verkehrte bald nur in jenen Pariser Kreisen, in denen der Gedanke an eine dauerhafte Bindung als vollig absurd angesehen wurde. Zwischen Montmartre und stillen, winkligen Ateliers oder den Kellerkneipen von St. Germain de Pres hin und her pendelnd, entwickelte Heinz v. Kletow eine eigenwillige, aber grundliche Methode zur Erforschung der Psyche der Stadt Paris. Sie endete damit, da? er in seinen bevorzugten Stadtvierteln mit jedem auf dem Duzfu? stand, die Madchen Wetten abschlossen, wer am kommenden Abend zur Favoritin erklart wurde, und die Wirte den besten Kognak unter der Theke hervorholten, wenn er im Lokal erschien. Und das alles, obgleich er auf Kredit soffiEr war eben ein Genie.

Das alles ist wichtig zu wissen. Und da Peter es wu?te, wunderte er sich nicht uber das, was er antraf, als er die Wohnungstur aufschlo? und die kleine Diele betrat.

Schon die Wande dieses Vorraumes waren vollgeklebt mit aus-geschnittenen Magazinbildern, eindeutigen Fotos und Zeichnungen. Peter Sacher stellte seinen Koffer auf den Boden und sah sich um. Er war ehrlich erstaunt uber die Vielzahl von verschiedenen Formen, die ein weiblicher Korper haben kann.

Na ja, dachte er. Heinz braucht keine Rucksicht auf eine Sabine zu nehmen. Es mu? nur anstrengend sein, bei diesem Uberangebot immer etwas Neues zu finden.

Er hangte seinen Trenchcoat an den Kleiderhaken, zogerte unbewu?t einen Moment, ehe er die Zimmertur offnete, und trat dann ein.

Zwei Flaschen Gin standen auf dem Tisch, leer naturlich. Zwei Aschenbecher liefen von Zigarettenasche und Kippen uber. Daneben lagen, in malerischer Vertrautheit: ein zerbrochener Lippenstift, eine offene Puderdose mit rose Puder, ein abgerissenes schwarzes Strumpfband und eine hellrote Seidenschleife.

Dazwischen, an eine der Ginflaschen gelehnt, sah Peter das Kuvert eines Briefes.

Es roch nach Alkohol, su?em Parfum, kaltem Zigarettenrauch und mildsaurem Schwei?.

Kopfschuttelnd warf sich Peter in einen der Sessel, nahm den Brief und ri? das Kuvert auf.

Liebes Peterlein!

Sei nicht bose, wenn Du allein meine Burg bewohnen mu?t. Ich habe die seltene Gelegenheit wahrgenommen, mich geschaftlich zu betatigen, und mu?te deshalb nach Sudfrankreich, nach Arles, fahren. Vielleicht kann ich in einer Woche wieder in Paris sein. Wenn nicht — so mach es Dir gemutlich. Geh ins Gasthaus essen — um die Ecke ist ein gutes und billiges. Trink meine Schnapsvorrate, spule das Geschirr und sieh Dir Paris an. Der Concierge ist angewiesen, auf Dich und die Wohnung acht zugeben. Bis in einer Woche

Dein Heinz.

PS.: Wenn Coucou kommt, sei nett zu ihr und troste sie, das kleine Vo-gelchen. Die Kleine ist herzensgut, su? und anschmiegsam, nur ein bi?chen hysterisch. Wenn sie mit Glasern nach Dir wirft, wirf nicht zuruck, sondern geh in Deckung und sage blo?: Sei still, alte Ziege! Sie kann kein Deutsch und glaubt immer, das sei eine besonders nette Schmeichelei. Viel Spa? denn!

Heinz.

Peter Sacher warf den Brief zwischen Aschenbecher und Lippenstift auf den Tisch und lehnte sich zuruck. Nachdenklich ging sein Blick uber die beklebten Wande, die Galerie schoner Frauen und abgerutschten Geschmacks; dann offnete er seinen Hemdkragen und zog den Schlipsknoten tiefer.

Es war schwul in der Wohnung. Die Fenster waren geschlossen, die Jalousien halb heruntergelassen. Das Geruchsgemisch lag wie klebriges Gas uber allem und druckte auf den Kehlkopf.

Das also war Paris! Da ist man nun in einer sogenannten >Kunst-lerwohnung<, hat sechs Wochen Ferien von Frau, Doppelbett und. Der Gedanke Doppelbett war ihm unbehaglich. Sabine hatte mittlerweile drei Nachte bereits in einem Doppelbett geschlafen, ohne da? Dr. Portz genaue Angaben machen konnte, wer in den zweiten Kissen lag! Das war beschamend, erregend, zermurbend und zum Explodieren.

Peter nahm sich vor, nach dem Fruhstuck gleich in Dusseldorf anzurufen. Mi?mutig starrte er auf den Brief Kletows und auf die Reste junggeselliger Freizeitgestaltung. In was hatte er sich da eingelassen? Die galanteste Stadt der Erde stellte sich ihm hausbacken vor: eine Kuche voller ungespulten Geschirrs, ein Wohnzimmer mit abgerissenem Strumpfband, das jeder Fantasie freien Lauf ins Ungezugelte lie?, ein noch nicht betretenes Schlafzimmer, vor dem Peter eine unbekannte Scheu empfand, wie ein Forscher, der vor einer neu entdeckten Grabkammer steht, und die Aussicht, das Leben eines Kneipenbesitzers fuhren zu mussen.

