Weine nicht — ich habe Dich wie nie einen Menschen geliebt. Sieh, nun sind unsere Herzen gleich, wehmutig in der Sehnsucht, traurig in Erinnerungen, frierend im Atem der Welt.

Leb wohl! Ich kusse Dich — die Haare, die Augen, den Mund und Deine zarten, schmalen Hande, die mich so oft streichelten.

Leb wohl. Auf immer Lebewohl. auf ewig. Trudel.«

Langsam sank der Kopf Otto Heinrichs hinab, bis er mit dem Gesicht auf der Platte des Tisches lag. Schlaff hingen die Arme herab, der Brief war auf die Erde geflattert, den Korper schuttelte ein Schluchzen.

«O warum hast du das getan?«flusterte er.»Trudel. das ist die Einsamkeit, die grenzenlose Einsamkeit. der Tod.«

Die Haare fielen ihm an den Seiten uber das Gesicht. Die Hande zuckten.

«Mein Urteil.«, stammelte er.»Mein Todesurteil, von ihr, die alles, alles fur mich war.«

Und dann weinte er, haltlos, laut, da? seine Seele uberflo? und im Schmerz ertrank. Weinte, bis sein Korper zusammenfiel und die Erschopfung ihn im Schlaf erloste.

Uber den Tisch hingesunken lag Otto Heinrich bis zum Morgengrauen.

Als er starr vor Frost erwachte, war sein Herz vom gro?ten Schmerz befreit. Doch es war kalt geworden, Eis wie die wundersamen Blumen an den zugefrorenen Fenstern, gefuhllos, tot. einsam wie das kalte All.

Bevor er hinunter in das Laboratorium ging, nahm er den Brief Trudels nochmals zur Hand und schrieb unter den Namen der Liebsten ein kleines, resignierendes Gedicht.

Hamisch und voll Spott hob es sich von den Worten des Abschiedes ab.

Frech und ungerecht.

Kalt und einsam.

Ich kenne einen armen Wicht, der bildete sich ein, ein Madchenherz betroge nicht und mu?te redlich sein.

Er ist enttauscht und wunschet nun im stillen kuhlen Grab zu ruhn, wo alle Qualen enden.

Er schleuderte den Brief auf den Tisch und wandte sich brusk ab. Dann stieg er die Treppe hinunter in das Laboratorium.

Ein neuer Mensch, dessen Sehnsucht es war, zu sterben.

Ein Mensch, dem der Tod zur Wonne wurde.

Ein Mensch, dessen Leben schon gestorben war und der nur atmete, weil die Natur es wollte.

Ein Mensch, der Gott deshalb anklagte, weil er schwieg.

Ein einsames Herz.

Kapitel 4

Es ist Sonntag, der 1. Februar 1835.

_Durch Frankenberg rasselt mit schnaubenden Pferden eine Extrapost, wirbelt den Schnee in den engen Gassen auf und la?t die

Burger in die Hausturen fluchten.

In der Kutsche klammern sich an den Lederbugeln vier Herren in grauen Reiseanzugen und dunkelgrauen Zylindern auf den Platzen fest und blicken ab und zu hinaus in den aufstaubenden Schnee.

Kalt steht die Morgensonne schrag uber den Bergen.

Der Schnee leuchtet.

Die Pferde legen sich ins Geschirr, es kracht in den Deichseln, und der Kutscher auf dem Bock hat den Schal uber den Mund gezogen, damit die Kalte ihm nicht die Lippen aufrei?t.

Vor der Apotheke in Frankenberg halt mit einem Ruck die Kutsche, und die graugekleideten Herren springen aus dem holzernen Kasten.

Hinter den Scheiben der Laden und des Laboratoriums kleben die Gesichter der Neugierigen, am Brunnen auf dem Markt stauen sich die einkaufenden Frauen — Herr Knackfu? selbst eilt aus seinem Kontor in den Laden und kommt gerade zurecht, als die vier Herren durch die klingelnde Tur eintreten.

