Der Maler C.D. Friedrich, der Freund, der den Munzmarschall nach Rugen begleitete und dort seine beruhmten 36 Bilder malte. Der letzte Gro?e, der die Treue hielt, weil er wu?te, wie verschlungen die Wege der Wahrheit sind, verschlungen wie die Mischung der Farben, ehe sie den richtigen Glanz erzeugen.

Der stammige Munzmarschall sa? in seinem Sessel am knisternden Kamin und uberblickte die kleine Gesellschaft.

«Funf Gaste«, sagte er gedehnt.»Im vorigen Jahr waren es fast funfzig!«

«Wieviel du ihnen warst, erkennst du erst heute«, erwiderte Friedrich und nippte an einem Glase voll dampfenden Punsches.»Die Freunde des Glucks sind die Feinde des Unrechts.«

«Die Welt ist schlecht«, sagte der Munzmarschall und starrte in die Flammen.

«Die Welt ist schon«, erwiderte langsam von Maltitz.»Nur die Menschen sind es, die sie zur Holle machen.«

«Und selbst die Holle ist schon.«, Herr von Seditz rakelte sich in seinem Sessel.»Sie trennt die Schlacke von dem edlen Metall.«

Dann schwiegen sie und tranken den dampfenden Punsch.

Sie spielten Schach und rauchten hollandischen Tabak. Das Dor-chen — wie der Hausherr seine Gattin nannte — brachte kurz vor Mitternacht noch Tee, Geback und eine Flasche, die man sturmisch feierte und mit lautem Vivat begru?te.

Tokaier war es, blutrot, dick wie Serum, olig, schimmernd im Glas wie dunkelster Rubin.

Von Maltitz schnalzte mit der Zunge. Er zog den Propfen aus der Flasche, da? es knallte.

Dann wurde es still am knisternden Kamin — es sprach allein der Wein.

Der Schein der Flammen zuckte uber die dunkel getafelten Wande und die schwere Rautendecke.

Erst weit nach Mitternacht verlie?en die Gaste gemeinsam das einsame, gro?e Haus in der Rampschen Gasse. Otto Heinrich ging mit ihnen. Caspar David Friedrich und Maltitz hatten ihn untergehakt und sprachen leise auf ihn ein.

Man ging durch den knisternden, verharschten Schnee zur Bruhl-schen Terrasse. In einem kleinen Weinlokal, nahe der Frauenkirche, war in einem Hinterzimmer schon ein Tisch gedeckt.

Der Wirt stand in der Tur und dienerte.

Was in dieser Nacht besprochen wurde, erfuhr man nie. Es war ein toller Plan, den Munzmarschall zu retten.

Als Otto Heinrich gegen Morgen auf sein Zimmer gehen wollte, traf er den Vater noch im Arbeitszimmer an.

Stumm sahen sie sich an.

Dann sagte Otto Heinrich leise:

«Es geht gut, Vater. Die Zukunft gehort uns.«

Und der Munzmarschall legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter, wandte sich dann ab und trat an das verhangte Fenster.

«Ich tat dir manches Unrecht, Otto Heinrich. Ich bin ein alter Mann, verzeihe mir.«

Im Rucken des Marschalls klappte eine Tur. Eilige Schritte ent-fernten sich. Sie hallten in den weiten Raumen.

Otto Heinrich floh vor seinen Tranen.

Gleich nach dem zweiten Weihnachtstag fuhr Herr von Seditz mit einer koniglichen Extrapost nach Berlin zu dem Gesandten Ritter von Bollhagen. Freiherr von Maltitz begab sich in das Gro?herzogtum Posen nach der Festung Thorn, um die Grenze nach Polen unter den Augen zu haben. Der Ritter von Bruneck dagegen wandte sich nach Kleve und wartete an den niederlandischen Schlagbaumchen.

Ein heimliches Kesseltreiben begann. Die Geheimdienste von Sachsen, Preu?en, Posen, Schlesien, Westfalen, Hannover, Bayern, Wurttemberg und Baden bekamen ihre Ordre und das Signalement einer Madame de Colombique, geborene Vera Veranewski Bulkow aus Moskau.

Otto Heinrich Kummer aber feierte in Dresden mit den Eltern und den lachenden Geschwistern das neue Jahr 1835, und als die Glocken Dresdens schallend die erste Stunde einlauteten, die Fenster aufgesto?en wurden und helle Stimmen, jubelnd, weinfroh durch die Schneenacht lachten, sa? der Munzmarschall dem einst verbannten Sohne gegenuber und hielt dessen hei?e Hande.

