schwarz und in sich zusammengezogen uber den schwankenden Radern. Durch die dunne Holzwand horte sie das Husteln der Reisenden, lachelte bei einem saftigen Fluch des Postillions und schnalzte mit der Zunge mit, wenn die Peitsche klatschend uber die zitternden Pferderucken zischte.

«Monsieur«, sagte plotzlich eine Dame zu ihrem Nachbarn und richtete sich ein wenig auf.»Mir war es, als habe sich drau?en an der Hinterwand etwas geregt! Mon Dieu — es gibt hier doch keine Rauber?«»Es ist der Wind«, murmelte ihr Begleiter verschlafen.»Der Wind, Madame. Rauber. «Er gahnte laut.»Rauber gibt's hier nicht.«

Nach wenigen Augenblicken schlief er weiter.

«Ich gehe nicht davon ab: es ruhrt sich etwas an der Ruckwand«, flusterte die Dame nach einer Weile.»Eben war es wieder! Haben Sie es auch gehort?«

Otto Heinrich, der vor sich hinbrutend angesto?en wurde, schreckte auf.

«Wie bitte?«stotterte er.»Was sagten Sie, Madame?«

«Drau?en an der Ruckwand ruhrt sich etwas!«

«So lassen Sie doch den Postillion halten.«

Die Dame zogerte.»Ich kann mich auch verhort haben.«

«Bestimmt, Madame, bestimmt.«

Die Kutsche klapperte weiter durch die eisige Nacht.

Auf dem Proviantkasten kauerte noch immer die schwarze Gestalt.

Sie kicherte und rakelte sich auf dem breiten Sitz. Sogar eine Pfeife rauchte sie und verdeckte den glimmenden Schein des Tabaks mit der Hand.

Erst als das Morgengrauen uber die Walder stieg und der bleierne Himmel fahl und bedruckend wurde, sprang die Gestalt mit einem weiten Satz vom Wagen auf die glatte Stra?e, sah der Kutsche nach, bis sie um eine Wegbiegung verschwand, und eilte dann quer durch den Wald, bis sie im Unterholz verschwand.

Nur einmal blieb der stumme Gast stehen, kurz nachdem er von der Kutsche sprang, und nahm den breiten Schlapphut ab, sich uber die Haare streichend.

Es war Willi Bendler.

Schon als Kind hatte Willi Bendler gute Augen. Und er war stolz darauf gewesen, wenn sein Vater sagte:»Der sieht wie eine Katze «und ihn aus der ganzen Geschwisterschar auswahlte, bei Nacht das Feuerholz aus dem Schuppen zu holen.

Nun aber.

Kein Hauch Licht. Sterne und Mond verbargen sich hinter einer schweren Wolkendecke. Und der Hang hier nichts als schwarzes Un-terholz.

Willi Bendler fluchte, schob einen Zweig aus dem Gesicht, uberlegte es sich, rannte in langen Sprungen zur Stra?e zuruck. Die Kurve, ja, das war die Stelle. Gleich dahinter mundete der Ziehweg, der zur Kohlerhutte fuhrte. Aber hier war kein Durchkommen. Er ging weiter. Eine Tannenschonung. Dann versanken die Fu?e bis zu den Schaften der Stiefel im Laub, und schlie?lich tauchten wieder schwarz wie Scherenschnitte gro?e Baume aus dem Dunkel auf, der Himmel wurde lichter — ja, da mu?te der Weg sein. Und da war er auch.

Bendler reckte sich zu seiner ganzen Gro?e, legte die Hande an den Mund:»Uuiuu!«Nochmals. Der Ruf des Kauzchens.

Er legte den Kopf schrag. Nichts.

Vielleicht waren sie noch zu weit weg?

Er ging nochmals zwei-, dreihundert Meter bergan und versuchte es wieder.

Und diesmal kam die Antwort. Ein einsamer, hohler Kauzchenruf. Dreimal.

Na also! Es dauerte nur wenige Minuten, bis er festen Boden unter den Sohlen seiner Stiefel spurte: der Ziehweg.

Bendler, der Riese, ging bergan, so kraftvoll, wie nur er das konnte, und verharrte erst, als eine Mannerstimme seinen Namen rief.

«Willi! — Bist du's, Willi?«

Hans, einer der beiden Gera-Vettern. - Bist du's, Willi? — Hatte er diesen Eseln nicht eingescharft, stets und unter allen Umstanden das Losungswort zu benutzen. >Aurora< lautete es in dieser Woche. Wahrscheinlich hatten sie's schon wieder vergessen.

«Gott sei Dank! Da bist du ja, Willi.«

Ein Schatten tauchte vor ihm auf.

Bendler schluckte den Groll hinunter, tatschelte Hans Hilperts Schulter, wollte jetzt keinen Streit, auch keine Auseinandersetzung um Losungsworte — einen Schluck Schnaps wollte er, besser ware noch Wein, ein Stuck Brot und Speck dazu, nach der ganzen aufregenden Fahrt als blinder Kutschen-Passagier knurrte ihm der Magen.

