrich Wilhelm gern bei seinen Langen Kerls gehabt hatte. Das Gesicht des Zaren war sonnengebraunt, ein kleiner Schnurrbart glanzte uber dem sinnlichen Mund, seine Augen blickten herrisch um sich. Das braune, gelockte Haar war die-sesmal kurz geschnitten, gewi? wegen seiner Reise und der Konigsbesuche, denn sonst lie? er selten eine Schere an seine Locken, eine Perucke war ihm lastig, und — was den Preu?enkonig geradezu bruderlich stimmte — er stutzte sich auf einen Knuppel, ein starkes spanisches Rohr, ahnlich dem Stock, mit dem Friedrich Wilhelm sein Preu?en regierte.

Nach dem Zaren kletterten Furst Netjajew und General Odojewskij aus der Kalesche, aus dem nachsten Wagen watschelte der Zwerg Lewon heran, gefolgt von Hannibal, dem Leibmohren des Kaisers.

Jeder Mensch hat seine Verrucktheiten, dachte der preu?ische Konig und kam Peter zwei Schritte entgegen. Er hat seine Mohren und Zwerge, ich habe meine Langen Kerls, der Konig von Frankreich befiehlt uber ein Heer von Matressen — jedem das Seine.

«Ich begru?e Sie in Berlin«, sagte Friedrich Wilhelm und streckte seine Hand aus. Wie immer sprach er schnarrend und befehlend, so als sollte es hei?en: Hier ist Berlin! Nehme Er Haltung an, Kerl!

Peter ergriff die Hand, druckte und schuttelte sie… ein so massiver, schraubstockahnlicher Handedruck, da? Friedrich Wilhelm die Zahne zusammenbi?, um keinen Schmerzenslaut auszusto?en. Es stimmt, dachte er. Er hat Krafte wie ein Stier. Die gro?en, harten Hande eines Arbeiters hat er, bedeckt mit Schwielen. Mein Vater mochte ihn nicht — er war ihm zu bauerlich, zu ordinar, ein Zar, der wie ein Tagelohner wirkte und lebte.

«War's eine gute Reise?«fragte der Konig und geleitete den Zaren ins Schlo?. In der Halle knicksten die Hofdamen, Sophie Dorothea, links neben sich den Kronprinzen Friedrich, rechts die Prinzessin Wilhelmine, verneigte sich. Sie trugen festliche, seidene Kleider mit Brokatstickereien, ganz im Gegensatz zu dem Konig, der seinen einfachen Rock und Gamaschenhosen bevorzugte. Auch der Zar war einfach gekleidet: ein Anzug aus grobgesponnenem Tuch, das vom vielen Tragen schon abgewetzt und fadenscheinig war, ein von der

Sonne ausgebleichter dunkelgruner Rock mit einem verschossenen blauen Futter und gro?en Messingknopfen, auf dem Kopf ein banderloser Hut, an den Beinen alte Strumpfe und Schuhe mit schiefgelaufenen Absatzen. In Versailles wurde man ein solches» Subjekt «aus der Schlo?nahe verjagt oder sogar verhaftet haben.

«Sie haben gute Stra?en in Preu?en. «Peter I. nickte den Damen zu, musterte mit Kennerblick die junge Grafin von Donnersmarck, blinzelte ihr ungeniert zu und ging dann mit weit ausgreifenden Schritten und schlenkernden Armen auf die Konigin zu. Kronprinz Friedrich starrte hinauf zu dem Riesen, betrachtete die Warze auf der rechten Wange, bemerkte ein nervoses Zucken im Gesicht des Zaren und klammerte sich an seiner Mutter fest.

«Welche Freude, Sie so bluhend zu sehen!«rief Peter laut aus, umfa?te ohne Zogern und mit festen Griff ihren Kopf, zog ihn an sich und schmatzte der Erstarrten und Uberrumpelten zwei Kusse auf die Stirn. Der Konig, der hinter ihm stand, geno? amusiert das Entsetzen seiner Frau.

So ist er, der Zar, dachte er. Vollig unkompliziert. Ein Kerl mit den Manieren eines sibirischen Holzfallers. Peter Alexeje-witsch, wir konnten uns verstehen und Freunde werden, wenn du nur nicht immer Krieg fuhren wurdest und dich von deinen Hurenweibern trennen konntest. Du hast doch eine brave Frau, die Katharina, die fast jedes Jahr schwanger ist. Was willst du mehr?

Peter hatte den Kopf der Konigin wieder freigegeben und wartete nun darauf, was das Protokoll vorbereitet hatte. Aber es gab kein Protokoll. Nachdem schon 1713 der Hofmarschall und Oberkammerer, der Oberheroldsmeister und Oberzeremonienmeister und andere Hofschranzen abgeschafft worden waren, gestaltete der Konig allein mit seinen Offizieren die Veranstaltungen fur seine Besucher. Nur in der Kuche befahl noch der konigliche Kuchenmeister seine ebenfalls zusammengeschrumpfte Kochbrigade — das, was der Konig und seine Familie a?en, konnte auch eine Bauersfrau kochen.

