Ich merkte, da? ich einen Schimpfer hoher Klasse vor mir hatte. Es galt, trotz aller Depression, die Ehre zu wahren.

»Wandere weiter, geisteskrankes Siebenmonatskind«, sagte ich und hob segnend die Hand.

Er beachtete meine Aufforderung nicht. »La? dir Beton ins Gehirn spritzen, runzliger Hundsaffe!« bellte er.

Ich gab ihm einen dekadenten Plattfu? zuruck. Er mir einen Kakadu in der Mauser; ich ihm einen arbeitslosen Leichenwascher. Darauf bezeichnete er mich, schon mit Respekt, als krebskranken Kuhkopf; ich ihn, um ein Ende zu machen, als wandelnden Beefsteakfriedhof. Sein Gesicht verklarte sich plotzlich. »Beefsteakfriedhof ist gut!« sagte er. »Kannte ich noch nicht. Kommt in mein Repertoire! Alsdann…« Er luftete den Hut, und wir trennten uns voll Achtung voneinander.

Das Schimpfen hatte mich erfrischt. Aber der Arger war geblieben. Er wurde sogar immer starker, je nuchterner ich wurde. Ich kam mir vor wie ein ausgewrungenes nasses Handtuch. Aber allmahlich argerte ich mich nicht nur uber mich – ich argerte mich uber alles -, auch uber das Madchen. Sie war ja der Anla? gewesen, da? ich mich betrunken hatte. Ich schlug den Kragen hoch. Sollte sie meinetwegen denken, was sie wollte, mir war es jetzt egal – sie wu?te so wenigstens gleich, woran sie war. Und meinetwegen sollte die ganze Sache zum Teufel gehen – was geschehen war, war geschehen. Konnte man nichts mehr dran tun. War vielleicht sogar besser…

Ich ging in die Bar zuruck und betrank mich nun erst richtig.

IV

Das Wetter wurde warm und feucht, und es regnete einige Tage lang. Dann klarte es sich auf, die Sonne fing an zu bruten, und als ich am Freitagmorgen in die Werkstatt kam, sah ich Mathilde Sto? auf dem Hof stehen, den Besen unter den Arm geklemmt, mit einem Gesicht wie ein geruhrtes Nilpferd.

»Nu sehen Sie doch mal, Herr Lohkamp, die Pracht! Is doch immer wieder'n Wunder.«

Ich blieb uberrascht stehen. Der alte Pflaumenbaum neben der Benzinpumpe war uber Nacht aufgebluht.

Er hatte den ganzen Winter krumm und kahl dagestanden, wir hatten alte Reifen darangehangt und Olkanister zum Trocknen uber die Aste gestulpt, er war nichts anderes gewesen als ein bequemer Stander fur alles, vom Putzlappen bis zur Motorhaube – noch vor ein paar Tagen hatten unsere gewaschenen blauen Leinenhosen daran herumgeflattert, noch gestern hatte man ihm kaum etwas angemerkt -, und nun auf einmal, uber Nacht, war er verwandelt und verzaubert in eine schimmernde Wolke von Rosa und Wei?, eine Wolke von hellen Bluten, als hatte sich ein Schmetterlingsschwarm auf unsern dreckigen Hof verflogen…

»Und der Geruch«, sagte Mathilde schwarmerisch und verdrehte die Augen,»wunderbar – genauso wie Ihr Rum…«

Ich roch nichts. Aber ich verstand sofort. »Es riecht mehr nach dem Kundenkognak«, behauptete ich.

Sie wehrte energisch ab. »Herr Lohkamp, Sie mussen erkaltet sein. Vielleicht ha'm Sie auch Polypen in der Nase. Polypen hat heute fast jeder Mensch. Nee, die alte Sto? hat 'ne Nase wie'n Windhund, verlassen Sie sich drauf, es ist Rum – alter Rum…«

»Na schon, Mathilde…«

Ich schenkte ihr ein Glas Rum ein und ging dann zur Benzinpumpe, Jupp sa? schon da. Er hatte in einer verrosteten Konservenbuchse vor sich eine Anzahl abgeschnittener Blutenzweige stehen. »Was soll denn das hei?en?« fragte ich erstaunt.

»Fur die Damen«, erklarte Jupp. »Wenn sie tanken, gibt's so einen Zweig gratis. Habe daraufhin schon neunzig Liter mehr verkauft. Der Baum ist Gold wert, Herr Lohkamp. Wenn wir den nicht hatten, mu?ten wir ihn kunstlich nachmachen.«

»Du bist ein geschaftstuchtiger Knabe.«

Er grinste. Die Sonne durchleuchtete seine Ohren, da? sie aussahen wie rubinfarbene Kirchenfenster. »Zweimal bin ich auch schon fotografiert worden«, berichtete er. »Mit dem Baum dahinter.«

»Pa? auf, du wirst noch ein Filmstar«, sagte ich und ging zur Grube hinuber, wo Lenz gerade unter dem Ford hervorkroch.