Was macht man eine Woche allein in Paris? Man stirbt vor Langeweile. Man kann kein Franzosisch, versteht nicht, was man liest,

kann nicht sagen, was man will und wird es so tun, wie alle Provinzler, die nach Paris kommen: Man stellt sich auf den Place de l'Opera, wartet dort, bis einer der Touristenwagen halt, und schlie?t sich einer Rundfuhrung an.

Louvre, Tuilerien, Invalidendom, Notre-Dame, Sacre-Creur, Arc de Triomphe, Eiffelturm, Pantheon, Montmartre (mit leisem Schauer uber dem Rucken, denn man hort ja soooo viel von ihm, sogar in der Oper wird's besungen), Pere Lachaise, die Champs-Elysees. Der ubliche Weg mit kleinen Trinkgeldern fur die jeweiligen Diener, Verwalter, Erklarer und Hinausfuhrer. Abends dann ins Moulin Rouge, abgeschirmt gegen alle Anfechtungen, weil die Ehefrauen der anderen Gefuhrten wachen Auges dabeisitzen und mit dem Kopf schutteln und» ksss ksss «machen vor sittlicher Emporung und nicht sehen, wie ihren Mannern das Wasser im Munde steht. Vorher naturlich zwei Stunden Promenadenbesichtigung vom Cafe de la Paix aus mit Kommentaren uber die neue Mode. Am nachsten Tag ein kuhner Blick in die Palmenhalle des Ritz.

Qa 9'est Paris — Schauderhaft!

Peter erhob sich achzend aus dem Sessel, nahm das abgerissene Strumpfband vom Tisch, roch daran, es duftete nach Rosen und su?em Laster, raumte dann die Glaser, den Lippenstift (er roch nach Himbeeren), die Puderdose (sie roch nach Kirschen), die vollen, uberlaufenden Aschenbecher auf einen Teewagen und fuhr alles in die Kuche.

Das Becken des Spultisches lief uber von nicht abgewaschenem Geschirr. Es mu?te von einer Woche sein, denn soviel Unrat kann auch ein Mann wie Heinz v. Kletow nicht an einem einzigen Tag hinterlassen. Es sei denn, sein Abgang war die Schlu?pointe einer Orgie.

«Beginnen wir das Pariser Leben!«sagte Peter laut. Er sah in einen Spiegel, der uber dem Kuchenherd hing, und kam sich blod wie nie vor. Dann band er sich eine Schurze um, die an einem Haken neben dem Schrank baumelte, lie? aus dem Boiler hei?es Wasser in eines der Becken laufen, schuttete etwas Seifenpulver, das in einem Paket neben der Spule stand, ins Wasser und begann, das Geschirr abzuwaschen.

Wie macht es Sabine, dachte er. Zuerst die nicht fettigen Teile, vor allem die Glaser. Dann die anderen Dinge, zuletzt die Bestecke in frischem Wasser.

Das erste Glas zersprang ihm in der Hand. Er nahm es ihm nicht ubel, denn er hatte sich die Hande verbrannt. Das Wasser war zu hei?. Er lie? in einem scharfen Strahl kaltes Wasser zulaufen. Erstaunt sah er, da? das Wasser zu schaumen begann, da? der Schaum immer dichter und hoher wurde, uber den Beckenrand quoll, den Waschtisch hinablief wie eine Flut geschlagener Sahne. Das Seifenpulver, naturlich, dachte er. Er legte die Glaser in den Schaum, wo sie ins Grundlose versanken, drehte dann den Kaltwasserhahn ab und ging resignierend ins Wohnzimmer zuruck.

Er stellte das Radio an, suchte flotte Musik, steckte sich eine Zigarette an und ging dann zur Kuche zuruck, als wurde er hingerichtet. Er lie? die Tur offen, in der alten Erkenntnis, da? Musik den Arbeitsrhythmus fordert, und begann, die schwere Arbeit anzugreifen. Er spulte die Glaser und Teller, die Tassen und Bestecke, rannte einmal zuruck ins Wohnzimmer und stellte das Radio sehr laut, weil eine Operettenmelodie von Strau? erklang, drehte beim Abtrocknen den Kelch eines Glases vom Stiel und focht einen Funf-MinutenKampf mit einer Kaffeekanne aus, in deren Hals seine Hand beim Abtrocknen hineingerutscht war und nicht wieder herauswollte, sondern sich festgeklemmt hatte. Bevor er die Kanne am Beckenrand zerschlug, rutschte sie wieder heraus und die Kanne auf den Boden. Sie zersprang in tausend kleine, bunte Teile. Peter lachelte grausam. Er war in der Stimmung, lachelnd zu morden.

Mit den Schuhspitzen schob er die Kannentrummer unter den Waschtisch. Plotzlich stutzte er. Hatte nicht eine Tur geklappt? Im Radio spielte man die Ouverture zum >Zigeunerbaron<. Soviel Peter wu?te, war in der Partitur kein Turenknallen. Johann Strau? hatte noch nichts von moderner Musik geahnt.

Ich habe doch die Wohnung abgeschlossen, dachte Peter Sacher.

Aber vielleicht hat jemand einen zweiten Schlussel. Noch kennt man nicht die Sitten der Kletowschen Behausung.

Er wollte die Schurze abbinden, um nicht ganz so blode zu wirken, als er durch die Ouverture das Tappen von Schritten zu vernehmen meinte. Dann knirschte etwas im Wohnzimmer. Also doch, dachte Peter Sacher.

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