Munde versuchte ich freundliche Worte in die Hormuschel zu sprechen – vom Scheitel bis zur Nase war ich Gewitter, von der Nase bis zum Kinn eine sonnige Fruhlingslandschaft -, es war mir ein Ratsel, da? ich es fertigbrachte, mich trotzdem zum nachsten Abend zu verabreden.

»Sie sollten sich eine schalldichte Telefonzelle anschaffen«, sagte ich zu Frau Zalewski.

Aber die war nicht auf den Mund gefallen. »Wieso«, fragte sie funkelnd zuruck,»haben Sie soviel zu verbergen?«

Ich schwieg und druckte mich. Mit aufgeruhrten Muttergefuhlen soll man keinen Streit anfangen. Die haben die Moral der ganzen Welt hinter sich.

Abends waren wir bei Gottfried verabredet. Ich a? in einer kleinen Kneipe und ging dann hin. Unterwegs kaufte ich mir im elegantesten Herrenmodengeschaft zur Feier des Tages eine prachtvolle neue Krawatte. Ich war immer noch uberrascht, wie glatt alles gegangen war, und ich gelobte mir, morgen serios zu sein wie der Generaldirektor eines Beerdigungsinstitutes.

Gottfrieds Bude war eine Sehenswurdigkeit. Sie hing voll von Reiseandenken, die er aus Sudamerika mitgebracht hatte. Bunte Bastmatten an den Wanden, ein paar Masken, ein eingetrockneter Menschenschadel, groteske Tontopfe, Speere und als Hauptstuck eine gro?artige Sammlung von Fotografien, die eine ganze Wand einnahmen – Indiomadchen und Kreolinnen, schone, braune, geschmeidige Tiere von unbegreiflicher Anmut und Lassigkeit.

Au?er Lenz und Koster waren Braumuller und Grau noch da. Theo Braumuller hockte mit sonnenverbranntem, kupfernem Schadel auf der Sofalehne und musterte begeistert Gottfrieds fotografische Sammlung. Er war Rennfahrer fur eine Autofabrik und seit langem mit Koster befreundet. Am Sechsten fuhr er das Rennen mit, zu dem Otto Karl gemeldet hatte.

Ferdinand Grau sa? massig, aufgeschwemmt und ziemlich betrunken am Tisch. Als er mich sah, zog er mich mit seiner breiten Pratze zu sich heran. »Robby«, sagte er mit schwerer Stimme,»was willst du hier unter den Verlorenen? Du hast hier nichts zu suchen. Geh wieder weg. Rette dich. Du kannst es noch!«

Ich blickte zu Lenz hinuber. Er zwinkerte mir zu. »Ferdinand ist hoch in Form. Er versauft seit zwei Tagen eine liebe Tote. Hat ein Portrat verkauft und gleich Geld bekommen.«

Ferdinand Grau war Maler. Dabei ware er aber langst verhungert, wenn er nicht eine Spezialitat gehabt hatte. Er malte nach Fotografien fabelhaft lebensechte Portrats von Verstorbenen fur pietatvolle Angehorige. Davon lebte er – sogar ganz gut. Seine Landschaften, die ausgezeichnet waren, kaufte kein Mensch. Das gab seiner Unterhaltung einen etwas pessimistischen Unterton.

»Ein Gastwirt war's diesmal, Robby«, sagte er,»ein Gastwirt mit einer verstorbenen Erbtante in Essig und Ol.« Er schuttelte sich. »Schauderhaft.«

»Hor mal, Ferdinand«, erwiderte Lenz,»du solltest nicht so harte Ausdrucke gebrauchen. Du lebst ja von einer der schonsten menschlichen Eigenschaften: von der Pietat.«

»Unsinn«, erklarte Grau,»ich lebe vom Schuldbewu?tsein. Pietat ist nichts als Schuldbewu?tsein. Man will sich rechtfertigen fur das, was man dem lieben Verstorbenen bei Lebzeiten alles gewunscht und angetan hat.« Er fuhr sich mit der Hand langsam uber den gluhenden Schadel. »Was meinst du, wie oft mein Gastwirt seiner Tante den Tod an den Hals gewunscht hat – dafur la?t er sie jetzt in den feinsten Farben malen und hangt sie ubers Sofa. So ist sie ihm lieber. Pietat! Der Mensch erinnert sich seiner sparlichen guten Eigenschaften immer erst, wenn es zu spat ist. Dann ist er geruhrt daruber, wie edel er hatte sein konnen, und halt sich fur tugendhaft. Tugend, Gute, Edelmut«- er winkte mit seiner machtigen Pratze ab -,»die wunscht man sich bei andern, damit man sie hereinlegen kann.«

Lenz grinste. »Du ruttelst an den Grundpfeilern der menschlichen Gesellschaft, Ferdinand!«

»Die Grundpfeiler der menschlichen Gesellschaft sind Habgier, Angst und Korruption«, gab Grau zuruck. »Der Mensch ist bose, aber er liebt das Gute – wenn andere es tun.«- Er hielt Lenz sein Glas hin. »So, und nun schenk mir ein und rede nicht den ganzen Abend – la? auch mal andere Leute zu Wort kommen.«

Ich kletterte uber das Sofa zu Koster hinuber. Mir war plotzlich etwas eingefallen. »Otto, du mu?t mir mal einen Gefallen tun. Ich brauche morgen abend den Cadillac.«

Braumuller unterbrach das intensive Studium einer wenig bekleideten kreolischen Tanzerin. »Kannst du denn schon Kurven fahren?« erkundigte er sich. »Ich dachte bis jetzt, du konntest nur geradeaus fahren, wenn ein anderer fur dich steuert.«

»Sei du ruhig, Theo«, erwiderte ich,»aus dir werden wir beim Rennen am Sechsten schon Hackfleisch machen.«

Braumuller gluckste vor Lachen. »Also wie ist das, Otto?« fragte ich gespannt.

