bleibt auch nicht lange.
Wir mussen unsere Lage so leicht nehmen wie moglich. Deshalb nutzen wir jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne Ubergang steht neben dem Grauen der Blodsinn. Wir konnen gar nicht anders, wir sturzen uns hinein. Auch jetzt geht es mit Feuereifer daran, ein Idyll zu schaffen, ein Idyll des Fressens und Schlafens naturlich. Die Bude wird zunachst einmal mit Matratzen belegt, die wir aus den Hausern heranschleppen. Ein Soldatenhintern sitzt gern auch mal weich. Nur in der Mitte des Raumes bleibt der Boden frei. Dann besorgen wir uns Decken und Federbetten, prachtvolle weiche Dinger. Von allem ist im Dorf ja genugend vorhanden. Albert und ich finden ein zerlegbares Mahagonibett mit einem Himmel aus blauer Seide und Spitzenuberwurf. Wir schwitzen wie die Affen beim Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird.
Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die Hauser. Nach kurzer Zeit haben wir ein Dutzend Eier und zwei Pfund ziemlich frische Butter gefa?t. Plotzlich kracht es in einem Salon, und ein eiserner Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch die Wand. Zwei Locher. Er kommt aus dem Hause gegenuber, in das eine Granate gehauen ist. »Schwein gehabt«, grinst Kat, und wir suchen weiter. Mit einem Male spitzen wir die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir reiben uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin: sie sind tatsachlich noch immer da. Wir fassen sie an – kein Zweifel, es sind zwei wirkliche junge Schweine.
Das gibt ein herrliches Essen. Etwa funfzig Schritt von unserm Unterstand entfernt steht ein kleines Haus, das als Offiziersquartier gedient hat. In der Kuche befindet sich ein riesiger Herd mit zwei Feuerrosten, Pfannen, Topfen und Kesseln. Alles ist da, sogar eine Unmenge kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen – das wahre Schlaraffenhaus.
Zwei Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern und suchen Kartoffeln, Mohrruben und junge Erbsen. Wir sind namlich uppig und pfeifen auf die Konserven des Proviantamts, wir wollen frische Sachen haben. In der Speisekammer liegen schon zwei Kopfe Blumenkohl. Die Ferkel sind geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer machen. Aber wir finden keine Reiben fur die Kartoffeln. Doch auch da ist bald abgeholfen. In Blechdeckel schlagen wir mit Nageln eine Menge Locher, und schon sind es Reiben. Drei Mann ziehen dicke Handschuhe an, um die Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere schalen Kartoffeln, und es geht rasch vorwarts. Kat betreut die Ferkel, die Mohrruben, die Erbsen und den Blumenkohl. Zu dem Blumenkohl mischt er sogar eine wei?e So?e zurecht. Ich backe Puffer, immer vier zu gleicher Zeit. Nach zehn Minuten habe ich es heraus, die Pfanne so zu schwenken, da? die auf der einen Seite fertigen Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen werden. Die Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum wie um einen Altar.
Inzwischen ist Besuch gekommen, zwei Funker, die freigebig zum Essen eingeladen werden. Sie sitzen im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht. Einer spielt, der andere singt:»An der Weser«. Er singt es gefuhlvoll, aber ziemlich sachsisch. Trotzdem ergreift es uns, wahrend wir so am Herd all die schonen Sachen vorbereiten.
Allmahlich merken wir, da? wir Kattun kriegen. Die Fesselballons haben den Rauch aus unserm Schornstein spitz bekommen, und wir werden mit Feuer belegt. Es sind die verfluchten kleinen Spritzbiester, die so ein kleines Loch machen und so weit und niedrig streuen. Immer naher pfeift es um uns herum, aber wir konnen doch das Essen nicht im Stich lassen. Die Bande schie?t sich ein. Ein paar Splitter sausen oben durchs Kuchenfenster. Wir sind bald mit dem Braten fertig. Doch das Pufferbacken wird jetzt schwieriger. Die Einschlage kommen so dicht, da? oft und ofter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen. Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen hore, gehe ich mit der Pfanne und den Puffern in die Knie und ducke mich hinter die Fenstermauer. Sofort danach bin ich wieder hoch und backe weiter.
