langst verlorengegeben.

* * *

Es ist heller, grauer, fruher Tag. Das Rocheln tont fort. Ich halte mir die Ohren zu, nehme aber die Finger bald wieder heraus, weil ich sonst auch das andere nicht horen kann. Die Gestalt gegenuber bewegt sich. Ich schrecke zusammen und sehe unwillkurlich hin. Jetzt bleiben meine Augen wie festgeklebt hangen. Ein Mann mit einem kleinen Schnurrbart liegt da, der Kopf ist zur Seite gefallen, ein Arm ist halb gebeugt, der Kopf druckt kraftlos darauf. Die andere Hand liegt auf der Brust, sie ist blutig.

Er ist tot, sage ich mir, er mu? tot sein, er fuhlt nichts mehr – was da rochelt, ist nur noch der Korper. Doch der Kopf versucht sich zu heben, das Stohnen wird einen Moment starker, dann sinkt die Stirn wieder auf den Arm zuruck. Der Mann ist nicht tot, er stirbt, aber er ist nicht tot. Ich schiebe mich heran, halte inne, stutze mich auf die Hande, rutsche wieder etwas weiter, warte – weiter, einen gra?lichen Weg von drei Metern, einen langen, furchtbaren Weg.

Endlich bin ich neben ihm.

Da schlagt er die Augen auf. Er mu? mich noch gehort haben und sieht mich mit einem Ausdruck furchtbaren Entsetzens an. Der Korper liegt still, aber in den Augen ist eine so ungeheure Flucht, da? ich einen Moment glaube, sie wurden die Kraft haben, den Korper mit sich zu rei?en. Hunderte von Kilometern weit weg mit einem einzigen Ruck. Der Korper ist still, vollig ruhig, ohne Laut jetzt, das Rocheln ist verstummt, aber die Augen schreien, brullen, in ihnen ist alles Leben versammelt zu einer unfa?baren Anstrengung, zu entfliehen, zu einem schrecklichen Grausen vor dem Tode, vor mir.

Ich knicke in den Gelenken ein und falle auf die Ellbogen.

»Nein, nein«, flustere ich.

Die Augen folgen mir. Ich bin unfahig, eine Bewegung zu machen, solange sie da sind.

Da fallt seine Hand langsam von der Brust, nur ein geringes Stuck, sie sinkt um wenige Zentimeter, doch diese Bewegung lost die Gewalt der Augen auf. Ich beuge mich vor, schuttelte den Kopf und flustere:»Nein, nein, nein«, ich hebe eine Hand, ich mu? ihm zeigen, da? ich ihm helfen will, und streiche uber seine Stirn.

Die Augen sind zuruckgezuckt, als die Hand kam, jetzt verlieren sie ihre Starre, die Wimpern sinken tiefer, die Spannung la?t nach. Ich offne ihm den Kragen und schiebe den Kopf bequemer zurecht.

Der Mund steht halb offen, er bemuht sich, Worte zu formen. Die Lippen sind trocken. Meine Feldflasche ist nicht da, ich habe sie nicht mitgenommen. Aber es ist Wasser in dem Schlamm unten im Trichter. Ich klettere hinab, ziehe mein Taschentuch heraus, breite es aus, drucke es hinunter und schopfe mit der hohlen Hand das gelbe Wasser, das hindurchquillt.

Er schluckt es. Ich hole neues. Dann knopfe ich seinen Rock auf, um ihn zu verbinden, wenn es geht. Ich mu? es auf jeden Fall tun, damit die druben, wenn ich gefangen werden sollte, sehen, da? ich ihm helfen wollte, und mich nicht l erschie?en. Er versucht sich zu wehren, doch die Hand ist zu schlaff dazu. Das Hemd ist verklebt und la?t sich nicht beiseite schieben, es ist hinten geknopft. So bleibt nichts ubrig, als es aufzuschneiden.

Ich suche das Messer und finde es wieder. Aber als ich anfange, das Hemd zu zerschneiden, offnen sich die Augen noch einmal, und wieder ist das Schreien darin und der wahnsinnige Ausdruck, so da? ich sie zuhalten, zudrucken mu? und flustern:»Ich will dir ja helfen, Kamerad, camarade, camarade, camarade -«, eindringlich das Wort, damit er es versteht.

Drei Stiche sind es. Meine Verbandspackchen bedecken sie, das Blut lauft darunter weg, ich drucke sie fester auf, da stohnt er.

Es ist alles, was ich tun kann. Wir mussen jetzt warten, warten.

* * *

Diese Stunden. – Das Rocheln setzt wieder ein – wie langsam stirbt doch ein Mensch! Denn das wei? ich: er ist nicht zu retten. Ich habe zwar versucht, es mir auszureden, aber mittags ist dieser Vorwand vor seinem Stohnen zerschmolzen, zerschossen. Wenn ich nur meinen Revolver nicht beim Kriechen verloren hatte, ich wurde ihn erschie?en. Erstechen kann ich ihn nicht.

