»Stimmt. Aber der Wagen ist wirklich zu teuer.«
Ich traute meinen Ohren nicht. Da war er ja endlich, der richtige Ton! Der Ton des Interessenten! Oder war das wieder ein neuer verfluchter Dreh?
In diesem Augenblick kam ein eleganter Stutzer durch das Hoftor. Er zog eine Zeitung aus der Tasche, verglich die Hausnummer noch einmal und schritt auf mich zu. »Ist hier der Cadillac zu verkaufen?«
Ich nickte und sah sprachlos auf den gelben Bambusspazierstock und die Wildlederhandschuhe des Stutzers.
»Konnte ich ihn mal sehen«, fragte der weiter, ohne eine Miene zu verziehen.
»Das ist er hier«, sagte ich,»aber vielleicht gedulden Sie sich einen Moment, ich habe noch zu tun. Wollen Sie solange drinnen Platz nehmen?«
Der Stutzer horchte einen Augenblick auf das Summen des Motors, machte erst ein kritisches, dann ein anerkennendes Gesicht und lie? sich von mir in die Werkstatt fuhren.
»Idiot«, knurrte ich ihn an und ging dann rasch zu Blumenthal zuruck.
»Wenn Sie den Wagen einmal gefahren haben, werden Sie anders uber den Preis denken«, sagte ich. »Sie konnen ihn gern so lange probieren, wie Sie wollen. Vielleicht kann ich Sie auch abends zu einer Probefahrt abholen, wenn Ihnen das besser pa?t.«
Aber die fluchtige Regung war bereits verflogen. Blumenthal stand schon wieder da wie ein Gesangvereinsprasident aus Granit. »Lassen Sie nur«, sagte er,»ich mu? jetzt gehen. Wenn ich eine Probefahrt machen will, kann ich Ihnen ja noch telefonieren.«
Ich sah, da? vorlaufig nichts weiter zu machen war. Dieser Mann war nicht zu bereden. »Gut«, erklarte ich,»aber wollen Sie mir nicht Ihre Telefonnummer geben, damit ich Ihnen Bescheid sagen kann, wenn noch ein Interessent da ist?«
Blumenthal sah mich merkwurdig an. »Interessenten sind noch keine Kaufer.«
Er zog eine Zigarrentasche heraus und hielt sie mir hin. Auf einmal rauchte er. Sogar Corona-Coronas – er mu?te Geld wie Heu haben. Aber es war mir schon egal. Ich nahm die Zigarre.
Er gab mir freundlich die Hand und ging. Ich sah ihm nach und verfluchte ihn leise, aber grundlich. Dann ging ich zuruck in die Werkstatt.
»Na«, begru?te mich der Stutzer Gottfried Lenz,»wie hab' ich das gemacht? Sah, wie du da herumwurgtest, und wollte mal etwas nachhelfen. Ein Gluck, da? Otto sich hier furs Finanzamt umgezogen hat! Sah seinen guten Anzug da hangen – sauste im Galopp 'rein, durchs Fenster 'raus und wieder hierher als serioser Kaufer! Gut gemacht, was?«
»Idiotisch gemacht«, erwiderte ich,»der Mann ist schlauer als wir beide zusammen! Sieh dir die Zigarre an! Eine Mark funfzig das Stuck. Du hast mir einen Milliardar verjagt.«
Gottfried nahm mir die Zigarre aus der Hand, beroch sie und zundete sie sich an. »Ich habe dir einen Schwindler verjagt. Milliardare rauchen nicht solche Zigarren. Die rauchen welche zu einem Groschen das Stuck.«
»Unsinn«, antwortete ich,»Schwindler nennen sich nicht Blumenthal. Die nennen sich Graf Blumenau oder so.«
»Der Mann kommt wieder«, meinte Lenz, hoffnungsvoll wie immer, und blies mir den Rauch meiner Zigarre ins Gesicht.
»Der nicht«, sagte ich uberzeugt. »Aber wie kommst du nur zu dem Bambusknuppel und den Handschuhen?«
»Geliehen. Druben im Geschaft von Benn und Co. Ich kenne da die Verkauferin. Vielleicht behalte ich den Stock sogar. Er gefallt mir.« Selbstgefallig wirbelte er den dicken Prugel durch die Luft.
»Gottfried«, sagte ich,»du bist hier zu schade. Wei?t du was? Geh zum Variete. Da gehorst du hin.«
»Sie sind angerufen worden«, sagte Frida, das schielende Dienstmadchen Frau Zalewskis, als ich mittags auf einen Sprung nach Hause kam.