Die Sachsen horen auf zu spielen, ein Splitter ist ins Klavier geflogen. Auch wir sind jetzt allmahlich fertig und organisieren den Ruckzug. Nach dem nachsten Einschlag laufen zwei Mann mit den Gemusetopfen los, die funfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden.
Der nachste Schu?. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann mit je einer gro?en Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen vor dem folgenden Einschlag den Unterstand.
Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzstuck: die gro?e Pfanne mit den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und schon rasen sie uber die funfzig Meter freies Feld.
Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal mu? ich dabei auf den Boden – aber es sind schlie?lich vier Puffer mehr, und es ist mein Lieblingsessen. Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich hinter die Haustur. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden Handen die Platte an die Brust gedruckt. Fast bin ich angelangt, da pfeift es anschwellend, ich turme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer klatschen gegen die Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren und die Platte nicht umgekippt.
Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb sieben trinken wir Kaffee – Offizierskaffee aus dem Proviantamt – und rauchen Offizierszigarren und Zigaretten – ebenfalls aus dem Proviantamt. Punkt halb sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir die Gerippe der Ferkel vor die Tur. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls aus dem gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit Bauchbinden. Tjaden behauptet, da? nur eines fehle: Madchen aus einem Offizierspuff.
Spatabends horen wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang. Wir locken sie heran und futtern sie. Daruber kommt auch uns wieder der Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
Doch die Nacht ist bose. Wir haben zu fett gegessen. Frisches Spanferkel wirkt angreifend auf die Darme. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen im Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen Hosen drau?en herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs. Gegen vier Uhr nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und Besuch, sitzen drau?en.
Brennende Hauser stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern heran und hauen ein. Munitionskolonnen rasen uber die Stra?e. An der einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schwarm Bienen drangen sich dort trotz aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir lassen sie ruhig gewahren. Wenn wir was sagen wurden, gabe es hochstens eine Tracht Prugel fur uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erklaren, da? wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen.
Was macht es schon – in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Fur uns selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat sagt, sie sei gut fur einen allzu eiligen Bauch. – Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln. Niemand stort uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir fuhren ein gluckliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht, ist uns alles egal, und wir wunschen blo?, hier das Ende des Krieges zu erleben.
Tjaden ist derartig fein geworden, da? er die Zigarren nur halb aufraucht. Er erklart hochnasig, er sei es so gewohnt.
Auch Kat ist sehr aufgemuntert. Sein erster Ruf morgens ist:»Emil, bringen Sie Kaviar und Kaffee.« Es ist uberhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder halt den andern fur seinen Burschen, siezt ihn und gibt ihm Auftrage. »Kropp, es juckt mich unter dem Fu?, fangen Sie doch mal die Laus weg«, damit streckt ihm Leer sein Bein hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran die Treppen hinauf. »Tjaden!«-»Was?«-»Stehen Sie bequem, Tjaden, ubrigens hei?t es nicht: Was, sondern: Zu Befehl – also: Tjaden!« Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu Gotz von Berlichingen, der ihm nur so im Handgelenk sitzt.
Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzurucken.
Die Herrlichkeit ist aus. Zwei gro?e Lastautos nehmen uns auf. Sie sind hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser Himmelbett mit dem blauseidenen Uberwurf auf, mit Matratzen und zwei Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt fur jeden ein Sack mit besten Lebensmitteln. Wir fuhlen manchmal daruber hin, und die harten Mettwurste, die Leberwurstbuchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.
Kropp und ich haben aber au?erdem noch zwei rote Samtfauteuils gerettet. Sie stehen im Bett, und wir rakeln uns darauf wie in einer Theaterloge. Uber uns bauscht sich die Seide des Uberwurfs als Baldachin. Jeder hat eine lange Zigarre im Mund. So schauen wir hoch von oben in die Gegend.
Zwischen uns steht ein Papageienkafig, den wir fur die Katze gefunden haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und schnurrt. Langsam rollen die Wagen uber die Stra?e. Wir singen. Hinter uns spritzen die Granaten Fontanen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.