«Die Reise war lang — «sagte Friedrich Wilhelm —»war sie ermudend? Wollen Sie sich ausruhen? Ich werde Sie in Ihre Gemacher begleiten. Ihr Gesinde ist ebenfalls bestens versorgt. Oder trinken wir erst einen Becher?«

«Trinken wir!«Peter I. rieb sich die Hande.»Und eine Pfeife rauchen wir. Meine hollandischen Porzellanpfeifen, ich habe sie mit. «Er drehte sich um, winkte energisch, und da man das gewohnt war, erschien sofort der Mohr Hannibal und trug eine gro?e Schatulle auf beiden Handen.»Gehen wir — «

In dem sparsam moblierten Kabinett des Konigs mit seinen wei?getunchten Wanden, wo es weder Teppiche noch Gardinen gab, waren sie dann allein, sogar Hannibal wurde weggeschickt, und der Lieblingszwerg Lewon durfte erst gar nicht ins Zimmer, sondern hockte sich vor der Tur auf den Boden. Wie eine gro?e, bekleidete Krote sah er aus.

Peter sah sich um und nickte mehrmals.»Wie bei mir. Was soll der ganze Prunk? Naturlich ist der Kreml in Moskau prachtvoll, die Palaste in Petersburg stellen sogar Versailles in den Schatten, die Schlosser in meiner Sommerresidenz Zarskoje Selo werden von den besten Baumeistern der Welt gebaut, von den besten Malern ausgestattet, von den besten Bildhauern und Silberschmieden geschmuckt, man erwartet so etwas von einem Zaren… aber ich, mein lieber Freund, lebe lieber in einer massiven Holzhutte als zwischen Seide, Damast und Purpur.«

Er ging zum Tisch, auf den Hannibal die Schatulle gelegt hatte, offnete das Schlo?, hob den Deckel hoch und lie? Friedrich Wilhelm einen Blick hineinwerfen. Pfeifen in allen Formen und Langen aus Porzellan, gerade und gebogene, gebettet in grunen Samt, und an den Au?enseiten bemalte Deckeltopfe, gefullt mit Tabak und Holzspanen zum Anzunden der Pfeifen.

«Ich lebe in kleinen Zimmern, schlafe auf hartem Bett und wohne, wie Sie, mit stabilen Mobeln. «Er suchte sich eine Pfeife aus, nahm eine andere, gebogene, aus der Samtklemme und reichte sie dem Konig hin.»Nehmen Sie diese. Meine beste, sie kuhlt den Rauch, und nichts brennt mehr in der Kehle.«

«Ich werde es zu wurdigen wissen. «Friedrich Wilhelm nahm die Pfeife tapfer und mit freundlicher Miene an, obwohl das Mundstuck tief braun war und sichtlich kaum gereinigt wurde.»Was trinken wir?«.»Was Sie trinken, Konig von Preu?en.«»Ein volles, herb gebrautes Bier.«

«Mu? das sein?«Peter verzog den Mund. Ein heftiges Zucken lie? sein Gesicht zu einer Fratze werden, der Kopf zuckte hin und her, der riesige Korper krummte sich etwas, seine Augen weiteten sich. Nur kurz war dieser Anfall, jeder Fremde, der so etwas sah, erschrak zu Tode, nur der Konig nicht. Er wu?te von diesen plotzlich auftretenden Krampfen, die Peter von Kind an schuttelten und gegen die es kein Mittel gab.

Der Zar griff in eine Tasche seiner fleckigen Weste, holte ein Bernsteinkastchen hervor und entnahm ihm zwei Fingerspitzen voll Pulver, das er hinunterwurgte.

«Das einzige, was hilft«, sagte er und klappte das Doschen zu.»Von einem Schamanen hergestellt. Ein Pulver aus dem Magen und den Flugeln einer Elster. Alle Arzte sind Idioten. Fande ich einen, der mir diesen Krampf nimmt, wurde er der reichste Mann der Welt sein! Trinken wir einen Tokajer?«

Der Konig stampfte zur Tur, ri? sie auf, stolperte fast uber den dort kauernden Zwerg Lewon und brullte dann zu den wartenden Lakaien hinuber.

«Tokajer!«

Darauf warf er die Tur wieder zu und sturmte ins Zimmer. Er zeigte auf Peters Stock und stakte mit seinem Buchenstock auf die Dielen.

«Mich interessiert Ihr Stock«, sagte Friedrich Wilhelm.»Ein schones Stuck.«

«Ohne ihn ware ich nur halb. «Peter schwang den Knuppel durch die Luft. Ein Windhauch traf den Konig, und ein Zischen flog um seine Ohren.»Gutes spanisches Rohr. Und hier der Knauf aus Elfenbein, habe ich selbst geschnitzt. Meine >Dubi-na< nenne ich den Stock. Der Mensch ist ein merkwurdiges Wesen. Man mu? ihn

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