Jemand ist in der Wohnung. Vielleicht ist es der Hausmeister -

Er band seine Schurze ab und wollte» Ich komme gleich «rufen, als ihm der unbekannte Gast zuvorkam. Eine helle Stimme rief:

«Cheri?«

«Prost!«sagte Peter Sacher. Er legte die Schurze zur Seite auf den Seifenschaum. Der Hausmeister hatte keine helle Stimme, und bestimmt wurde er Kletow oder ihn nicht mit Cheri anreden.

Es mu?te etwas getan werden. Peter rief zunachst zuruck mit der Vokabel, die er flussig konnte.

«Oui.«

Oui ist immer gut, wenn man Cheri genannt wird. Da kann es keine Komplikationen geben. Peter blieb in der Kuche und sah in Richtung des Wohnzimmers. Bestimmt ist es Coucou, durchfuhr es ihn. Sie hat einen Schlussel, naturlich hat sie ihn. Und Coucou kommt am fruhen Morgen und ruft Cheri. Das beweist, da? sie von der Abreise Kletows nichts wei?.

Was schrieb doch Heinz? Sie ist leicht hysterisch und wirft gerne mit Glasern. Die letztere Gefahr schaltete aus, denn die Glaser befanden sich in der Kuche.

Langsam kam Peter Sacher aus der Kuche in das Wohnzimmer. Er hatte den empfohlenen Satz >Sei still, alte Ziege!< schon auf der Zunge, als er erstarrt stehenblieb.

Auf der Couch sa? ein Madchen mit langen, blonden, aufgelosten Haaren. Sie hatte ein hauchdunnes, durchsichtiges Chiffon-nachthemdchen an, rote Saffianpantoffelchen an den zierlichen Fu?en, eine rote Schleife im zerwuhlten Haar, und dieses bezaubernde, angezogene und doch nackte Wesen rieb sich verschlafen die Augen, verzog den grellroten Mund zu einem su?en Gahnen und war so mude, da? es die Augen geschlossen hielt, als es sich etwas zurucklehnte und der Stoff des Nachthemdes vollig seine Berechtigung verlor. Sie sa? da, als wu?te sie nicht, wo sie sich befande. Ein boser, boser Mann schien sie so in die rauhe Welt ausgesetzt zu haben.

Peter dachte an das abgerissene schwarze Strumpfband, an Lippenstift (riecht nach Himbeeren) und Puderdose (riecht nach Kirschen) und den Wirrwarr auf dem Tisch. Plotzlich pa?te auch die ubersturzte Abreise Kletows in dieses Sittenbild, der hinterlassene Brief und die teuflische Idee des Freundes Heinz, ihn in diese Situation hineinrutschen zu lassen.

Paris schien doch nicht langweilig zu werden.

Peter Sacher rausperte sich leise. Das war das einzige, wozu er in diesem Augenblick fahig war. An Vokabeln zu denken, verbat ihm der Anblick, den er still geno?. Das Madchen lehnte sich weiter zuruck, es streckte den Korper auf der Couch aus, das dunne Hemd-chen spannte sich wie eine zweite Haut. Peter bi? sich auf die Unterlippe. Solch ein Anblick schmilzt Steine, dachte er.

«Cheri?«wiederholte sie mit geschlossenen Augen. Ihre Stimme girrte wie die eines Taubchens. Sie war hell, kindlich fast, und doch perlte sie uber den Rucken wie eiskaltes Sprudelwasser.

«Je suis tres fatiguee.«

Fatiguee, das hei?t mude. Peter Sacher nickte mehrmals. Kein Wunder, da? du mude bist, dachte er. Wer nur ein bi?chen Fantasie walten la?t, hat genug, um sich gleich daneben zu legen. Er rausperte sich wieder. Seine Kehle war plotzlich trocken. Er wollte in die Ecke des Zimmers sehen, zur inneren Sammlung, aber sein Blick klebte an der zierlichen Figur auf der Couch, als hingen seine Augen an einem Magneten.

Das Madchen ruhrte sich nicht. Es lag mit geschlossenen Augen, wolbte jetzt die Brust etwas hoher und spitzte die Lippen wie ein Mauslein.

«Un baiser, Henry«, sagte sie leise und zart wie schwingende Sommergraser im Wind.»Oh, mon troubadour, je t'aime.«

Peter steckte die Hande in die Hosentaschen. Sie waren im Weg und schwitzten zudem. Wie gut ich Franzosisch kann, dachte er. Ich habe jedes Wort verstanden. Teufel, was ist man doch fur ein intelligenter Mensch.

Er trat einen Schritt vor und atmete tief. Jetzt mu?te ein Wunder geschehen, dachte er. Die Tur mu?te sich offnen und Sabine hereinkommen. Diese Venus dort auf der Couch, mit gespitzten Lippen und knappem Hemdchen, nebenan ein Schlafzimmer, dessen Zustand sich noch meiner Information entzieht, aber dessen Anblick bestimmt umwerfend sein wird, die rauch-, parfum- und alkoholgeschwangerte Wohnung, und ich allein in diesem su?sauren Pfuhl freien Lebens. Fur Sabine wurde es nur zweierlei geben: entweder die Erkenntnis, da? es besser sei, einen Mann nie mehr allein zu lassen, oder der Entschlu?, endgultig einen Strich unter sieben dahingeschleppte Jahre zu ziehen.