Ich drehte mich um. »Wann?«
»Vor 'ner halben Stunde. War 'ne Dame.«
»Was hat sie denn gesagt?«
»Sie will abends noch mal anrufen. Aber ich habe ihr gleich gesagt, es hatte nicht viel Zweck. Sie waren abends nie zu Hause.«
Ich starrte sie an. »Was? Das haben Sie gesagt? Herrgott, wenn Ihnen doch mal jemand telefonieren beibringen wurde.«
»Ich kann telefonieren«, erklarte Frida pomadig. »Und zu Hause sind Sie abends auch so gut wie nie.«
»Das geht Sie doch gar nichts an«, fluchte ich. »Nachstens erzahlen Sie noch, ob ich Locher in den Strumpfen habe.«
»Kann ich ja machen«, gab Frida zuruck und sah mich hamisch mit ihren roten entzundeten Augen an. Wir waren alte Feinde.
Ich hatte sie am liebsten in ihren Suppentopf gesteckt, beherrschte mich aber, griff in die Tasche, druckte ihr eine Mark in die Hand und fragte versohnlich:»Hat die Dame nicht ihren Namen genannt?«
»Nee«, sagte Frida.
»Was hatte sie denn fur eine Stimme? Ein bi?chen dunkel und tief und so, als ware sie etwas heiser?«
»Wei? ich nicht«, erklarte Frida phlegmatisch, als hatte ich ihr nie eine Mark in die Hand gedruckt.
»Einen hubschen Ring haben Sie da an der Hand, wirklich reizend«, sagte ich,»und nun besinnen Sie sich mal genau, ob Sie sich nicht doch erinnern.«
»Nee«, erwiderte Frida, und die Schadenfreude leuchtete ihr nur so aus dem Gesicht.
»Dann hang dich auf, du Satansbesen«, fauchte ich und lie? sie stehen.
Abends um sechs Uhr war ich punktlich zu Hause. Als ich die Tur aufmachte, bot sich mir ein ungewohntes Bild. Auf dem Korridor stand Frau Bender, die Sauglingsschwester, umgeben von samtlichen Damen der Pension. »Kommen Sie mal her«, sagte Frau Zalewski.
Die Ursache der Versammlung war ein schleifengeschmuckter Saugling, der vielleicht ein halbes Jahr alt war. Frau Bender hatte ihn aus ihrem Heim in einem Kinderwagen mitgebracht. Es war ein vollig normales Kind; aber die Damen beugten sich mit einem Ausdruck so irrsinnigen Entzuckens daruber, als ware es der erste Saugling, den die Welt hervorgebracht hatte. Dazu stie?en sie glucksende Rufe aus, zwirbelten mit den Fingern vor den Augen der kleinen Kreatur und spitzten die Lippen. Sogar Erna Bonig in ihrem Drachenkimono beteiligte sich an dieser Orgie platonischer Mutterlichkeit.
»Ist es nicht ein reizendes Wesen?« fragte Frau Zalewski mit schwimmenden Blick.
»Das kann man erst so in zwanzig, drei?ig Jahren richtig beurteilen«, erwiderte ich und schielte nach dem Telefon. Hoffentlich kam der Anruf nicht gerade, wahrend hier alles versammelt war.
»Sehen Sie sich's doch mal richtig an«, forderte Frau Hasse mich auf.
Ich sah hin. Es war ein Saugling wie alle. Ich konnte nichts Besonderes daran entdecken. Hochstens die furchtbar kleinen Hande und da? es merkwurdig war, selbst auch mal so winzig gewesen zu sein. »Der arme Wurm«, sagte ich,»der hat noch keine Ahnung, was ihm bevorsteht. Mochte wissen, fur was fur einen Krieg der gerade zurechtkommt.«
»Rohling«, erwiderte Frau Zalewski. »Haben Sie denn kein Gefuhl?«
»Viel zuviel«, erklarte ich,»sonst kame ich ja nicht auf solche Gedanken.« Damit zog ich ab in mein Zimmer.
Zehn Minuten spater klingelte das Telefon. Ich horte meinen Namen und ging hinaus. Richtig, die ganze Gesellschaft war noch da! Sie wich auch nicht, als ich den Horer am Ohr hatte und die Stimme von Patrice Hollmann vernahm, die sich fur die Blumen bedankte. Im Gegenteil, der Saugling, der scheinbar der Vernunftigste von allen war und genug von der Afferei hatte, fing plotzlich an zu brullen. »Entschuldigen Sie«, sagte ich verzweifelt in das Telefon,»ich kann Sie nicht verstehen, hier tobt ein Saugling; aber es ist nicht meiner.« Die Damen zischten wie ein Nest von Riesenschlangen, um das schreiende Geschopf zu beruhigen. Sie erreichten prompt, da? es noch starker loslegte. Jetzt erst bemerkte ich, da? es tatsachlich ein besonderer Saugling war; seine Lungen mu?ten bis in die Beine reichen, anders war diese schmetternde Stimme nicht zu erklaren. Ich war in einer schwierigen Lage; mit den Augen scho? ich wutende Blicke auf den Mutterkomplex vor mir, mit dem