Er wollte aufspringen, um ins Schlafzimmer zu gehen, und verpa?te Gelegenheiten nachzuholen, als Coucou angezogen ihm entgegenkam. Sie war frisiert und geschminkt, hatte ein helles, gro?geblumtes Perlonkleid an und sah frisch und hubsch aus. Jung und raffiniert naiv.

«Adieu, monsieur«, sagte sie leise. Sie ist traurig, durchfuhr es Peter. Naturlich, wer mit solch einem Schluffen wie mir einen solchen Morgenkaffee trinken mu?, hat das Recht, bittertraurig zu sein. Er wollte die Arme ausstrecken und Coucou an sich ziehen, aber sie war schon weitergegangen, um ihn herum und sah auf ein Bild, das auf der Anrichte des Zimmers stand. Es stellte Heinz v. Kletow dar, in einem wei?en Tennisdre?, mit einem Zahnpasta-ReklameLacheln.

«Et, Henry«, sagte Coucou. Dann stockte sie wieder und machte eine wegwerfende Handbewegung.»Au revoir.«

Sie ging zur Tur, mit gesenktem Kopf. Aber bevor sie das Zimmer verlie?, drehte sie sich noch einmal um, nestelte in ihrer Handtasche und holte einen Schlussel hervor. Mit ausgestrecktem Arm hielt sie ihn Peter entgegen.

«La clef«, sagte sie traurig.»Pour Henry — «

«Behalte ihn doch!«antwortete Peter leise.»Ich bleibe doch sechs Wochen hier in Paris.«

Sie verstand ihn nicht. Da er sich nicht ruhrte, um den Schlussel entgegenzunehmen, legte sie ihn auf einen Stuhl, wandte sich ab und ging. Sie hatte die Tur offengelassen. Peter horte, wie sie die Flurtur offnete, sie quietschte etwas (wird gleich geolt, dachte Peter mutig), dann klappte sie wieder ins Schlo?. Es war ein Schlag, der deutlich sein Herz traf.

Coucou war gegangen.

Fur immer?

Peter Sacher lief zum Fenster und sah durch die Gardine auf die stille Stra?e. Nur ein paar Handkarren rappelten uber die Rue de Sevres.

Coucou kam aus dem Haus. Sie schaute sich um. Sie blickte die Hauswand empor, wandte sich dann schnell ab und trippelte mit eiligen Schritten davon. Niemand beachtete sie. Sie war ein Madchen wie Hunderttausend in Paris. Sie trug ein buntes Fahnchen, ein knallrotes Mundchen und blanke, wissende Augen.

Coucou, dachte Peter. Sie tragt das Herz von Paris in ihrer kleinen Brust.

Wutend wandte er sich vom Fenster ab. Wenn Manner mude werden, fluchten sie sich in die Sentimentalitat! Es ist abscheulich, alt zu werden.

Er trat an den Spiegel in der Diele. Die Betrachtung seines Ichs ermutigte ihn nicht sonderlich. Immerhin rannte er zuruck ins Wohnzimmer, nahm das Bild Heinz v. Kletows, er sieht widerlich jung und frisch aus in seinem Tennisdre?, so gemein geladen mit Potenz, dachte Peter neidvoll, trug es in die Kuche in den Abfalleimer.

Im Wohnzimmer entdeckte er auf dem Rauchtisch den Zettel Kle-tows.»Wenn Coucou kommt, sei nett zu ihr und troste sie. Die Kleine ist herzensgut, nur ein bi?chen hysterisch.«

Peter Sacher zerknullte den Zettel und warf ihn in die Ecke zu dem abgerissenen schwarzen Strumpfband.

«Bloder Hund!«sagte er laut. Es war nicht ganz klar, ob er Heinz damit meinte.

Aber dann, nach einigem Zogern, weil er sich viehdumm und kindisch vorkam, buckte er sich, nahm das abgerissene Strumpfband Coucous aus der Ecke und steckte es in das innere Fach seiner Brieftasche.

Ich fahre nach Dusseldorf zuruck, dachte er. Ich gehore nicht nach Paris. Ich ersticke hier am eigenen Dilettantismus.

Die Eglise Sulpice schlug zehnmal. Unter dem Briefschlitz der Flurtur lag eine zusammengefaltete Zeitung. Peter hob sie auf, blatterte die letzte Seite um und las die Ankundigungen der Tagesveranstaltungen.

In der Oper spielte man >La Boheme<, in der Comedie Frangai-se Molieres >Le malade imaginaire<, im Theatre Sarah Bernhard eine Komodie Marcel Pagnols. Die Bars lockten mit Entkleidungsszenen, im Moulin Rouge spielte ein Neger-Tanzorchester.

Es war fad. Alles war so fad!