«Eine konigliche Post aus Dresden«, flustern die Frauen drau?en am Brunnen.»Eine Extrapost fur Knackfu?! - Der Alte hat ein Gluck!«

Aber es war nicht das Gluck, das mit dieser Post aus Dresden kam, sondern im Privatkontor, in das Herr Knackfu? die Herren bat, zeigten die vier Reisenden ihre koniglichen Ausweise.

Der Apotheker erstarrte.

Erbleichend hielt er sich am Stehpult fest und brauchte eine langere Zeit, sich zu fassen.

«Die Herren sind vom Geheimdienst Seiner Majestat?«stotterte er und blickte von einer grauen Gestalt zur anderen.»In meinem Hause? Ich… wu?te nicht, was Sie hier an Geheimem zu suchen hatten. Meine Gifte sind die fur jede Apotheke zugelassenen Destillate — der Schlussel zum Giftschrank steht Ihnen sofort zur Verfugung —, und Gift wurde nur abgegeben auf Rezept unter genauer Notierung des Namens und des Datums. Sie werden keine Verfehlungen finden, meine Herren! Fur die Verwaltung der Gifte tragt mein Provisor jede erdenkliche Sorge!«

Die grauen Herren nickten.

«Ihr Provisor ist es, der uns interessiert«, sagte der gro?te der Reisenden.»Ein Herr Kummer, wenn ich nicht irre?«

«Sehr recht. - Otto Heinrich Kummer.«

«Sein Vater ist der Munzmarschall Benjamin Friedrich Gotthelf Kummer aus Dresden?«

«Ja.«

«Sie kennen ihn?«

«Fluchtig. Ich lernte ihn in Dresden kennen, als ich den Herrn Kollegen von der Hofapotheke besuchte. Dort empfahl man mir auch den Sohn des Herrn Munzmarschalls.«

Die grauen Herren nickten. Sie blickten in einige Notizhefte und notierten etwas. Herrn Knackfu? uberlief es hei?.»Das ist ein Verhor«, dachte er erschreckt.»Ein regelrechtes Verhor. Diese Schande! Man ist in Frankenberg kompromittiert! Und alles wegen dieses Kummers!«

«Ist der Herr Provisor im Haus?«fragte der eine Herr wieder.

«Sehr wohl! Er steht zu Ihrer Verfugung. Nur — wenn ich bitten durfte — Sie verstehen — Kleinstadt, die Burger, der Klatsch, die Ehre des Geschaftes.«

«Keine Besorgnis!«Der Herr lachelte leicht.»Wir werden so diskret wie moglich sein.«

«Untertanigsten Dank. «Knackfu? ergriff eine kleine silberne Handglocke und lautete. Der helle Ton zitterte durch das ganze Haus.

Ein Gehilfe im beschmutzten, wei?en Mantel trat ein.

«Ich lasse den Herrn Provisor zu mir bitten«, sagte Knackfu? und argerte sich, wie dumm der Gehilfe die grauen Herren anstarrte.

Er schob ihnen einige Stuhle zu und lachelte gezwungen.

«Aber bitte, nehmen Sie doch Platz, meine Herren.«

«Gehorsamsten Dank — aber wir stehen lieber!«war die kurze Antwort.

Es klopfte.

Die Tur sprang auf.

Otto Heinrich trat ein und stutzte.

Da hob der Wortfuhrer der Grauen die Hand und schlo? das eine Auge. Es war eine schnelle Bewegung, die Knackfu? ubersah, aber fur Otto Heinrich war sie ein Aufatmen von einer wurgenden Bedruckung.

Langsam trat er naher und verbeugte sich kurz.

«Kummer«, sagte er leise.

«Von Seditz«, sagte der eine Herr und verbeugte sich gleichfalls. Die anderen drei nickten stumm und traten etwas zuruck.»Ich komme im Auftrag des Geheimdienstes Seiner Majestat des Konigs von Sachsen. Ich bedauere die Storung, aber ich bin ermachtigt, an Sie einige Fragen zu stellen.«

Das klang alles sehr formlich und streng, aber die Augen Seditz' blinzelten und begru?ten den jungen

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