»Robby«, sagte er,»mir ist da was eingefallen. Wir mussen uns mal um das Madchen von dem Binding kummern.«

Ich starrte ihn an. »Wie meinst du das?«

»Genau, wie ich es sage. Aber was starrst du denn so?«

»Ich starre nicht…«

»Du stierst sogar. Wie hie? das Madchen eigentlich noch?

Pat, aber wie weiter?«

»Wei? ich nicht«, erwiderte ich.

Er richtete sich auf. »Das wei?t du nicht? Du hast doch ihre Adresse aufgeschrieben! Ich habe es selbst gesehen.«

»Habe den Zettel verloren.«

»Verloren!« Er griff sich mit beiden Handen in seinen gelben Haarwald. »Und dazu habe ich damals den Binding eine Stunde drau?en beschaftigt! Verloren! Na, vielleicht wei? Otto sie noch.«

»Otto wei? sie auch nicht.«

Er sah mich an. »Jammervoller Dilettant! Um so schlimmer! Wei?t du denn nicht, da? das ein fabelhaftes Madchen war? Herrgott!« Er starrte zum Himmel. »Lauft uns endlich schon mal was Richtiges uber den Weg, dann verliert so ein Trauerbolzen die Adresse!«

»So gro?artig fand ich sie gar nicht.«

»Weil du ein Esel bist«, erwiderte Lenz,»ein Trottel, der nichts kennt, was uber das Niveau der Huren aus dem Cafe International hinausgeht! Du Klavierspieler, du! Ich sage dir nochmals: Es war ein Glucksfall, ein besonderer Glucksfall, dieses Madchen! Du hast naturlich keine Ahnung von so was! Hast du dir die Augen angesehen? Naturlich nicht – du hast dein Schnapsglas angesehen…«

»Halt den Schnabel!« unterbrach ich ihn, denn mit dem Schnapsglas traf er in eine offene Wunde.

»Und die Hande«, fuhr er fort, ohne mich zu beachten,»schmale, lange Hande wie eine Mulattin, davon versteht Gottfried etwas, das kannst du glauben! Heiliger Moses! Endlich einmal ein Madchen, wie es sein mu?, schon, naturlich und, was das wichtigste ist, mit Atmosphare«- er unterbrach sich -,»wei?t du uberhaupt, was das ist, Atmosphare?«

»Luft, die man in einen Reifen pumpt«, erklarte ich murrisch.

»Naturlich«, sagte er mitleidig und verachtungsvoll,»Luft, naturlich! Atmosphare, Aura, Strahlung, Warme, Geheimnis – das, was die Schonheit erst beseelt und lebendig macht -, aber was rede ich – deine Atmosphare ist der Rumdunst…«»Hor jetzt auf oder ich lasse was auf deinen Schadel fallen«, knurrte ich.

Aber Gottfried redete weiter, und ich tat ihm nichts. Er hatte ja keine Ahnung davon, was passiert war und da? jedes Wort von ihm mich machtig traf. Besonders jedes uber das Trinken. Ich war schon druber weg gewesen und hatte mich ganz gut getrostet; jetzt aber wuhlte er alles wieder auf. Er lobte und lobte das Madchen, und mir wurde bald zumute, als hatte ich wirklich etwas Besonderes unwiederbringlich verloren.

Argerlich ging ich um sechs Uhr zum Cafe International. Das war meine Zuflucht; Lenz hatte es mir ja auch bestatigt. Zu meinem Erstaunen herrschte ein Riesenbetrieb, als ich eintrat. Auf der Theke standen Torten und Napfkuchen, und der plattfu?ige Alois rannte mit einem Tablett voll Kaffeegeschirr klappernd ins Hinterzimmer. Ich blieb stehen. Kaffee, kannenweise? Da mu?te ja ein ganzer Verein schwer betrunken unter den Tischen liegen.

Aber der Wirt klarte mich auf. Heute war im Hinterzimmer die Abschiedsfeier fur Rosas Freundin Lilly. Ich schlug mich vor den Kopf. Naturlich, dazu war ich ja eingeladen! Als einziger Mann sogar, wie Rosa bedeutungsvoll gesagt hatte – denn der schwule Kiki, der auch da war, zahlte nicht. Ich ging rasch noch einmal los und besorgte einen Strau? Blumen, eine Ananas, eine Kinderklapper und eine Tafel Schokolade.

Rosa empfing mich mit dem Lacheln einer gro?en Dame. Sie trug ein schwarzes, ausgeschnittenes Kleid und thronte oben am Tisch. Ihre Goldzahne leuchteten. Ich erkundigte mich, wie es ihrer Kleinen ginge, und

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