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Er krampfte die Finger zur Faust und starrte weiter stumm in das Rieseln des Schnees.

«Du hattest mir versprochen, des Vaters Zorn zu schonen«, fuhr Trudel leise fort.»Du wei?t, er ist im Herzen gut — und trotzdem triffst du ihn so hart. Otto Heinrich«- das Madchen stockte und legte zogernd die Hand wieder auf die Schulter Kummers —,»weil du mich liebst, solltest du schweigen.«

«Es ging nicht!«Der Jungling fuhr herum und pre?te die Fauste an seine Brust.»Wenn du wu?test, wie er mich qualt, tagaus, tagein, stundlich, schon wenn er mich sieht — in der Apotheke, bei Tisch, im Kontor, uberall — immer diese spitzen Reden, unberechtigte Schelte, Mi?trauen, Harte, Spott — alle Register menschlicher Qualsucht wendet er an, um mich zu treffen, mich zu erniedrigen, mir zu zeigen, da? ich ein Haufen Unrat bin. Dreck, sagte er einmal — ein Haufchen Dreck sind Sie, auf den die Sonne scheint und mildtatig vergoldet. Das soll ich mir gefallen lassen? Tagelang, wochenlang — vielleicht auch noch Jahre? Immer Qual, immer getreten werden, immer das Bewu?tsein: Wenn du jetzt ins Laboratorium trittst, steht er da und brullt dich an! Brullt, viehisch, unmenschlich. Ich ertrage das nicht langer — ich werde noch irr in dieser Luft des Hasses. Ich mache Schlu? wie Bendler.«

«Liebster. «Trudel sah ihn mit gro?en Augen an und zitterte.»Liebster. denke doch auch an mich.«

«Ich habe daran gedacht! Vielleicht zu oft, und ich buckte mich vor Tritten, wo ich eigentlich hatte widertreten mussen! Aber ein-mal steht auch der starkste Mensch an seiner Grenze. Da geht es nicht mehr, Trudel, da mu?t du durchbrechen… da bist du wie ein Tier, das man hetzt und hetzt und in der Falle noch qualt.da bei?t du um dich und vergi?t, da? du einmal ein Versprechen gabst, das aber unhaltbar ist, solange du noch fuhlst und Ehre hast!«

Er schwieg einen Augenblick und atmete schwer, vermied es aber noch immer, in Trudels Augen zu schauen.

«Als ich dann vor ihm stand, um Urlaub nach Dresden bat, als er dann meine Arbeit schmahte und mich zum Tollen reizte, da warst du nicht mehr da, nicht mehr in den Gedanken, nicht mehr im Gefuhl, nur tief im Herzen — und dort schwiegst du, ergriffen von der Einsamkeit, die du dort fandest. Ich aber schrie meinen Ha? und meine Wahrheit dem Peiniger ins Gesicht. Als er dann umsank, war ich zuerst entsetzt, dann rief ich dich. ich fuhlte nur den einen Wunsch: Heraus aus dieser Holle!«

Er schwieg und blickte auf den gefrorenen Boden. Das Madchen, das ihn bei seiner Beichte unverwandt angesehen hatte, senkte nun den Kopf, bis er auf seinen Schultern lag und die goldgelben Strahnen ihres Haares an seiner Wange und seinem Nacken kitzelten.

Ein leises Schluchzen erschutterte ihren Korper.

«Und kaum, da? er aus seinem Anfall erwachte, ging er ins Kontor und schrieb in das Kassenbuch deine Reisekosten und ein Extragehalt fur das Fest ein«, weinte sie leise.

Otto Heinrich fuhr herum und fing das Madchen auf, das durch den plotzlichen Ruck ins Wanken geraten war.»Was tat er?«stotterte er und schob die Linke unter Trudels Kinn, ihr den Kopf hochhebend.»Er la?t mich nach Dresden fahren?!«

«Er hat eine gute Seele«, schluchzte das Madchen.»Oh, warum versteht ihr ihn alle nicht und ha?t ihn, weil er sich seiner Gute schamt und hart ist?! Und du, gerade du. «Sie weinte auf und verbarg das tranennasse Gesicht in ihren blaurotgefrorenen Handen.

«Wie konnte ich das wissen«, stammelte Otto Heinrich.»Er nannte mich einen Flegel, einen Rotzkerl, einen Schuft.«

«Liebster.«»Ja, einen Schuft auch! Da konnte ich nicht schweigen, da durfte ich nicht, wenn mir der Name meines Vaters, den ich trage, heilig ist! Ich hatte ihn ermorden konnen, ich war in diesem Augenblick zu allem fahig, ich… ich. Trudel, ich wei? nicht mehr, was Unrecht oder Recht ist, wenn man liebt und gleichzeitig wie ein Hund gehetzt wird.«

Er blickte aus dem Fenster und druckte das Madchen fest an seine Brust. Als er spurte, wie sie vor Kalte zitterte, offnete er seinen Mantel, schlug ihn um den schmalen Madchenkorper und pre?te ihn eng an sich, rieb ihre Hande und hauchte sie an, ku?te ihre Wimpern, an denen die leicht gefrorenen Tranen leise knisterten, und druckte dann auch den Kopf an sich, das ganze zarte Geschopf in seinen weiten Mantel hullend.

