Stirne kraus.

«Die Kleider verknittern.«

«Es wird ja wohl Buglereien geben.«

«Au?erdem ist Zerbrechliches drin.«

«Zerbrechliches?«

«Geschenke.«

«Ach!«

«Ja! Fahren wir nun endlich?«

Das mit den Geschenken war nicht wahr, aber sie sah, wie sich Peter Gedanken daruber machte und vor allem, wie wutend die Gedanken ihn werden lie?en.

Die andere Tur krachte zu. Peter lie? den Wagen an und raste dann auf die Chaussee Dusseldorf entgegen. Er hatte das Kinn vorgeschoben, die Finger um das Steuerrad verkrampft, den Blick starr auf die Stra?e gerichtet.

Sabine wurde es angst, wenn sie zur Seite auf die wegrasenden Baume blickte.

«Der Weltrekord liegt bei ungefahr 600 km in der Stunde«, sagte sie burschikos. Es kostete sie eine ungeheure Anstrengung. Peter nickte. Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag und lie? den Fu? so stehen. Der Motor heulte. Sabine umklammerte die Fensterkurbel.

«Gleich kommt eine Kurve, Peter.«

Ehe sie weitersprechen konnten, waren sie schon hindurch, schleudernd, pfeifend, heulend, aber es war gelungen.

Von da ab sprachen sie nicht mehr. Um zu zeigen, wie gleichgultig ihr die Raserei sei, stellte sie das Radio an. Tanzmusik. Mit zitternden Lippen pfiff sie mit. Sie sah hinaus auf die Stra?e, sie schlo? die Augen, wenn eine Kurve kam oder ein anderer Wagen ihnen entgegenflog wie eine Granate. Jetzt, dachte sie, jetzt. Aber es krachte nicht. Der Wagen fuhr weiter, Peter starrte weiter geradeaus, mit einem Gesicht, das wie Stein war.

Als sie vor dem Dusseldorfer Hauptbahnhof hielten, sah Sabine auf die Uhr. Sie wollte nicht den Rekord messen, sondern sehen, wieviel Zeit ihr bis zum Abgang des Zuges blieb. Noch 17 Minuten. Da blieb sie sitzen. Funf Minuten ausruhen, dachte sie. Wenn ich jetzt aussteige, schwanke ich wie eine Betrunkene. Meine Beine sind wie Pudding. Vielleicht kann ich gar nicht gehen, so sitzt mir der Schreck in den Gelenken.

Peter Sacher sah sie von der Seite an. Er hatte sich eine Zigarette angesteckt.

«Na? Wollen wir nicht?«

«Doch!«

«Wir sind da!«

«Ich sehe es mit Begluckung.«

Das war wieder eine Frechheit. Peter rauchte hastig. Selbst die Raserei kriegt sie nicht klein. So gewaltig ist der Trieb, von mir weg in dieses Doppelzimmer zu kommen, da? nichts mehr sie erschuttern kann!

Er stieg aus und ri? auf ihrer Seite die Tur auf.

«Bitte!«sagte er steif wie ein Herrschaftschauffeur. Es fehlte nur noch die kleine Verbeugung und das Ziehen der Mutze. Sabine kletterte aus dem Wagen. Es ging besser, als sie geglaubt hatte. Die Beine zitterten nicht. Sie nahm ihre Koffer vom Rucksitz, stellte sie auf den Burgersteig und reichte Peter die Hand entgegen.

«Also denn — bis zum 28. August!«

«Bis zum 28. August!«Er nahm ihre Hand und fuhrte sie an die Lippen. Plotzlich kam er sich wie verlassen vor. Wie ausgesto?en. Das Pfeifen der Zuge in der Bahnhofshalle gellte in seinen Ohren, als zerplatze mit ihm sein Kopf.»Erhole dich gut, Bienchen«, sag-te er stockend.»Werde schon braun, aber lieg nicht zuviel in der Sonne. Und viel, viel Freude. Ich, ich gonne sie dir. Du hast in der letzten Zeit so wenig gelacht.«

Sabine schluckte. Mein Gott, sprach sie sich zu. Nicht weich werden, nicht zeigen, da? man losheulen konnte. Mach das Kreuz hohl und sieh an ihm vorbei.

«Du auch, Peter!«sagte sie grober, als sie wollte.

«Ich werde in Paris in die Schule gehen.«

Biest! Er ist wirklich nicht wert, da? man ihn liebt!