«Ich habe nie gewu?t, da? Liebe starker ist als Ha?«, sagte er leise.

«Vater.«

Der Alte winkte ab.

«Ich wei?, es gab einst eine Zeit, wo du den Vater ha?test! Wann war das? Es ist lange her.«

«Vater. ich.«

Der Junge stotterte. Er wollte seine Hande an sich ziehen, doch der Vater hielt sie fest und blickte auf die zarten, schmalen Finger.

«Diese Hand schrieb einst: Ich habe keinen Vater mehr! — Ach, es ist lange her. Ich habe es nie verstanden, ich war in eine andere Welt geboren als mein Sohn. Ich tat ihm Unrecht, ich war hart, ich schickte ihn in eine Einsamkeit, damit er sehen und sein Inneres reifen lerne. Und dieser Sohn ist da, als man den Vater, der fur ihn gestorben war, ins Unrecht stie?. Ist da und sagt zu mir: Vater! — Was habe ich an dir gesundigt! Verzeih mir, Otto Heinrich — in dieser Stunde — verzeih.«

Er legte seinen Kopf auf die Hande des Sohnes und schwieg.

Otto Heinrich bebte am ganzen Korper. Er wollte schreien, weglaufen, hinaus in die Nacht, in den Schnee, in die Kalte, laufen, immer laufen, bis zur Elbe, bis in das Gebirge, bis nach Frankenberg, laufen, laufen. Nur das nicht sehen, nur das nicht horen mussen. diesen Zusammenbruch seines Vaters, seines harten, herrischen Vaters, des stolzen Munzmarschalls.

«Was tust du«, stammelte er.»Vater. Vater. was tust du.?«

«Ich habe einen Sohn wiedergefunden«, sagte der Alte.»Und dafur danke ich dem Himmel.«

Als Otto Heinrich nach einer Stunde das Arbeitszimmer des Vaters verlie?, trug er an seiner Hand den alten Familienring der Kummers.

Es war der Ring, den der Vater stets dem liebsten Sohn vererbte.

In seinem Zimmer schlo? sich Otto Heinrich ein.

Die ganze Nacht hindurch brannte bei ihm die Lampe.

Unter seinem Fenster leuchtete der Schnee.

Am Morgen fuhr er ab. Zuruck nach Frankenberg.

Er sah den Vater nicht mehr. Die Mutter sagte, ihm sei unwohl, und gab dem Sohn den Segen.

Erst als die Turme Dresdens in dem Morgendunst verschwammen, lehnte sich Otto Heinrich in das harte Polster zuruck und legte beide Hande vor seine Augen.

Er weinte.

Doch er wu?te nicht zu sagen: war es Heimweh, Gluck, Wehmut oder die Angst vor einer Zukunft, der er mit bangen Ahnungen entgegenfuhr.

In der zweiten Nacht der Reise passierte die schwankende Kutsche unter klirrendem Frost die Stadt Freiberg und wandte sich dann von der Hauptstrecke ab, um auf einer Nebenstra?e die Route durch das sudwestliche Erzgebirge zu erreichen.

Es war eine dunkle, eisig windige Nacht. Die Reisenden hatten sich in ihre Pelze und Fu?sacke gedruckt, schliefen, indem sie sich gegenseitig stutzten, oder bruteten vor sich in die Dunkelheit, die Unbequemlichkeit der Fahrt verdammend und leise achzend bei jedem Sto?, der den schwankenden Holzkasten in allen Fugen schuttelte, wenn die Rader durch die tiefen Locher der ungepflegten Stra?e sprangen.

Die kleinen Fenster zu beiden Seiten der Kutsche waren von innen verhangt. Auf dem Bock sa? der Postillion im dicken Pelz und fluchte.

Wei? wehte aus den Nustern der Pferde der Atem in die Kalte.

Als die Kutsche in die Nebenstra?e einbog, um dann mit verstarktem Trab in die Walder zu fahren, hatte niemand in der Kutsche noch der Postillion bemerkt, wie sich aus dem Gebusch an der Kreuzung eine Gestalt loste, wieselschnell an die Ruckwand der Post sprang, sich an einer der langen gebogenen Gepackstangen festklammerte und ein Stuck mitlief, ehe sie sich an einigen Schnurriemen emporzog und auf den Proviantkasten dicht unter das schmale Ruckfenster setzte.

Bekleidet mit einem weiten Mantel und einem tief ins Gesicht gedruckten, breiten Schlapphut, sa? die Gestalt

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