»Der Wagen ist nicht versichert, Robby«, sagte Koster.

»Ich werde wie eine Schnecke schleichen und wie ein Omnibus hupen. Nur ein paar Kilometer in der Stadt.«

Otto schlo? die Augen bis auf einen kleinen Spalt und lachelte. »Gut, Robby; meinetwegen.«

»Brauchst du den Wagen vielleicht zu deiner neuen Krawatte?« fragte Lenz, der herangekommen war.

»Halt den Schnabel«, sagte ich und schob ihn beiseite.

Aber er lie? nicht locker. »Zeig mal her, Baby!« Er befuhlte die Seide. »Herrlich. Unser Kind als Gigolo. Mir scheint, du willst auf Brautschau!«

»Du kannst mich heute nicht beleidigen, du Verwandlungskunstler«, erwiderte ich.

»Brautschau?« Ferdinand Grau hob den Kopf. »Warum soll er denn nicht auf Brautschau gehen?« Er wurde lebhafter und wandte sich mir zu. »Tu's ruhig, Robby! Du hast noch das Zeug dazu. Zur Liebe gehort eine gewisse Einfalt. Die hast du. Bewahre sie dir. Sie ist ein Gottesgeschenk. Nie wieder zu kriegen, wenn man sie mal verloren hat.«

»Nimm dir's nicht allzusehr zu Herzen«, grinste Lenz. »Dumm geboren zu werden ist keine Schande. Nur dumm zu sterben.«

»Schweig, Gottfried.« Grau wischte ihn mit einer Bewegung seiner machtigen Tatze beiseite. »Auf dich kommt's nicht an, du Etappenromantiker. Um dich ist's nicht schade.«

»Sprich dich nur ruhig aus, Ferdinand«, sagte Lenz. »Aussprechen erleichtert immer.«

»Du bist ein Druckeberger«, erklarte Grau,»ein pathetischer Druckeberger.«

»Sind wir alle«, grinste Lenz. »Wir leben nur noch von Illusionen und Krediten.«

»Jawohl«, sagte Grau und sah uns der Reihe nach unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an. »Von Illusionen aus der Vergangenheit und Krediten auf die Zukunft.« Dann wandte er sich mir wieder zu. »Einfalt habe ich gesagt, Robby. Nur neidische Leute nennen es Dummheit. Kranke dich nicht deswegen. Es ist kein Fehler, sondern eine Begabung.«

Lenz wollte etwas einwerfen. Aber Ferdinand sprach schon weiter. »Du wei?t, was ich meine. Ein einfaches Gemut, noch nicht zerfressen von Skepsis und Uberintelligenz. Parzival war dumm. Ware er klug gewesen, hatte er nie den heiligen Gral erobert. Nur wer dumm ist, siegt im Leben; der andere sieht viel zu viele Hindernisse und wird unsicher, ehe er beginnt. In schwierigen Zeiten ist Einfalt das kostbarste Gut – ein Zaubermantel, der Gefahren verbirgt, in die der Superkluge wie hypnotisiert hineinrennt.«

Er trank einen Schluck und sah mich mit seinen riesigen blauen Augen an, die wie ein Stuck Himmel in dem zerklufteten Gesicht sa?en. »Nie zuviel wissen wollen, Robby! Je weniger man wei?, desto einfacher ist es, zu leben. Wissen macht frei – aber unglucklich. Komm, trink mit mir auf die Einfalt, die Dummheit und was zu ihr gehort – auf die Liebe, den Glauben an die Zukunft, die Traume vom Gluck -, auf die herrliche Dummheit, das verlorene Paradies…«

Er sa? schwer und massig da, plotzlich in sich selbst und seine Trunkenheit versunken, wie ein einsamer Hugel von unangreifbarer Schwermut. Sein Leben war kaputt, und er wu?te, da? er es nicht mehr zusammenbringen konnte. Er hauste in seinem gro?en Atelier und hatte ein Verhaltnis mit seiner Haushalterin. Die Frau war fest und derb. Grau dagegen, trotz seines machtigen Korpers, empfindsam und haltlos. Er kam nicht los von ihr, und es war ihm wohl auch schon egal. Er war zweiundvierzig Jahre alt.

Obschon ich wu?te, da? es die Betrunkenheit war, fuhlte ich doch einen leisen, merkwurdigen Schauer, als ich ihn so sah. Er kam nicht oft und trank fast immer allein in seinem Atelier. Das bringt einen rasch 'runter.

Ein Lacheln huschte uber sein Gesicht. Er druckte mir ein Glas in die Hand. »Trink, Robby. Und rette dich. Denk daran, was ich dir gesagt habe.«

»Gut, Ferdinand!«

Lenz zog das Grammophon auf. Er hatte einen Haufen Negerplatten und spielte ein paar – vom Mississippi,

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