Wo ist Trudel? schrie es in ihm. Was ist hier geschehen?! Der Alte bringt es fertig und erwurgt in seiner Wut die eigene Tochter!

«Was ist mit Trudel?«keuchte Otto Heinrich und duckte sich, als wolle er jeden Augenblick auf Knackfu? springen.

«Sie ist fort!«

«Wo fort? Wohin?!«

«Fort!«

«Wohin!!!«Der Jungling schrie es und packte den Alten an den Rockaufschlagen.

Mit todlichem Ha? sahen sich die beiden in die Augen.

«Zu meinem Bruder. Nach Chemnitz. Dort bleibt sie, bis ich ihr den Mann ausgesucht habe, den sie heiraten mu? — und wird!«

«Teufel! Infamer Teufel!«Stohnend schuttelte Kummer den Apotheker wie eine Puppe hin und her.»Gib mir Trudel wieder. Du. Du. gib sie mir wieder.«

«Nie. «Die Augen Knackfu?' spruhten Triumph und Ha?.»Nie! Ich wurde euch verfluchen, wie nie ein Vater fluchte!«

«Wir brauchen deinen Segen nicht! Die Welt ist gro? und weit!«Und plotzlich schleuderte er den Alten an das Stehpult zuruck, da? es krachte und zu schwanken begann.»Ich werde sie mir holen, und wenn die Holle dazwischen lage!«

Knackfu?, der sich an das Pult geklammert hatte, um nicht hinzusturzen, richtete sich auf und zog die verrutschte Halsbinde gerade. Mit pfeifendem Atem trat er aus der Reichweite seines Provisors und ging hinter das hohe Stehpult.

«Wenn Sie den Tod wollen, tun Sie es«, sagte er verwunderlich kalt und nuchtern.»Ich habe nie einen Menschen so geha?t wie Sie! Noch in der Brautnacht wurde ich Sie und Trudel mit Gewalt vergiften!«

«Sie sind ein Satan!«

«Die Unschuld meiner Tochter ist mein Heiligtum!«

«Ich habe nie gewagt, sie ihr zu nehmen!«schrie Otto Heinrich.»Ich liebe Trudel!«

«Und Trudel liebt Sie auch! — Sie haben sie geku?t!«

«Ja.«

«Schuft! Wer meine Tochter ku?t, beleidigt mich! Nur weil ich ein alter Mann bin, fordere ich nicht Rechenschaft mit der Pistole. Aber der Mann, der einmal Trudel in sein Haus nimmt, wird Sie wie einen tollen Hund zu Boden knallen… ich werde dafur sorgen, da? die Flamme brennt!«

Wie gelahmt stand Otto Heinrich vor diesem Ha?. Er fand keine Antwort als ein schwaches resignierendes Achselzucken und wandte sich ab.

Erst in der geoffneten Tur blickte er sich noch einmal um und sagte langsam:

«Wenn es einen Gott gibt, wird er Sie einmal fur diese Stunde strafen!«

Dann schlo? er die Tur, lehnte sich an ihren Rahmen und bedeckte die Augen mit seinen Handen. So stand er eine Zeitlang, bis er langsam die Treppe empor in seine Kammer stieg, sich auf das Bett warf und das Gesicht in die Decken vergrub.

Schlafen. dachte er. nur schlafen, nichts mehr horen, nichts mehr sehen. nichts als schlafen. eintauchen in die Dunkelheit. versinken. schlafen. ewig schlafen.sterben.

Und vor dem Fenster rieselte wieder der Schnee.

Am Abend dieses Tages brachte einer der Gesellen einen Brief zu Otto Heinrich auf die Kammer und ein zusammengefaltetes Papier.

Otto Heinrich, der dabei war, seine Habe zu ordnen und einzupacken, da nach dieser Auseinandersetzung ein Bleiben im Hause Knackfu? unmoglich war, nickte dem Jungen knapp zu, nahm die Briefe und legte sie auf den kleinen Tisch.

Dann raumte er erst den Koffer ein, schrieb eine kurzgefa?te Austrittserklarung aus den Diensten der Frankenberger Apotheke und faltete dann erst das lose Blatt auf.

Es war ein kurzer Brief des Prinzipals.

Keine Anrede, keine Anschrift — das Schreiben begann wie ein Kanonenschu?.

«Da Sie einsehen werden, da? nach dem heutigen Vorfall nie gekannter Disziplinlosigkeit ein Verbleiben Ihrer Person in meiner Apotheke unmoglich geworden ist, sehe ich mich gezwungen, Sie aus meinen Diensten zu entlassen.