Peter Sacher sah auf den blonden Lockenkopf und fand die Kraft, an die franzosische Sprache zu denken. Unsicher sagte er:

«Mademoiselle, je ne suis pas Henry.«

Der Satz schien gelungen zu sein. Ihm folgte aus aufgerissenen Lippen ein lauter, spitzer Aufschrei, der wie» Iiihh!«klang. Wie von einer Bogensehne abgeschossen, schnellte der schlanke Korper vor und warf sich Peter entgegen. Die muden Augen spruhten plotzlich Feuer, die Haare wirbelten um den schmalen Kopf.

«Ou est Henry?«schrie das Madchen schrill. Danach ri? es sich das dunne, unschuldige Hemdchen vom Korper, zerknullte es, warf es in eine Ecke und lie? sich, der Nacktheit nicht achtend, in einen Sessel fallen, schwang die langen, schmalen Beine uber die Lehne und trommelte mit den Fingern auf den schonen Schenkeln.

Peter sah zur Seite. Was zuviel ist, ist zuviel. Wenn das Folgende sich weiterhin in solchen Fortsetzungen abspielte, enthob die Handlung ihn jeglicher Antworten. Im ubrigen aber war es eine hundsgemeine Gemeinheit von Heinz, eine solche Situation herbeizufuhren. Schlie?lich war man sieben Jahre lang verheiratet, und Paris sollte der inneren Sammlung dienen. Und noch weniger Ehrgeiz hatte Pe-ter, aus der Erbmasse Heinz v. Kletows dieses Madchen zu ubernehmen.

«Ou est Henry?«zischte der Nackedei vom Sessel her wutend.

«Henry est perdu!«sagte Peter grober, als er wollte. Er rang nach Haltung und uberlegener Mannlichkeit.

«Perdu?«Das Madchen warf die Arme zur Seite.»Oh — quel filou, quel malheur, oh, Monsieur, Monsieur!«

Auf einmal weinte sie. Die Tranen liefen ihr uber das Gesicht, dick wie Kindermurmeln, und zogen Rillen in den Puder. Sie warf das Gesicht auf die Sessellehne und schluchzte herzerweichend.

Peter sah sich hilflos um. Ein nacktes Madchen ist an sich schon ein etwas ausgefallener Morgenanfang. Ein weinendes nacktes Madchen aber ist ein Superlativ davon. Er war ruckhaltlos dazu bereit, mit Coucou einer Meinung zu sein, da? Heinz der gro?te Filou auf der Welt war. Das enthob ihn aber nicht der Pflicht, etwas Trostendes zu sagen und sogar zu unternehmen.

Er tat zunachst das, was alle Manner tun, wenn Frauen bitterlich und herzzerrei?end weinen: Er nahm sein Taschentuch aus dem Rock, sah schnell nach, ob es noch sauber war, schob dann seinen Zeigefinger unter Coucous Kinn, hob das Kopfchen empor (man sollte Heinz sieben Stunden lang ohrfeigen, solch einen Engel so seelisch zu verletzen!) und trocknete ihr die dicken Kindermurmeln ab.

«Nicht weinen«, sagte er leise. Auch das sagen schuldbewu?te Manner immer. Der Tonfall ist sehr variabel. Bei Peter Sacher klang er wie ein sanftes Streicheln und leises Sauseln verfuhrerischer Schmeicheleien.»Das ist dieser Heinz gar nicht wert. Glaub es mir. Er betrachtet die Frau nur als ein Spielzeug. Er ist ein Lustlummel! Wie kann man vergessen, da? auch ein Madchen wie du ein Herz und eine empfindsame Seele hat! Auch wenn dir die Francs lieber als alles andere auf der Welt sind. Du bist doch ein Mensch, der ab und zu wirklich zu lieben wei?. Du bist kein Tier, dem man das Fellchen kraulen kann und es dann wegsto?t in den Zwinger. Nicht nur Schmerz und Freude empfindest du, sondern auch Einsamkeit,

Scham, Trauer, Verlassenheit und Liebe. Vor allem Liebe, du kleines, blondes Katzchen. Vielleicht bist du vom Montparnasse oder aus Menilmontant, was geht es mich an? Heute bist du hier, gestern warst du vielleicht in der Rue de Tolbiac, morgen wirst du in einem Zimmer der Avenue de St. Mande schlafen. Und wer heute Henry ist, ist morgen Jacques oder Pierre oder Rene, c'est la vie!«

Das Madchen blickte auf. Peter kam sich etwas dumm vor. Ich habe einen heillosen Schwulst dahergeredet, dachte er. Aber wer sie ansieht, verdammt, der wird blod, poetisch, kindisch, uberschwenglich, schnulzig. Warum sitzt sie auch so demonstrativ nackt im Sessel!

«Qu'est-ce que ma vie?«fragte Coucou mit gro?en Kulleraugen. Sie konnten so herrlich unschuldig blicken.

«Das alles, worum du jetzt weinst. «Peter richtete ihren wei?en Korper auf. Er bemuhte sich, dort

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