Mittags dammere ich an der Grenze des Denkens dahin. Hunger zerwuhlt mich, ich mu? fast weinen daruber, essen zu wollen, aber ich kann nicht dagegen ankampfen. Mehrere Male hole ich dem Sterbenden Wasser und trinke auch selbst davon.

Es ist der erste Mensch, den ich mit meinen Handen getotet habe, den ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist. Kat und Kropp und Muller haben auch schon gesehen, wenn sie jemand getroffen haben, vielen geht es so, im Nahkampf ja oft – Aber jeder Atemzug legt mein Herz blo?. Dieser Sterbende hat die Stunden fur sich, er hat ein unsichtbares Messer, mit dem er mich ersticht: die Zeit und meine Gedanken.

Ich wurde viel darum geben, wenn er am Leben bliebe. Es ist schwer, dazuliegen und ihn sehen und horen zu mussen.

Nachmittags um drei Uhr ist er tot.

Ich atme auf. Doch nur fur kurze Zeit. Das Schweigen erscheint mir bald noch schwerer zu ertragen als das Stohnen. Ich wollte, das Rocheln ware wieder da, sto?weise, heiser, einmal pfeifend leise und dann wieder heiser und laut.

Es ist sinnlos, was ich tue. Aber ich mu? Beschaftigung haben. So lege ich den Toten noch einmal zurecht, damit er bequemer liegt, obschon er nichts mehr fuhlt. Ich schlie?e ihm die Augen. Sie sind braun, das Haar ist schwarz, an den Seiten etwas lockig.

Der Mund ist voll und weich unter dem Schnurrbart, die Nase ist ein wenig gebogen, die Haut braunlich, sie sieht jetzt nicht mehr so fahl aus wie vorhin, als er noch lebte. Einen Augenblick scheint das Gesicht sogar beinahe gesund zu sein – dann verfallt es rasch zu einem der fremden Totenantlitze, die ich oft gesehen habe und die sich alle gleichen.

Seine Frau denkt sicher jetzt an ihn; sie wei? nicht, was geschehen ist. Er sieht aus, als wenn er ihr oft geschrieben hatte; – sie wird auch noch Post von ihm bekommen – morgen, in einer Woche -, vielleicht einen verirrten Brief noch in einem Monat. Sie wird ihn lesen, und er wird darin zu ihr sprechen.

Mein Zustand wird immer schlimmer, ich kann meine Gedanken nicht mehr halten. Wie mag die Frau aussehen? Wie die Dunkle, Schmale jenseits des Kanals? Gehort sie mir nicht? Vielleicht gehort sie mir jetzt hierdurch! Sa?e Kantorek doch hier neben mir! Wenn meine Mutter mich so sahe -. Der Tote hatte sicher noch drei?ig Jahre leben konnen, wenn ich mir den Ruckweg scharfer eingepragt hatte. Wenn er zwei Meter weiter nach links gelaufen ware, lage er jetzt druben im Graben und schriebe einen neuen Brief an seine Frau.

Doch so komme ich nicht weiter; denn das ist das Schicksal von uns allen; hatte Kemmerich sein Bein zehn Zentimeter weiter rechts gehalten, hatte Haie sich funf Zentimeter weiter vorgebeugt -

* * *

Das Schweigen dehnt sich. Ich spreche und mu? sprechen. So rede ich ihn an und sage es ihm. »Kamerad, ich wollte dich nicht toten. Sprangst du noch einmal hier hinein, ich tate es nicht, wenn auch du vernunftig warest. Aber du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in meinem Gehirn lebte und einen Entschlu? hervorrief – diese Kombination habe ich erstochen. Jetzt sehe ich erst, da? du ein Mensch bist wie ich. Ich habe gedacht an deine Handgranaten, an dein Bajonett und deine Waffen – jetzt sehe ich deine Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame. Vergib mir, Kamerad! Wir sehen es immerzu spat. Warum sagt man uns nicht immer wieder, da? ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, da? eure Mutter sich ebenso angstigen wie unsere und da? wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz -. Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein. Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, konntest du ebenso mein Bruder sein wie Kat und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe auf – nimm mehr, denn ich wei? nicht, was ich damit beginnen soll.«

Es ist still, die Front ist ruhig bis auf das Gewehrgeknatter. Die Kugeln liegen dicht, es wird nicht planlos geschossen, sondern auf allen Seiten scharf gezielt. Ich kann nicht hinaus.

»Ich will deiner Frau schreiben«, sage ich hastig zu dem Toten,»ich will ihr schreiben, sie soll es durch mich erfahren, ich will ihr alles sagen, was ich dir sage, sie soll nicht leiden, ich will ihr helfen und deinen Eltern auch

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