Koster war in seinem altesten Anzug zum Finanzamt gefahren. Er wollte versuchen, unsere Steuern herunterzukriegen. Lenz und ich waren allein in der Werkstatt.

»Los, Gottfried«, sagte ich,»'ran an den dicken Cadillac.«

Am Abend vorher war unser Inserat erschienen. Wir konnten also heute mit Kunden rechnen – wenn uberhaupt jemand kam. Es galt, den Wagen vorzubereiten.

Zunachst gingen wir mit Polierwasser uber den Lack. Er bekam dadurch Hochglanz und sah aus, als hatte er hundert Mark mehr gekostet. Dann fullten wir das dickste Ol, das es gab, in den Motor. Die Kolben waren nicht mehr ganz erstklassig und larmten etwas. Durch das dicke Ol wurde das ausgeglichen, und die Maschine lief wunderbar ruhig. Auch in das Getriebe und das Differential gaben wir dickes Fett, um sie vollig ruhig zu machen.

Dann fuhren wir hinaus. In der Nahe war ein Stuck sehr schlechter Stra?e. Wir gingen mit funfzig Kilometertempo daruber. Die Karosserie klapperte. Wir lie?en eine Viertel Atmosphare Luft aus den Reifen und versuchten es noch einmal. Es war schon besser. Wir lie?en noch ein Viertel heraus. Jetzt ruhrte sich nichts mehr.

Wir fuhren zuruck, olten die quietschende Motorhaube, klemmten etwas Gummi dazwischen, fullten hei?es Wasser in den Kuhler, damit der Motor gleich gut ansprang, und spritzten den Wagen unten noch einmal mit einem Petroleumzerstauber ab, damit er auch da glanzte. Dann hob Gottfried Lenz die Hande zum Himmel. »Nun komm, gesegneter Kunde! Komm, lieblicher Brieftaschenbesitzer!

Wir harren deiner wie der Brautigam der Braut!«

Die Braut lie? auf sich warten. Wir schoben deshalb das Dampfro? des Backermeisters uber die Grube und begannen, ihm die Vorderachse auszubauen. Ein paar Stunden arbeiteten wir ruhig, ohne viel zu reden. Dann horte ich Jupp von der Benzinpumpe her das Lied:»Horch, was kommt von drau?en 'rein…« pfeifen.

Ich kletterte aus der Grube und schaute durchs Fenster. Ein kleiner, untersetzter Mann strich um den Cadillac herum. Er sah burgerlich und solide aus. »Schau mal, Gottfried«, flusterte ich,»sollte das da eine Braut sein?«

»Klar«, sagte Lenz nach dem ersten Blick. »Sieh dir das Gesicht an. Der ist schon mi?trauisch, bevor jemand da ist. Los, 'ran! Ich bleibe hier als Reserve. Komme nach, wenn du es nicht schaffst. Denk an meine Tricks!«

»Gut.« Ich ging 'raus.

Der Mann sah mir aus klugen schwarzen Augen entgegen.

Ich stellte mich vor. »Lohkamp.«

»Blumenthal.«

Das war Gottfrieds erster Trick: sich vorzustellen. Er behauptete, es gabe gleich eine intimere Atmosphare. Sein zweiter Trick war, sehr reserviert zu beginnen und den Kunden auszuhorchen, um dann da einzuhaken, wo es richtig war.

»Sie kommen wegen des Cadillacs, Herr Blumenthal?« fragte ich. Blumenthal nickte.

»Da druben ist er«, sagte ich und zeigte hinuber.

»Das sehe ich«, erwiderte Blumenthal.

Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Achtung! dachte ich, ein Heimtucker!

Wir gingen uber den Hof. Ich offnete eine Tur des Wagens und lie? den Motor an. Dann schwieg ich, um Blumenthal Zeit zur Besichtigung zu lassen. Er wurde sicher etwas zu kritisieren haben; da wollte ich dann ansetzen.

Aber Blumenthal besichtigte nicht. Er kritisierte auch nicht. Er schwieg ebenfalls und stand wie ein Olgotze da. Es blieb mir nichts ubrig, ich mu?te aufs Geratewohl vom Leder ziehen.

Ich begann langsam und systematisch, den Cadillac zu beschreiben, wie eine Mutter ihr Kind, und versuchte dabei herauszukriegen, ob der Mann irgend etwas verstand. War er Fachmann, dann mu?te ich mehr auf Motor und Chassis gehen – verstand er nichts, auf Komfort und Kinkerlitzchen.

Doch er verriet auch jetzt nichts. Er lie? mich reden, bis ich mir vorkam wie ein Luftballon.

»Wozu wollen Sie den Wagen haben? Fur die Stadt oder fur die Reise?« fragte ich schlie?lich, um vielleicht da einen Punkt zu finden.

»Fur alles mogliche«, erklarte Blumenthal.

