Totenmalen. Am Hufeisensee des Parc des Buttes Chaumont drangen sich Maler und werfen kuhne Studien in die Zeichenblocks, die sie fur ein paar Francs verkaufen werden, um nicht zu verhungern. Aus dem Bois de Boulogne, aus den grunen Ufern des Lac Inferieur hervor kommen die letzten Liebespaare der warmen Sommernacht, noch trunken vom Zauber eines nach Bluten duftenden Paris.

Peter Sacher blickte auf seine Uhr.

Sieben Uhr zehn. Er war die Nacht hindurch gefahren, weil er nicht schlafen konnte. Der Gedanke, da? Sabine seit zwei Tagen in einem Doppelzimmer schlief, hatte ihn so zermurbt, da? er sich in seinen Wagen fluchtete und durch die Nacht schlich, das Radio mit vollster Lautstarke und einem Aschenbecher, der uberquoll.

Jetzt stand er vor dem Gare du Nord und schuttelte den Kopf. Naturlich war Heinz v. Kletow nicht da… er hatte ja geschrieben, da? er mit dem Zug in Paris eintreffen wurde. Von einer Autoreise war nie die Rede. Heinz wurde also noch im Bett liegen, der Erwartung Peters wegen allein, und es war bestimmt eine Freude, ihn zu uberraschen.

Peter Sacher entfaltete den Stadtplan von Paris und studierte die Stra?en.

Rue de Sevres. Sie lag jenseits der Seine als Kreuzung des Boulevard des Invalides. Wie sich Heinz v. Kletow eine solch luxuriose

Wohnung leisten konnte, war ein Ratsel. Das ganze Leben Kletows war ein Ratsel. Er hatte nie gearbeitet und besa? doch immer Geld. Er war ein Genie der Improvisation, aber vor korrekten Dingen zuckte er zuruck wie vor Hochspannungsleitungen. Er hatte Schulden, und keiner nahm sie ihm ubel. Sie gehorten zu seinem Typ. Keine Schulden zu haben war fur ihn wie eine Krankheit. Sein Leben war ein einziger Kredit.

Peter Sacher faltete den Stadtplan wieder zusammen, stieg in seinen Wagen und fuhr langsam durch das erwachende Paris. Auf der Place de la Concorde, am Rande des Jardin des Tuileries, sa?en schon die ersten Mu?igganger auf den Banken in der Sonne und beobachteten das Morgengezank der Spatzen. Zum Quai d'Orsay hin rollten die schweren Wagen der Regierung. Irgendeine Sitzung, dachte Peter. Die Menschen sind so friedlich, warum sind es die Regierungen nicht?

Er drehte einen weiten Bogen uber den gro?en Platz, umfuhr den Obelisk, das Beutestuck Napoleons I. aus seinem Agyptenfeldzug, und fuhr dann uber den Pont de la Concorde, uber die schmutzige Seine, an der auch schon die Angler standen, als hatten sie die ganze Nacht uber gefischt. Er rollte auf den Boulevard St. Germain, der Hochburg der Sartreschen Existentialisten.

Vor dem Hause Heinz v. Kletows hielt er. Er sah die hohe Fassade hinauf. Es war ein unschones Haus, alt und mit vielen Schnorkeln an den Simsen. Die Holzjalousien waren zum gro?en Teil noch vor den Fenstern, einige schief, luckenhaft, mit verrosteten Halteketten.

Sie schliefen noch alle, dachte Peter. Hier ist die Nacht zum Leben da, und der Tag zum Schlafen. Die Welt steht hier kopf

Aus der gro?en und breiten Haustur trat ein Mann auf die Stra?e. Er war alt, hatte die ubliche braune Baskenmutze auf den kurzen wei?en Haaren und musterte kritisch das vor dem Hause parkende Auto.

Er erkannte die deutsche Nummer, spuckte einen Tabakkrumel auf die Stra?e und tippte mit dem Zeigefinger gru?end an den Le-derrand seiner Mutze.

«Monsieur Sacher?«fragte er.

«Ja. «Peter nickte verwundert. Dann fiel ihm ein, da? der alte Mann ja kein Deutsch verstand. Kuhn sagte er:»Oui.«

«Pierre Sacher, Dusseldorf?«

«Oui!«

Peter sah in das Stuckchen blauen Himmel, das in die Stra?e blickte. Er suchte angestrengt nach franzosischen Vokabeln, die er zum letztenmal vor uber zwanzig Jahren auf dem Gymnasium reichlich desinteressiert gehort hatte. Man hatte sich einen Sprachfuhrer mitnehmen sollen, dachte er. Wer wei?, was einem in Frankreich alles noch zusto?t. Da ist man nun in Paris, kann oui, non und je t'ai-me, na ja, und eigentlich ist das auch genug. Damit kann man schon weiterkommen in Paris, vor allem mit dem letzten. Je t'aime ist eine Vokabel, die fur tausend andere Worte gut ist.

