um Mittag in der Stadt eintreffen. Bendler hatte es aus einem Dragoner-Unteroffizier herausgekitzelt, den er an einer Wegschenke bei Weida getroffen und betrunken gemacht hatte.

Um Mittag. Das hie?, da? sie kurz vor sieben hier durchkommen mu?ten. Also bei Morgengrauen. Ein guter Zeitpunkt. Dann waren Kutscher und Begleiter von der Nacht schon so zermurbt, da? sie nicht bemerken wurden, was auf sie wartete. Und wenn sie es merkten, war's ohnehin zu spat.

Noch einmal uberprufte Willi Bendler den Sitz des Seils. Er hatte es am schenkeldicken Ast der Eiche verknotet, die am gegenuberliegenden Hang hochwuchs.

Nun tarnte er es mit abgeschnittenen Zweigen.

Hans, der altere der beiden Studenten-Vettern aus Gera, kletterte noch einmal rasch wie ein Affe den Baum hoch, schwang sich wieder auf den Weg, lachte.

«Na, denen rasieren wie die Hute ab, was, Willi?«

Bendler nickte. Den Jungen mochte er. Als Student der beste auf dem Paukboden, hatten sie gesagt. Au?erdem gehorte er der JahnBewegung an, war gewandt wie ein Panther, lie? sich nie Angst anmerken und blieb immer guter Laune, selbst wenn es noch so ubel aussah.

Der Weg war nun nichts als ein graues Band.

Der Wald verhielt noch im Dunkel. Weiter oben aber, wo die Kurve auslief und das Gefalle begann und sich Felder zogen und Busche, hatte der Himmel sich aufgehellt. Schon waren die ersten Vogelrufe zu vernehmen. Und der Mond hing als blasse Sichel in einem grunen Himmel.

Sie wurden kommen. Bald sogar. - Falls seine Rechnung aufging.

Bendler buckte sich, scharrte einen Armvoll Laub zusammen und streute ihn uber das Seil am Boden.

Dann verkrochen sie sich wieder in der Deckung, kauerten hinter Stammen und Buschen. Jetzt sprach keiner mehr, jeder wu?te, was zu tun war.

Bendler zog die Pistole. Beinahe zartlich streichelte er den Knauf und die vertraute Rundung des Griffs. Die Kugeln steckten im Lauf.

Er spannte die beiden Hahne, prufte die Zundhutchen. Auch die beiden Gera-Vettern machten die Waffen schu?bereit. Weiter oben, in der Schonung, kauerte der >Frosch< hinter einem Haufen Bruchholz. Er hatte das Grenadier-Gewehr.»Nur im Notfall schie?en!«hatte Bendler ihm eingescharft.

Sieben Uhr zehn. Nun konnte er die Ziffern seiner Uhr schon ganz deutlich lesen. Die Zeiger schienen festgeschraubt.

Irgendwo schrie eine Krahe. Und nun wieder ein Vogelruf. Es klang wie eine Warnung.

Der milchige Schleier uber den Feldern hatte sich aufgelost und einem klaren Blau Platz gemacht.

Und dann horten sie es: das gleichma?ige Schlagen von Hufen, Raderpoltern, das metallische Klacken, das entsteht, wenn stahlerne Radbander auf harte Steine treffen.

«Sie kommen.«

Hans war es, der es flusterte, und Bendler hob die Hand. Eine unnotige Geste. Jeder wu?te, was er zu tun hatte.

Hans Hilpert war der einzige, der sich aus der Kauerstellung hochschob. Eng an einen Stamm gepre?t, hielt er das Seilende. Sobald es soweit war, wurde er das schwere Hanfseil blitzschnell anspannen und um das Aststuck schlingen. In angespanntem Zustand mu?te es Kutscher wie Reiter abwerfen. Sie hatten es zuvor genau ausgemessen.

Bendler hielt den Atem an.

Das Hufeklappern anderte sich, wurde schneller. Das, was er erwartet hatte, war eingetreten: der Kutscher nutzte den leicht abfallenden Hang. Statt zu bremsen, versetzte er die Pferde in einen raschen Trab. - Na, um so besser!

Zwei Lichter.

Wegen des Waldesdunkels waren die Laternen noch nicht geloscht.

Bendler stand auf: ein Schatten unter anderen Waldesschatten.