Am besten ist es, man nimmt sich eine Taxe und la?t sich rund und kreuz und quer durch Paris fahren, dachte Peter. Das ist besser, als mit dem eigenen Wagen durch eine fremde Stadt zu irren. Hinein in den Bois, langsam uber die breiten Boulevards und Avenuen. Vielleicht uberkommt einen dann das Fluidum, das die Abenteuermudigkeit aus den Knochen treibt. Und wo ein schones Madchen uber die Stra?en trippelt, wo ein schlankes Bein unter der Mar-kise eines Cafes in der Sonne wippt, da kann man dem Chauffeur auf die Schulter tippen und sagen: Halt! Ich steige aus.

Austern mit Champagner. Eine Flasche Haut Sauterne. Einen Aperitif. Dazu das girrende Lachen eines Madchens. Das mu?te Paris sein.

Peter Sacher steckte die Zeitung in die Jackentasche. Als er den Rock zuknopfte, merkte er, da? ihm der su?liche Duft von Cou-cous Parfum entstromte. Er schnupperte an den Revers, an den Armeln, die noch umgestulpt waren und an den Schultern.

Coucou, dachte er. Du hast ihn auf der nackten Haut getragen. Hier druckten deine. Hastig streifte er die umgestulpten Armel herunter und schob das Kinn vor. Haltung, Peter! Blo? Haltung bewahren!

Aber seine Finger zitterten ein wenig, als sie im Treppenhaus den Schlussel im Schlo? herumdrehten.

Im Treppenhaus traf er auf den alten Concierge.»Bon jour, monsieur«, sagte er und blinzelte dabei frivol mit den Augen. Pariser Hausmeister sind gro?zugig und weltmannisch.

Peter gru?te verwirrt zuruck. Er gab dem alten Mann die Schlussel zur Wohnung und blieb ihm zwei Schritte entfernt, damit er nicht Coucou aus seiner Jacke roch.

«Ich fahre durch Paris«, sagte er.»Tour de Paris, compris?«

Der alte Mann nickte lachelnd, steckte die Schlussel ein und setzte seine Arbeit des Treppenkehrens fort.

Uber Paris lag eine grelle Sommersonne. Peter Sacher prallte fast zuruck, als er den kuhlen Hausflur verlie? und auf die Stra?e trat. Der Asphalt war pappig. Die Autos zischten durch die Sonnenglut. Der Reifengummi stank wie verbrannt.

Drei Minuten ging Peter durch die Glut, dann winkte er eine Taxe heran. Knirschend, in den weichen Asphalt Rillen ziehend, hielt sie am Bordstein.

«Parlez-vous allemagne?«fragte Peter den Chauffeur.

Der Fahrer grinste.»Det will ick meenen!«

«Ein Berliner!«jubelte Peter Sacher. Er ri? die Tur auf und warf sich neben dem Fahrer auf den Sitz.»Nun fahr mal los, Landsmann!«

«Und du kommst aus'n Rheinland, wat?«Der Wagen fuhr an.»Tja, so jeht's nu mal. Ick bin hier hangenjeblieben im Krieg, 'ne schicke Franzosin, weeste, die hat mir verborjen jehalten. Nu sind wir va-heeratet, zwee Balger ham mer och. Und die sprechen wie ick Berlinisch. Mit franzosischen Knubbeln!«Er lachte wieder und sah Peter zwinkernd an.»Wo soll's denn hin am fruhen Morjen? Kleene Puppe irjendwo im Lojis, wat?«

«La? mich mit den Puppen hier in Ruhe. «Peter Sacher tupfte sich den Schwei? von der Stirn und kurbelte die Scheibe ganz herunter.»Einmal rund um Paris, Landsmann, und dann kreuz und quer dadurch, das ist alles, was ich von Paris will. Alles andere ist doch Kase.«

«Ach so. Frau Gemahlin ist mit und noch ein bi?chen mude, wat?«Der Chauffeur beugte sich zu Peter hinuber.»Ick kenne da ein Cafe, von au?en wie 'n serioses Familiending. Aber im Hinterhaus! Junge, Junge! Der Frau Gemahlin zeigen wir die Rechnung als Alibi. Ein simples Cafechen kann niemand verwehren, wat?«

«Rund um Paris, weiter nichts. Und nun los.«

«Wie's beliebt. Aber ick mache mal ab und zu Station. Beim Essen kommt der Appetit. Wenn et nich jeblokt hatte, sagte der Wolf, hatt' ick det Schaf nie jefressen. Und hier gibt es Schafchen, Junge, Junge.«

Der Wagen fuhr an und reihte sich ein in den breiten Strom der Autokolonnen am Boulevard des Invalides.

Peter Sacher lehnte sich zuruck und blickte hinaus.

Das ist Paris.

International, froh, glucklich, unsterblich.

Eigentlich habe ich das gesucht. Nur das. Und nicht Coucou. Das Schafchen.

Womit man nicht sagen will, da? ein Mann es ablehnt, ein Wolf zu sein.

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