Sie werden andererseits aber einsehen mussen, da? es mir jetzt am Beginn eines Jahres und bei den unwegsamen Stra?en und Postverbindungen fast unmoglich ist, einen neuen Provisor in Dienst zu stellen.

Aus dem Bestand der Apotheke mochte ich nicht noch einmal eine Enttauschung wahlen. Ich mu? Sie daher — sehr gegen meinen und sicherlich auch Ihren Willen — ersuchen, Ihre Stellung bei mir bis zum Eintreffen des neuen Kollegen weiterhin zu bekleiden. Ich werde bemuht sein, diesen unhaltbaren Zustand schnellstens zu andern. Da sich demnach eine weitere Zusammenarbeit nicht vermeiden la?t, ersuche ich Sie, auf Ihrem Zimmer zu speisen und tunlichst den personlichen Verkehr mit mir auf ein ertragliches Mindestma? zu beschranken.

Ihr Dienst beginnt wie immer morgen 8 Uhr fruh im Laboratorium.

Knackfu?, Apotheker zu Frankenberg.«

Otto Heinrich lie? das Papier auf seinem Scho? sinken und blickte halb erstaunt, halb argerlich vor sich hin.

«Er braucht mich, das ist alles«, dachte er.»Er kann mich nicht entbehren, er will keinen Skandal. er sucht einen Weg, mich weiter zu fesseln, zu qualen und in die Verzweiflung zu treiben. - Aber ich gehe! Ich bleibe nicht!!«

Doch je langer er daruber grubelte, um so gro?er wurde seine Hoffnung, Trudel vielleicht doch noch einmal zu sehen, sie zu sprechen oder nur zu erfahren, wo sie in Chemnitz wohnte und ob man schreiben konnte, wie das Herz blutete in der Sehnsucht nach ihren Lippen.

So nahm er den zweiten, verschlossenen Brief vom Tisch, drehte ihn mehrmals um, da er keine Anschrift und keinen Absender enthielt, schuttelte den Kopf und erbrach das Kuvert.

Ein kleines, mit einer zierlichen Schrift eng beschriebenes Papier fiel heraus, und Otto Heinrich, der das zu Boden geflatterte Blatt aufhob, las auf der Ruckseite das Wort >Trudel<.

Ein hei?er, bei?ender Stich jagte ihm durch das Herz.

Bebend ruckte er an die Lampe und schraubte sie heller.

«Trudel«, dachte er.»Trudel«, flusterte er.»Trudel, liebste, liebste Trudel. Du schreibst mir. o Trudel. Liebste.«

Mit zitternden Lippen begann er zu lesen.

«Mein liebster, einziger Geliebter!

Zurne nicht! Das Leben ist so anders als der Wunsch der Herzen, und Gluck ist seltener als eine Stimme Gottes, die die Seele trifft.

Ich bin Dir weit entfernt, wenn Deine Hand den Brief erbricht, weit, Liebster, weit. so weit, da? nie ein Weg mehr uns zusammenfuhrt.

Es ist des Vaters Wille, da? ich gehe. Und ich gehorche, denn des Vaters Leben ist mir heilig, auch wenn er Dich und mich verbannt und Herzen totet, weil sie glucklich sind. Doch bleibe ich bei Dir, so wird der Vater sich am Gram verzehren, und unser Gluck ware Fluch, und unser Leben nur die Flucht vor einem Totenbild, vor einem Vater, der beim letzten Atem noch die Faust hob.

Ich mu? gehorchen. Leben hei?t Gehorsam, denn nur Gehorsam wird uns unsere Ehre schutzen. Ich wei?, da? nun auch Du mir fluchst — Liebster, ich ertrage es, denn meine Seele ist gestorben, wenn sie diesen Brief geschrieben, und nur der Korper atmet noch… wer wei?, wie lange noch… es ist die Qual nur eines aufgeschobenen Todes.

Ach Liebster, vor Dir liegt die ganze Welt. Erobere sie, erfulle sie mit Deinem Geist, gib ihr ein Beispiel, sei ein Mensch, der wurdig ist, zu leben.

Und… Liebster… liebe eine andere Frau und suche Trost in ihren Armen vor des Lebens Sturm. Vergi? mich. Nenne mich nur einen Traum, eine Vision, vielleicht auch einen Gedanken.

Wie will ich glucklich sein, wenn ich einst lobend von Dir hore. wie will ich mich erfreuen, wenn Dein Leben freudvoll wird — ich habe zu den Sternen, die der Himmel mir verdeckte, Wunsch und Gru? fur Dich gesandt und will, wenn sie am Himmel glitzern, in sie sehen und Deine Augen treffen, wenn auch Du zu ihnen schaust.

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