einen Teller voll. Und die Portionen werden alle verteilt. Wir konnen sie brauchen.«

Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum.

»Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das Proviantamt gehort, so tut er. Und nun fang an, du alter Speckjager, und verzahle dich nicht -«

»Hang dich auf!« fauchte die Tomate. Sie war geplatzt, so etwas ging ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als wollte sie zeigen, da? nun schon alles egal sei, verteilte sie pro Kopf freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig.

* * *

Der Tag ist wirklich gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein paar Briefe und Zeitungen. Nun schlendern wird zu der Wiese hinter den Baracken hinuber. Kropp hat den runden Deckel eines Margarinefasses unterm Arm. Am rechten Rande der Wiese ist eine gro?e Massenlatrine erbaut, ein uberdachtes, stabiles Gebaude. Doch das ist was fur Rekruten, die noch nicht gelernt haben, aus jeder Sache Vorteil zu ziehen. Wir suchen etwas Besseres. Uberall verstreut stehen namlich noch kleine Einzelkasten fur denselben Zweck. Sie sind viereckig, sauber, ganz aus Holz getischlert, rundum geschlossen, mit einem tadellosen, bequemen Sitz. An den Seitenflachen befinden sich Handgriffe, so da? man sie transportieren kann. Wir rucken drei im Kreise zusammen und nehmen gemutlich Platz. Vor zwei Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen.

Ich wei? noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der Kaserne, wenn wir die Gemeinschaftslatrine benutzen mu?ten. Turen gibt es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander wie in der Eisenbahn. Sie sind mit einem Blick zu ubersehen; – der Soldat soll eben standig unter Aufsicht sein.

Wir haben inzwischen mehr gelernt, als das bi?chen Scham zu uberwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes gelaufig.

Hier drau?en ist die Sache aber geradezu ein Genu?. Ich wei? nicht mehr, weshalb wir fruher an diesen Dingen immer scheu vorbeigehen mu?ten, sie sind ja ebenso naturlich wie Essen und Trinken. Und man brauchte sich vielleicht auch nicht besonders daruber zu au?ern, wenn sie nicht so eine wesentliche Rolle bei uns spielten und gerade uns neu gewesen waren – den ubrigen waren sie langst selbstverstandlich.

Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung ein vertrauteres Gebiet als jedem anderen Menschen. Drei Viertel seines Wortschatzes sind ihm entnommen, und sowohl der Ausdruck hochster Freude als auch der tiefster Entrustung findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unmoglich, sich auf eine andere Art so knapp und klar zu au?ern. Unsere Familien und unsere Lehrer werden sich schon wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es ist hier nun einmal die Universalsprache.

Fur uns haben diese ganzen Vorgange den Charakter der Unschuld wiedererhalten durch ihre zwangsma?ige Offentlichkeit. Mehr noch: sie sind uns so selbstverstandlich, da? ihre gemutliche Erledigung ebenso gewertet wird wie meinetwegen ein schon durchgefuhrter, bombensicherer Grand ohne viere. Nicht umsonst ist fur Geschwatz aller Art das Wort »Latrinenparole« entstanden; diese Orte sind die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommi?. Wir fuhlen uns augenblicklich wohler als im noch so wei? gekachelten Luxuslokus. Dort kann es nur hygienisch sein; hier aber ist es schon.

Es sind wunderbar gedankenlose Stunden. Uber uns steht der blaue Himmel. Am Horizont hangen hellbestrahlte gelbe Fesselballons und die wei?en Wolkchen der Flakgeschosse. Manchmal schnellen sie wie eine Garbe hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen.

Nur wie ein sehr fernes Gewitter horen wir das gedampfte Brummen der Front. Hummeln, die vorubersummen, ubertonen es schon.

Und rund um uns liegt die bluhende Wiese. Die zarten Rispen der Graser wiegen sich, Kohlwei?linge taumeln heran, sie schweben im weichen, warmen Wind des Spatsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir setzen die Mutzen ab und legen sie neben uns, der Wind spielt mit unseren Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken. Die drei Kasten stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. – Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie. So haben wir eine gute Unterlage zum Skatspielen. Kropp hat die Karten bei sich. Nach jedem Nullouvert wird eine Partie Schieberamsch eingelegt. Man konnte ewig so sitzen.

