anzufassen, wo ihn nicht selbst die Versuchung uberkommen konnte. Dann zog er seine Jacke aus und hielt sie ihr hin.»S'il vous plait.«

«Merci, Monsieur.«

Coucou sah ihn gro? an. Sie verstand es nicht. Manner benahmen sich bisher anders in ihrer Gegenwart. Da? jemand kam und sie bekleiden wollte, weil sie nackt war, ging uber ihren Verstand. Es war etwas Neues.

Sie schlupfte in den Rock, schlug die zu langen Armel um, kauerte sich dann mit hochgezogenen Beinen wieder in den Sessel, warf die langen Locken in den Nacken zuruck und zog die Rockscho?e uber ihre blo?en Schenkel zusammen. Dabei sah sie Peter Sacher wie ein gefangenes Tier an. Ein fremder Mann mu? immer wie ein Raubtier beobachtet werden. Sie kannte es nicht anders. Manner sind nun eben so.

Peter kratzte sich die Nase. Er war verlegen. Halb angezogen wirkte Coucou plotzlich geisteshemmend auf ihn.

«Un cafe?«fragte er mit rauher Stimme.

«Oui! Tres bien!«

Sie nickte und lachelte. Ihre kleinen, grellrot lackierten Zehen spiel-ten mit den Saffianpantoffeln und wippten auf und nieder. Im Radio spielte eine Blaskapelle einen Bauernmarsch. Coucou schien sehr musikalisch zu sein. Bei jedem Paukenschlag schlugen auch ihre Beine aus und wippten hoch. Es sah sehr kokett aus, von einer raffinierten Kindlichkeit.

Peter Sacher erinnerte sich an seinen Vorsatz, hart zu bleiben. Er raumte den Tisch ab, ging in die Kuche, stellte den Hei?wasserkocher an und suchte in einigen Blechbuchsen nach Kaffee. In der Buchse, auf der Zimt stand, war Kaffee. Er war bereits gemahlen. Peter blickte schnell zuruck ins Zimmer. Die Kuchentur verdeckte ihn vor Coucous Blicken. Da nahm er die halbgeleerte Flasche Gin, setzte sie an den Mund und trank einen langen Schluck. Brennend rann der scharfe Schnaps in ihn hinein und brannte die letzten verwirrenden Gedanken weg.

Aufatmend setzte Peter Sacher die Flasche ab. Das war fur den ersten Schreck, dachte er. Wenn's so weitergeht, kehre ich mit einem Delirium nach Dusseldorf zuruck.

Er stellte sich an den elektrischen Wasserkocher und sah zu, wie in dem glasernen Behalter das Wasser zu sprudeln begann. Er schreckte erst auf, als hinter ihm ein Tapsen von nackten Fu?en das leise Summen des Kochers unterbrach. Er schielte zur Seite. Coucou war in die Kuche gekommen.

Sie hatte die Jacke wieder ausgezogen und ihr dunnes, durchsichtiges Nachthemdchen wieder ubergestreift. Auf nackten Sohlen schwebte sie herum, lachelte Peter mit glanzenden Augen an, nahm Tassen, Untertassen und Teller aus dem Kuchenschrank, stellte alles auf ein Tablett und trippelte wieder zuruck ins Zimmer.

Von da ab nahm sie eine rege Wanderung auf. Zuckerdose, Milchkannchen, Kaffeeloffel, Kaffeekanne wurden einzeln weggetragen. Bei jedem Wiedererscheinen in der Kuche hatte sie eine Wandlung vorgenommen. Erst war die rote Schleife wieder im Haar… dann trug sie lange, glitzernde Ohrringe (Ohrringe zu solch einem Nachthemd, uberhaupt zum Nachthemd! Peter schuttelte innerlich den Kopf), bei der Kaffeekanne hatte sie hellblaue Pumps an, mit einem langen, dunnen Absatz, der uber die Fliesen klapperte. Ihr Korper war dadurch gestreckt, die langen Schenkel tanzelten vor Peters Augen; er bemuhte sich, nicht hinzusehen, aber irgendwie war in seinem Inneren ein Ri? zwischen Wollen und Konnen.

Als Coucou wieder im Wohnzimmer war, nahm Peter noch einmal einen schnellen, aber herzhaften Schluck aus der Ginflasche. Warum hat Heinz sie allein gelassen und ist nach Arles gefluchtet (wenn das uberhaupt wahr ist!)? Coucou scheint keine Gelegenheitsdame zu sein. Sie kennt sich zu gut im Haushalt aus. Sie benimmt sich wie zu Hause. Er stellte die Flasche zuruck und sah das abgerissene Strumpfband auf dem Fensterbrett liegen. Eigentlich, sinnierte Peter, rei?t man alten Freundinnen keine Strumpfbander mehr ab. Aber wer kennt sich bei Heinz v. Kletow aus? Und wer wei?, zu welchen Exzessen Coucou neigt, wenn es uberhaupt Cou-cou ist. So sicher ist das ja noch gar nicht.