Drau?en rieselte unentwegt der Schnee.

Tief eingeschneit lag die Laube inmitten der Tannen, denen die Schneelast die Zweige zur Erde bog. Die Wege waren unkenntlich, eine gro?e, wei?e Flache war der Garten, und nur der fahle Schein, den der Schnee zuruckwarf, erhellte die lautlose Nacht.

Die Lichter in den Nachbarhausern waren langst erloschen. Eine klirrende Kalte kroch in die einsame, zugeschneite Laube.

Eng umschlungen standen die Liebenden.

Sie froren und zitterten.

Doch sie wagten nicht, hinaus durch den Schnee in das Haus zu gehen, denn diese Hutte war ihr Reich, wo niemand von der lauten Welt sie storte und wo die Herzen fuhlen durften, was ewig ist und gottlich gro? wie das Wunder der wei?en, lautlosen Flocken, die sie umspielten.

«Ich habe dich lieb«, sagte Trudel nach langem Schweigen.»Es ist so schwer zu lieben.«

Otto Heinrich streichelte ihr uber die eisigen Wangen.

«Frierst du, Liebste? Du sollst nicht zittern, in meinen Armen nicht — nicht vor Frost und nicht vor Angst. «Er pre?te sie so fest an sich, da? sie leise aufschrie und nach Atem rang.»Verzeih«, stammelte er.»Alles, was ich mache, ist voll Schmerz und Unrecht. Ich bin ein Mensch, der Ungluck bringt und Tranen.«

«Du bist ein gro?es, gro?es Kind.«, flusterte das Madchen und schmiegte sich in seine Arme.»Ein Kind, Liebster, ungezogen, unuberlegt — und lieb, so lieb.«

Sie ku?ten sich und schwiegen dann, schauten auf die stummen, tanzenden Flocken, auf die wei?en Tannen und die Schatten der Hauser.

Und sie froren nicht mehr. sie waren zu glucklich, um Kalte zu spuren. Unwirklich wurde die Welt, in einem Nebel von Gluck versank die Besinnung auf Erde und Mensch. sie waren nur Ich und Du. nur Wir. nur eins im Taumel der Seligkeit.

Doch ihre Korper standen und zitterten vor Frost. standen in einer Laube, deren Dach sich unter der Decke des Schnees bog und die in einer Flut wirbelnder Flocken versank.

Langsam schneite die Laube zu, und der Vorhang des Schnees wurde dichter.

Wie ein Geheimnis dehnte sich die Nacht.

Nur einmal drang ein schwacher Laut in diese Stille. Ein Tannenzweig, plotzlich vom abgerutschten Schnee befreit, schnellte empor.

Doch lautlos, ohne Pause, rieselte der Schnee. tanzelte und schwebte. in dicken Flocken, eng aneinandergereiht. lautlos. standig. Schnee. endloser Schnee.

Das Weihnachtsfest in Dresden ging schnell vorbei. Otto Heinrich traf das gro?e Haus in der au?eren Rampschen Gasse im festlichen Schmuck an, duftend nach Tannen, frischem Geback und gebratenem Fleisch, er fand seine kleine Schwester Anna Luise voll seliger Erwartung auf das kleine Wunder der Weihnacht und den Bruder Johannes Benno gerustet, eine gro?e und feierliche Hausandacht zu halten, nur der Vater ging bedruckt umher, zwang sich zu einer sauren Frohlichkeit und bemuhte sich nach Kraften, der Mutter nicht das schone Fest in Galle zu verwandeln.

Als Otto Heinrich in die Halle trat, kam ihm der Vater ernst entgegen. Sie druckten sich die Hand, sahen sich stumm an und nickten sich zu. Es war ein stiller Schwur, zu schweigen und das harte Los mit Starke und Geduld zu tragen.

Am ersten Tag des Festes, dem abends die Bescherung vorausging und das Gluck der kleinen Anna Luise bis zum Bersten fullte, kamen die Gaste ins Haus.

Es waren nur noch wenige. Verfemt, geachtet lag das breit hingelagerte Marienbad im Schnee, und die sonst gastoffenen Turen klapperten nur selten hinter den Manteln der sparlichen Besucher.

Freiherr von Maltitz kam und gratulierte.

Und Herr von Seditz.

Der Baron von Puttkammer.

Der Ritter von Bruneck.

Und der Maler Caspar David Friedrich.

Der letzte Romantiker. Der Rhapsode des Mondscheins. Der Mystiker des Gefuhls — Sucher im Dunkel.

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