Der alte Mann mit der Baskenmutze sah Sacher mit schiefem Kopf an. Er wartete auf etwas. Peter suchte krampfhaft nach Schulerinnerungen und hatte es endlich zusammen.

«Monsieur Kletow, est-il…«Er hing schon wieder fest. Mein Gott, wie hei?t blo? >in seiner Wohnung<? Er zeigte nach oben auf die Fenster. Der alte Mann sah seinem Finger nach und hob die Schultern.

«Monsieur Kletow est en voyage«, sagte er murrisch.

«Aha!«Peter nickte verstandnisvoll.»Soso. Merci!«En voyage, dachte er dabei. Das Wort kenne ich. Das haben wir bestimmt in der Schule gehabt. Was hei?t es denn blo?? Ware man damals kein so mittelma?iger Schuler im Franzosischen gewesen, konnte man jetzt flott parlieren. Aber damals hatte man mild uber den Tolpel von Lehrer gelachelt, der einem weismachen wollte: Nicht fur die Schule, fur das Leben lernt ihr!

Peter beugte sich in seinen Wagen und zog den Zundschlussel heraus. Er wollte Zeit gewinnen. Nachdenken.

Sein Blick fiel, als er die Autokarte auch noch zuklappte, auf das Titelblatt der Mappe. In drei Sprachen war da aufgedruckt: Fur Rei-sende — For travellers — Pour Voyageurs -

Peter zuckte zuruck und stie? sich den Kopf hart an der Fensterleiste des Wagens.

«Mein Freund ist verreist?«sagte er entsetzt.

«Oui!«

«Aber das geht doch nicht!«

«Pourquoi?«

Pourquoi hei?t: warum. Was fur eine Frage, dachte Peter. Da stehe ich jetzt allein in Paris und -

«Monsieur Kletow wei? doch, da? ich komme! Was soll ich denn jetzt in Paris? Wohin ist er denn? Wann kommt er denn wieder?«

Der alte Mann, einer jener unsterblichen Pariser Hausmeister, hob wieder die Schultern. Er nahm eine Zigarette mit schwarzem Tabak aus dem Rock und steckte sie sich an.»He?«fragte er und musterte Peter wie einen Steuerbeamten.

«Nix compris?«Peter nickte verzweifelt.»Naturlich nix compris! Ich auch nicht! Sauerei!«Er lehnte sich gegen den Wagen und steckte sich eine Zigarette an. Der Hausmeister sah wohlgefallig auf die deutsche Schachtel und schnupperte wie ein Hund durch die Luft, als Peter den Qualm des ersten Zuges aus dem Mund stie?.

«Zigarette?«fragte Sacher und hielt dem alten Mann die Schachtel hin.

«Merci bien.«

Gleichzeitig mit dem Griff zur Zigarette holte er mit der anderen Hand einen Schlusselbund hervor und streckte ihn Peter entgegen.

«Pour vous, Monsieur Sacher.«

«Aha! Compris!«

Peter nahm den Schlusselbund und schaukelte ihn in den Fingern. Alles klart sich im Leben, dachte er. Heinz mu?te plotzlich verreisen. Auch Manner seines Schlages sind ab und zu geschaftlich unterwegs. Vielleicht hat er einen anderen Freund, den er jetzt anpumpt, um mit mir einige schone Tage in Paris zu verleben. Es war ja die alte Praxis Kletows, mit neu aufgerissenen Lochern uralte Locher zu stopfen. Es gehorte schon eine Portion Genie dazu, genau die Locher

aus den vielen herauszukennen, die an die Reihe kamen.

Peter Sacher gab dem alten Hausmeister noch eine Zigarette und einen zerknitterten Hundertfrancschein, lie? einen Schwall von Dankesworten, die er doch nicht verstand, an sich vorbeirauschen, und stieg dann die Treppen zur Wohnung Heinz v. Kletows empor.

Vorweg mu? gesagt werden, da? Heinz v. Kletow zu jener genialen Art von Mannern gehorte, die es mit vierzig Jahren noch fertigbringen, Junggeselle zu sein. Das lag nicht allein am Pariser Klima. Auch in Paris gibt es einige Hunderttausend Ehemanner und fuhlen sich wohl dabei. Der Grund der fast schon pathologischen Eheabneigung Kletows lag naher und in ursachlichem Zusammenhang mit seinem besten Freund Peter Sacher. An einem Sommertage vor sieben Jahren hatte sich namlich Peter Sacher kurz entschlossen, die gemeinsame Studentenliebe Sabine Heinberg zu einer Frau Sabine Sacher zu machen. Damals war es zu einer dramatischen Aussprache gekommen, nach der Kletow Deutschland verlie? und sich in Paris niederlie?. Er begann das Leben eines kultivierten Vagabunden zu fuhren, machte um alle heiratsfreudigen Madchen einen weiten Bogen und

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