Er nahm Puderdose, Lippenstift und abgerissenes Strumpfband und ging hinuber ins Wohnzimmer. Coucou, wenn sie's war, hatte den Tisch gedeckt. Die Tassen standen da, die Teller, die Bestecke. Aus Papierservietten hatte sie kleine Bluten geformt. Sie selbst sa? kerzengerade, mit durchgedrucktem Kreuz auf der Couch. Das Nachthemd spannte sich wieder. Es war ein Luxus-Morgenkaffee.

Peter legte die gefundenen Gegenstande vor sie hin. Coucou, wenn sie's war, sah mit einem kurzen Blick uber sie hinweg, dann lachelte sie wie verzeihend, ergriff mit einer wilden Bewegung das abgerissene Strumpfband und warf es in eine Ecke des Zimmers. Darauf klappte sie die Puderdose auf, betrachtete sich in dem kleinen Spiegel, stie? einen spitzen, piepsenden Schrei aus und fuhr sich schnell mit der Puderquaste uber das verweinte und verwischte Gesicht.

Peter sah ihr interessiert zu. Junggesellenerinnerungen tauchten in ihm auf. Er mu?te lacheln, und dieses Lacheln war es, was Coucou, wenn sie's war, ermutigte, mit den Augen zwinkernd auf den Platz neben sich zu zeigen.

«S'il vous plait.«

Peter nickte zu ihr hinab. Er zeigte auf sie und fragte:

«Coucou?«

«Moi?«

Ihre wei?en, kleinen Zahne waren su?. Das Gebi? eines Mauschens, dachte Peter.

«Ah! Oui! Je suis Coucou.«

«Et moi«, Peter suchte nach den Vokabeln. Man mu? diesem schmahlich verlassenen und sichtlich aufgelosten Geschopf sagen, da? man Heinz' Freund ist, aber seine Handlungsweise zutiefst bedauert und ganz und gar auf der Seite der jungen Dame steht.»Moi, je suis Pierre!«Er zeigte auf sich. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Sie mu?te ihn verstehen.»Et je suis un ami du Henry.«

«Oh, son ami?«Sie sprang plotzlich auf und ergriff seine Hand. Es ging so schnell, da? ein Ruckzug unmoglich war. Au?erdem gibt es eine entschuldbare Schrecksekunde und einen langen Verzogerungsweg, wenn ein dreiviertel nackter Korper auf einen zufliegt. Nur als Coucou Peters Hand kussen wollte, zog er sie schnell zuruck.

«Nicht«, sagte er heiser.»Bitte, nein!«

«Oh!«sagte Coucou. Sie hockte auf der Sessellehne, warf plotzlich die Arme um Peters Hals, pre?te ihre hei?en, kleinen Hande gegen seine Wangen und ku?te ihn auf den Mund. Ihre Lippen zitterten.

Sicherlich hat sie Fieber, dachte Peter als moralische Rechtfertigung gegenuber seinem Gewissen. Deshalb hielt er auch still und argerte sich nur ma?los, da? sein Herz wie eine Kesselpauke drohnte.

Als Coucou seinen Kopf wieder loslie?, trat er einen Schritt zuruck und fuhr sich mit der Zungenspitze uber die Lippen. Also doch Himbeer, dachte er. Er schmeckt so, wie er riecht, der Lippenstift. Er schielte zu Coucou hinuber und suchte mit den Blicken ihre Lippen. Sie waren voll und sinnlich, fast zu voll fur das schmale Gesicht unter den goldenen Haaren.

Etwas Fremdes, Eigenartiges druckte plotzlich in Peters Brust. Es war ihm, als sei die Zeit zuruckgedreht, als sei er wieder ein flotter

Zwanziger. Es kribbelte in seinen Handen, und unter der Kopfhaut juckte es. Nur das Herz war lahm. Es kam bei der Belastung nicht mehr mit und brachte den Kreislauf durcheinander.

Coucou go? Kaffee ein. Sie zeigte auf Zuckerdose und Milch und nickte fragend. Peter nickte zuruck. Da gab sie ihm zwei Stuckchen Zucker und etwas Milch in den Kaffee.

Das ist bestimmt das Quantum von Heinz, dachte Peter. Und er argerte sich plotzlich daruber, da? Heinz sein Vorganger war. Es war fast beleidigend.

Stumm sa?en sie sich gegenuber und tranken ihren Kaffee. Von der Eglise Sulpice klangen neun helle Schlage.

«Neuve heure.«

Coucou erhob sich schnell. Sie beugte sich noch einmal uber Peter, gab ihm einen Ku?, streichelte ihm uber das Haar, sie ist elektrisch geladen, dachte er schaudernd dabei. In mir knistert es! Dann ging sie in das Schlafzimmer, wie es schien, ein wenig traurig, und zog hinter sich die Tur zu.

Peter Sacher lehnte sich zuruck und starrte an die Decke. Welch ein Affe bin ich, dachte er. Ich benehme mich wie aus Holz geschnitzt. Wirken sich sieben vergangene Jahre so katastrophal im Altern aus? Zugegeben, Sabine hatte es nicht verdient, wenn ich mich anders benommen hatte. Aber immerhin haben sieben vergangene Jahre sie nicht abgehalten, ein Doppelzimmer an der See zu mieten. Teufel auch, man ist verreist, um sich zu prufen! Wer kann es einem verubeln, ein schlechter Lebensschuler zu sein?

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