Die Kohlerhutte war aus rohen, mit Lehm verfugten Tannenstammen zusammengefugt. Drinnen hatten sie ein Feuer angefacht. Durch die geoffnete Tur konnte er den Flammenschein erkennen. Nun ja, so bedenklich war das nicht. In diesen abgelegenen Teil des Thuringer Waldes wagte sich bei Nacht niemand. Schon gar nicht eine Streife der koniglich sachsischen Gendarmerie.

Er mu?te den Kopf machtig einziehen und dabei gleichzeitig in die Knie gehen, um die Huttentur zu passieren.

Und dort empfing ihn Larm, Geschrei und Lachen. Sie waren alle aufgesprungen, nur Sottka blieb am Tisch sitzen: klein und gekrummt, den dreckigen, langst verspeckten Zylinder mit der zerrissenen Krempe wie immer auf dem Kopf. Joseph Hilpert, Student wie Hans, umarmte ihn. Die vertrauten Gesichter. Augen, in denen die Erleichterung lag, den Anfuhrer wieder bei sich zu wissen.»Was ist, Willi? Wie war es?«

«Erzahl' ich noch. Jetzt kann ich nicht. Mein Magen knurrt lauter als meine Stimme. Hort ihr ihn nicht? Gebt mir Futter.«

Joseph hatte schon das Messer und den Brotlaib in der Hand. Otto, den sie >Frosch< nannten, seit er mit einem gewaltigen Sprung von der Rodach-Brucke der Eskorte entwich, die ihn ins Polizeigefangnis nach Coburg bringen wollte, schnitt ein Stuck Kase ab.

«Speck habt ihr keinen?«

«Bedauerlicherweise nicht, Eure Exzellenz«, lie? sich Sottka vernehmen. Er lupfte den Zylinder und zog ihn in einem hofisch-eleganten Halbbogen uber den Kopf.»Aber falls Euer Hochwohlgeboren mit unserem bescheidenen Mahl nicht vorliebnehmen.«

«Hor auf mit dem Mist!«sagte Bendler, schlug die Zahne in das Brot und kaute. Und dann warf er einen seiner langen dunklen Blicke zu der kleinen Gestalt dort am Tisch. Sottka versuchte dem Blick zu begegnen. Die runden Brillenglaser funkelten. Doch Willi Bendler wandte sich ab. Seit jener Nacht in der fernen Mark Brandenburg konnte er den Kerl einfach nicht mehr sehen, seit jener Nacht, als er mitansehen mu?te, wie Sottka, den er stets fur einen jener verschrobenen Intellektuellen gehalten hatte, die sich seit den Zensur-und Knebel-Gesetzen zu Dutzenden in den Reihen der Freischarler finden lie?en, kaltblutig mit dem Dolch einen Gefangenen totete. Und dieser Gefangene war dazu noch eine Frau. Sie mochte die Strafe verdient haben, gewi?, deshalb sollte sie ja auch zum Beweis der deutschen Gesinnung der Freischar-Bewegung den Behorden ubergeben werden — aber doch gefangen ubergeben! Gefangen und lebendig. Nicht ermordet.

In dieser Nacht hatte er beinahe selbst Schuld auf sich geladen und Sottka erwurgt. Nur den anderen war es zu verdanken, da? er noch lebte, ihrer Freundschaft, nicht ihrem Argument:»Sie hatte uns verraten, wie sie jeden verraten hat. Es war besser so.«

Nein, es war nicht besser so. Sottka hatte ein Kains-Mal gesetzt. Und darunter wurden sie als Bruderschaft ewig leiden. Auch wenn ihnen die Flucht nach Bohmen gelang. Die Folgen waren schlimm genug. Er mu?te das Korps auflosen. Nur als einzelne Gruppen hatten sie die Chance, der Polizeiverfolgung zu entkommen.

Doch dies war nicht die Zeit fur solche Gedanken.

Bendler las die Zeit von seiner Taschenuhr: kurz vor Mitternacht. Es gab keine Uberlegung und keine Diskussion: sie brauchten das verdammte Schie?pulver. Letzten Dienstag, vor beinahe einer Woche, beim Ubergang uber die Elster war Hans, der den Pulvervorrat im Tornister trug, auf einem glatten Stein gerutscht und ins Wasser gefallen. So hatten sie die ganze Reserve bis auf die Fullung von zwei Pulverhornern verloren.

Mit zwei Pulverhornern nach Bohmen?!

Ausgeschlossen. Auch die anderen brauchten Nachschub.

Doch soweit wurde es nicht kommen.

Der Militartransport fur das Mineur-Detachement in Frankenberg war seit einem Tag unterwegs. Er wurde

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