»Aha! Und wollen Sie ihn selbst fahren oder mit Chauffeur?«

»Je nachdem.«

Je nachdem. Antworten gab der Mann wie ein Papagei. Er schien einem Orden schweigender Bruder anzugehoren.

Um ihn aufzumuntern, versuchte ich, ihn irgend etwas probieren zu lassen. Gewohnlich wurden Kunden zuganglicher dadurch. Ich furchtete, da? er mir sonst einschlief.

»Das Verdeck geht fur ein so gro?es Kabriolett besonders leicht«, sagte ich. »Versuchen Sie selbst einmal, es zu schlie?en. Sie konnen es mit einer Hand.«

Aber Blumenthal meinte, es ware nicht notig. Er sahe es schon. Ich warf die Turen krachend ins Schlo? und ruttelte an den Griffen.

»Nichts ausgeleiert. Fest wie das Steuer. Probieren Sie.«

Blumenthal probierte nicht. Er fand es selbstverstandlich. Eine verflucht harte Nu?.

Ich fuhrte ihm die Fenster vor. »Spielend leicht zu kurbeln. Stehen auf jeder Hohe fest.«

Er ruhrte sich nicht.

»Dazu unzerbrechliches Glas«, fuhr ich, schon leicht verzweifelt, fort.

»Ein unschatzbarer Vorteil! In der Werkstatt druben steht ein Ford…« Ich erzahlte die Sache von der Frau des Backermeisters und schmuckte sie noch etwas aus, indem ich ein Kind mit verunglucken lie?.

Aber Blumenthal hatte ein Innenleben wie ein Kassenschrank.

»Unzerbrechliches Glas haben alle Wagen«, unterbrach er mich,»das ist doch nichts Besonderes.«

»Unzerbrechliches Glas gehort bei keinem Wagen zur Serienausrustung«, erwiderte ich mit sanfter Scharfe. »Hochstens bei einigen Typen die Vorderscheibe. Auf keinen Fall aber die gro?en Seitenfenster.«

Ich lie? die Hupen ertonen und ging zur Beschreibung des inneren Komforts uber – der Koffer, der Sitze, der Taschen, des Schaltbretts -, ich ging bis in jede Kleinigkeit, ich reichte Blumenthal sogar den Zigarettenanzunder hin und benutzte die Gelegenheit, ihm eine Zigarette anzubieten, um ihn vielleicht damit etwas umzustimmen – aber er lehnte ab.

»Ich rauche nicht, danke«, sagte er und sah mich so gelangweilt an, da? mir plotzlich ein furchterlicher Verdacht kam: vielleicht wollte er gar nicht zu uns, vielleicht hatte er sich nur geirrt und wollte etwas ganz anderes kaufen, eine Maschine, um Knopflocher zu nahen, oder einen Radioapparat, und er stand hier nur ein bi?chen unschlussig herum, ehe er weiterging.

»Machen wir eine Probefahrt, Herr Blumenthal«, schlug ich schlie?lich, schon stark abgekampft, vor.

»Probefahrt?« erwiderte er, als hatte ich Bahnhof gesagt.

»Ja, Probefahrt. Sie mussen doch sehen, was der Wagen leistet. Er liegt wie ein Brett auf der Stra?e. Wie auf Schienen. Und die Maschine zieht an, als ware das schwere Kabriolett eine Flaumfeder…«

»Ach, Probefahrten…«, er machte eine wegwerfende Handbewegung,»Probefahrten zeigen nichts. Was am Wagen fehlt, merkt man immer erst hinterher.«

Naturlich, du gu?eiserner Satan, dachte ich argerlich, oder meinst du, ich sto?e dich mit der Nase drauf?»Na schon, dann nicht«, sagte ich und lie? alle Hoffnung fahren. Der Mann wollte nicht, das war klar.

Aber da wandte er sich plotzlich um, sah mir voll in die Augen und sagte leise und scharf und sehr rasch:»Was kostet der Wagen?«

»Siebentausend Mark«, erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, wie aus der Pistole geschossen. Dieser Mann durfte nicht merken, da? ich auch nur einen Moment uberlegte, das wu?te ich. Jede Sekunde Zogern hatte tausend Mark gekostet, die er abgehandelt hatte. »Siebentausend Mark netto«, wiederholte ich fest und dachte: Wenn du jetzt funf bietest, hast du ihn weg.

Aber Blumenthal bot gar nichts. Er stie? nur ein kurzes Schnaufen aus. »Viel zu teuer!«

»Naturlich!« sagte ich und gab den Fall endgultig auf.

»Wieso naturlich?« fragte Blumenthal auf einmal ziemlich menschlich.

»Herr Blumenthal«, erwiderte ich,»haben Sie heutzutage schon mal jemanden getroffen, der auf einen Preis was anderes antwortet?«

Er sah mich aufmerksam an. Dann zog so etwas wie der Schimmer eines Lachelns uber sein Gesicht.

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