«Wenn das Lehrgeld nicht zu teuer ist«, sagte sie giftig.»Ich werde mich auch nach Rezepten umsehen.«

Welch ein Luder, dachte Peter. Sein Gesicht wurde steinern.»Adieu!«Er stieg wieder in seinen Wagen und lie? Sabine neben den Koffern stehen. Uberall standen ja Dienstmanner herum. Vielleicht wartete in der Halle schon der gelackte Affe, der das Doppelzimmer. Er wollte wieder aus dem Wagen springen, aber dann beherrschte er sich und lie? den Motor an. Sabine klopfte mit dem Knochel des Zeigefingers an die Scheibe.

«Du«, sagte sie.»Wenn du mich sprechen willst, wenn du mir etwas schreiben willst, es ist ja moglich, da? du etwas sagen willst, nicht wahr, Dusseldorf, postlagernd. Postauftragsdienst. Sie haben meine Adresse. Horst du, Peter. Vergi? es nicht, wenn du etwas zu sagen hast.«

Er nickte und fuhr an. Im Ruckspiegel sah er, wie Sabine ihm nachwinkte. Inmitten der wei?en Koffer stand sie, allein am Stra?enrand. Das orangefarbene Kostum leuchtete in der Sonne. Sie sah hubsch aus, schlank, sogar jung.

Die Vorfreude verjungt sie, dachte Peter gehassig. Bei mir war sie immer ein welkes Mauerblumchen. Das war nicht wahr und auch ungerecht, aber welcher Wutende hat dafur ein Gefuhl?

Er fuhr um die Stra?enbahnhalbinsel herum und auf der anderen Seite zuruck, am Bahnhof vorbei. Ganz langsam. Er sah, wie Sabine einen Gepacktrager herangewinkt hatte, wie sie ihm folgte, mit kleinen, schnellen Schritten. Auf hohen Absatzen mit wei?er

Tasche und wippenden Huften. Einige Manner blieben stehen, drehten sich um und sahen ihr wohlgefallig nach.

«Ihr Bocke!«brullte Peter in seinem Wagen.

Dann trat er auf das Gas und raste die Graf-Adolf-Stra?e hinunter. Es war wie eine Flucht, denn er hatte in diesen Augenblicken das dringende Bedurfnis, Sabine aus dem Bahnhof zuruckzuholen, in seinen Wagen zu rei?en und zu sagen:

«Bleib! Bitte, bitte bleib! Ich bin ein Esel.«

Die Flucht kostete Peter Sacher drei Strafmandate wegen Uberfahren der Hochstgeschwindigkeit.

ZWEITES KAPITEL

Es gibt Stadte, die man nie vergi?t.

Es gibt Schonheiten, die keine Lippe beschreiben kann.

Es gibt Ewigkeiten in der Gegenwart.

Sie schwingen in Paris.

Wer einmal uber die breiten Boulevards gegangen ist, wer den Schwalben im Jardin du Luxembourg zusah, wer am Arc de Triomp-he stand und vom Place d'Etoile hinabblickte auf die Champs-Elysees, der kann nicht vergessen, wie sein Herz schneller schlug und ein Hauch von Unsterblichkeit ihn mit leichtem Schauer umwehte.

Im Dunst des Morgens sto?t die Spitze des Tour d'Eiffel in den Himmel, die Seine mit ihren hundert gebogenen Brucken, als sei sie der Brustkorb von Paris, platschert an die Quader-Quais, auf denen unentwegt die Angler stehen, wahrend unter den Bruckenbogen die Bettler von ihrem Decken- und Zeitungslager kriechen.

Von der Seine-Insel drohnen die hellen Schlage der Notre-Dame, und die Karren der Bucherhandler werden in die Morgensonne geschoben. Am Montmartre, am Boulevard de Clichy, stellen die Maler ihre Werke an die Hauserwande, rucken die Baskenmutzen in den Nacken und drehen sich in der Tasche eine Zigarette aus schwarzem Tabak. Aus den dumpfen Hausern und Hinterhofen von La Chapelle und La Vilette quellen die Heere der Ladenmadchen, Midinetten und Kellnerinnen und trippeln zu der Metro, die sie hineintragt in den erwachenden Giganten aus Stein, Glas und Liebe.

Die ersten Milchwagen rattern durch die Stra?en. Die Sonnendacher der Modehauser und Juweliere leuchten in grellen Farben in der Sonne. Die roten Laternen in den Eingangen mancher Hauser der Querstra?en verblassen und erloschen. Auf dem Cimetie-re du Pere-Lachaise sitzen die Bildhauer und mei?eln an neuen

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