Die Tone einer Ziehharmonika klingen von den Baracken her. Manchmal legen wir die Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann:»Kinder, Kinder -«, oder:»Das hatte schiefgehen konnen -«, und wir versinken einen Augenblick in Schweigen. In uns ist ein starkes, verhaltenes Gefuhl, jeder spurt es, das braucht nicht viele Worte. Leicht hatte es sein konnen, da? wir heute nicht auf unsern Kasten sa?en, es war verdammt nahe daran. Und darum ist alles neu und stark – der rote Mohn und das gute Essen, die Zigaretten und der Sommerwind.

Kropp fragt:»Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen?«

»Er liegt in St. Joseph«, sage ich.

Muller meint, er habe einen Oberschenkeldurchschu?, einen guten Heimatpa?.

Wir beschlie?en, ihn nachmittags zu besuchen.

Kropp holt einen Brief hervor. »Ich soll euch gru?en von Kantorek.«

Wir lachen. Muller wirft seine Zigarette weg und sagt:»Ich wollte, der ware hier.«

* * *

Kantorek war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem Scho?rock, mit einem Spitzmausgesicht. Er hatte ungefahr dieselbe Statur wie der Unteroffizier Himmelsto?, der »Schrecken des Klosterberges«. Es ist ubrigens komisch, da? das Ungluck der Welt so oft von kleinen Leuten herruhrt, sie sind viel energischer und unvertraglicher als gro?gewachsene. Ich habe mich stets gehutet, in Abteilungen mit kleinen Kompaniefuhrern zu geraten; es sind meistens verfluchte Schinder. Kantorek hielt uns in den Turnstunden so lange Vortrage, bis unsere Klasse unter seiner Fuhrung geschlossen zum Bezirkskommando zog und sich meldete. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er uns durch seine Brillenglaser anfunkelte und mit ergriffener Stimme fragte:»Ihr geht doch mit, Kameraden?«

Diese Erzieher haben ihr Gefuhl so oft in der Westentasche parat; sie geben es ja auch stundenweise aus. Doch daruber machten wir uns damals noch keine Gedanken. Einer von uns allerdings zogerte und wollte nicht recht mit. Das war Josef Behm, ein dicker, gemutlicher Bursche. Er lie? sich dann aber uberreden, er hatte sich auch sonst unmoglich gemacht. Vielleicht dachten noch mehrere so wie er; aber es konnte sich niemand gut ausschlie?en, denn mit dem Wort »feige« waren um diese Zeit sogar Eltern rasch bei der Hand. Die Menschen hatten eben alle keine Ahnung von dem, was kam. Am vernunftigsten waren eigentlich die armen und einfachen Leute; sie hielten den Krieg gleich fur ein Ungluck, wahrend die bessergestellten vor Freude nicht aus noch ein wu?ten, obschon gerade sie sich uber die Folgen viel eher hatten klarwerden konnen. Katczinsky behauptet, das kame von der Bildung, sie mache damlich. Und was Kat sagt, das hat er sich uberlegt.

Sonderbarerweise war Behm einer der ersten, die fielen. Er erhielt bei einem Sturm einen Schu? in die Augen, und wir lie?en ihn fur tot liegen. Mitnehmen konnten wir ihn nicht, weil wir ubersturzt zuruck mu?ten. Nachmittags horten wir ihn plotzlich rufen und sahen ihn drau?en herumkriechen Er war nur bewu?tlos gewesen. Weil er nichts sah und wild vor Schmerzen war, nutzte er keine Deckung aus, so da? er von druben abgeschossen wurde, ehe jemand herankam, um ihn zu holen.

Man kann Kantorek naturlich nicht damit m Zusammenhang bringen; – wo bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja Tausende von Kantoreks, die alle uberzeugt waren, auf eine fur sie bequeme Weise das Beste zu tun. Darin liegt aber gerade fur uns ihr Bankrott. Sie sollten uns Achtzehnjahrigen Vermittler und Fuhrer zur Welt des Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen kleine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der Autoritat, dessen Trager sie waren, verband sich in unseren Gedanken gro?ere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den wir sahen, zertrummerte diese Uberzeugung. Wir mu?ten erkennen, da? unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm sturzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten.

Wahrend sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende; – wahrend sie den Dienst am Staate als das Gro?te bezeichneten, wu?ten wir bereits, da? die Todesangst starker ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge – alle diese Ausdrucke waren ihnen ja so leicht zur Hand -, wir liebten unsere Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; – aber wir unterschieden jetzt, wir

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