Noch vierzig, drei?ig, zwanzig Meter. Und nun sah er sie, sah alles ganz genau, jedes Detail: das Blinken an den Tschakos der beiden Reiter, die die unformige Militarkarosse begleiteten, die wei?en

Dragoner-Aufschlage an den Uniformen — den Kutscher. Auch er ein Soldat. Hochaufgerichtet sa? er, wahrend die Dragoner, erschopft vom Nachtritt, wie schwankende Puppen in ihren Satteln hingen und die Pferde allein ihren Weg suchen lie?en.

Na, die werden wir gleich wecken.

Hans' Zahne blitzten. Die Anspannung hatte ihm die Lippen hochgezogen. Die Faust griff zum Seil.

«Jetzt!«rief Bendler.

Ja, jetzt.

Was nun folgte, mischte sich zu einem kaleidoskopartigen Wirbel von Eindrucken und Gerauschen: Schatten, die schreiend durch die Dammerung flogen. Fluche. Das Wiehern sich aufbaumender Pferde, das Donnern der Hufe, als die Tiere in Panik die Hangstra?e hinabrasten. Die Kutsche dort — fuhrungslos. Das Deichselpferd schien sich im Geschirr verfangen zu haben, brach nach vorne in die Knie. Und da kippte der Wagen um, rutschte uber die Steine, blieb an einem Baum hangen.

Um so besser.

Bendler sprang.

Und nun war er wieder der >Riese Bendler<, ein gewaltiger, Unheil verkundender schwarzer Schatten, der sich wie ein Geist aus der Dammerung erhob, einen der beiden Dragoner, der sich gerade fluchend aus dem Staub hochgerappelt hatte, mit einem einzigen Faustschlag zuruck auf die Stra?e schleuderte; so machtig, mit solcher Hammergewalt gefuhrt war der Hieb, da? der Mann zuckend liegenblieb.

Und da war der zweite, war schon hoch, wollte den Sabel ziehen.

Doch dazu kam er nicht mehr.

Willi Bendler wirbelte herum. Das rechte Bein holte aus, die Fu?spitze traf genau den Magen und warf den Mann gegen die Boschung. Hustend, nach Luft schnappend, sackte er zusammen.

Was war mit dem Kutscher? — Ah, dort! Und die Hande hatte er uber dem Kopf. Und vor sich Hans' Pistole.

Willi Bendler beugte sich uber den Dragoner. Er hing zwischen den Wurzeln und hatte noch immer beide Hande gegen seinen Magen gepre?t. Jetzt drehte er den Kopf. Die Augen wurden weit.

«Na, wie geht's denn, Gevatter?«

«Ihr seid es.?«

«Aber naturlich.«

Bendler grinste freundlich, beruhigend. Zufalle gab es. Er hatte den Unteroffizier sofort erkannt. Der Sergeant war der Mann, den er in der Kneipe so mit Wein vollgeschuttet hatte, da? er ihm den Transport verriet. Da? er selbst mitreiten wurde, das allerdings hatte er verschwiegen.

«Mein Magen.«

«Bin nicht ich«, grinste Bendler,»das ist der Wein. Werd' den erst mal los, dann wird's dir besser. Komm, ich helf dir.«

Er packte den dicken Unteroffizier an seinem Uniformkragen und druckte ihn nach vorne, mit dem Gesicht zum Laub.»Spuck's aus, Gevatter! Dann wird dir besser.«

Vielleicht war soviel christliche Fursorge nun doch ein Fehler. Der erste der beiden Soldaten war wieder auf den Beinen. Der gab nicht auf. Und wei? der Teufel, eine Pistole hat er in der Hand.!

Das Gesicht war jung, ein Bauerngesicht mit unruhig flackernden Augen. Doch die beiden anderen Augen, die schwarzen, kreisrunden Mundungen der Pistolenlaufe blieben ruhig. Und beide waren sie auf Bendlers Brust gerichtet.

Bendler holte Atem. Die Luft war so kuhl. Dort druben das Pferd. Es schnaubte, wieherte unterdruckt. - Es hatte Angst.

«Nun tu's doch, Junge«, sagte er.»Na los!«

Die Laufe begannen zu schwanken.

«Willst wohl beweisen, da? du ein tapferer Soldat bist?. Nur, wem?. Dir selber?. Wer sonst sieht es denn, da? du einem Freischarler die Pistole auf die Brust setzt? — Niemand, Junge.«

Ein leiser, halb klagender, halb knurrender Laut. Dann flog die Pistole plotzlich hoch, beschrieb einen Bogen und landete im Laub des Weges. - Der Oberkorper des Dragoners aber war zuruckgebogen, ein Arm winkelte sich

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