Der Backermeister machte eine ungeduldige Bewegung. »Naturlich. Aber ein neues Verdeck kann doch dabei abfallen. Ist ja ein ziemlich gro?er Auftrag fur Sie. Wir verstehen uns, was?«
»Nein«, sagte Koster.
Er verstand ihn sehr gut. Der Mann wollte kostenlos ein neues Verdeck, fur das die Versicherung nicht haftbar war, in die Reparatur hineinschmuggeln. Wir stritten uns eine Weile herum. Der Mann drohte, alles ruckgangig zu machen und einen Kostenanschlag von einer gefalligeren Werkstatt einholen zu lassen. Schlie?lich gab Koster nach. Er hatte es nicht getan, wenn wir nicht Arbeit gebraucht hatten. »Na also, warum denn nicht gleich«, meinte der Backermeister mit schiefem Lacheln. »Ich komme in den nachsten Tagen, den Stoff aussuchen. Beige, denke ich. Zarte Farben.«
Wir fuhren los. Drau?en zeigte Lenz auf die Sitze des Fords. Sie hatten gro?e schwarze Flecken. »Das Blut seiner toten Frau. Und ein neues Verdeck herausgeschunden. Beige. Zarte Farben. Alle Achtung. Dem trau' ich auch zu, da? er die Versicherungssumme fur zwei Tote 'rausholt. Die Frau war ja schwanger.«
Koster zuckte die Achseln. »Er sagt sich wahrscheinlich, da? das eine mit dem andern nichts zu tun hat.«
»Moglich«, sagte Lenz. »Es soll ja Leute geben, fur die so was direkt ein Trost im Ungluck ist. Uns kostet es glatt funfzig Mark von unserm Verdienst.«
Nachmittags ging ich unter einem Vorwand nach Hause. Ich war um funf Uhr mit Patrice Hollmann verabredet, aber ich sagte in der Werkstatt nichts davon. Nicht, da? ich es verbergen wollte; aber es kam mir auf einmal ziemlich unwahrscheinlich vor.
Sie hatte mir ein Cafe als Treffpunkt angegeben. Ich kannte es nicht; ich wu?te nur, da? es ein kleines, elegantes Lokal war. Ahnungslos ging ich hin. Aber ich prallte erschrocken zuruck, als ich eintrat. Der Raum war uberfullt mit schwatzenden Frauen. Ich war in eine typische Damenkonditorei geraten.
Mit Muhe gelang es mir, einen Tisch, der gerade frei wurde, zu ergattern. Unbehaglich blickte ich umher. Au?er mir waren nur noch zwei Manner da, und die gefielen mir nicht.
»Kaffee, Tee, Schokolade?« fragte der Kellner und wedelte mit seiner Serviette eine Anzahl Kuchenkrumel von der Tischplatte auf meinen Anzug.
»Einen gro?en Kognak«, erwiderte ich.
Er brachte ihn. Aber er brachte gleichzeitig ein Kaffeekranzchen mit, das Platz suchte, an der Spitze eine Athletin reiferen Alters mit einem Pleureusenhut. »Vier Platze, bitte!« sagte er und zeigte auf meinen Tisch.
»Halt«, antwortete ich,»der Tisch ist nicht frei. Ich erwarte jemand.«
»Das geht nicht, mein Herr!« sagte der Kellner. »Um diese Zeit konnen keine Platze reserviert werden.«
Ich sah ihn an. Dann sah ich die Athletin an, die jetzt dicht am Tisch stand und eine Sessellehne umklammerte. Ich sah ihr Gesicht und verzichtete auf jeden Widerstand. Selbst mit Kanonen hatte man diese Person nicht wankend gemacht in ihrem Entschlu?, den Tisch zu erobern.
»Konnen Sie mir wenigstens noch einen Kognak bringen?« knurrte ich den Kellner an.
»Sehr wohl, mein Herr. Wieder einen gro?en?«
»Ja.«
»Bitte sehr.« Er verbeugte sich. »Es ist doch ein Tisch fur sechs Personen, mein Herr«, sagte er entschuldigend.
»Schon recht. Bringen Sie nur den Kognak.«
Die Athletin schien auch einem Abstinentenklub anzugehoren. Sie starrte auf meinen Schnaps, als ware er ein verfaulter Fisch. Um sie zu argern, bestellte ich noch einen und starrte zuruck. Das ganze Unternehmen erschien mir plotzlich lacherlich. Was wollte ich hier? Und was wollte ich von dem Madchen? Ich wu?te nicht einmal, ob ich sie in all dem Durcheinander und Geschwatz uberhaupt wiedererkennen wurde. Argerlich schuttete ich meinen Kognak hinunter. -»Salute!« sagte jemand hinter mir.
Ich fuhr auf. Da stand sie und lachte. »Sie fangen ja recht zeitig an!« Ich stellte das Glas, das ich immer noch in der Hand hielt, auf den Tisch. Ich war plotzlich verwirrt. Das Madchen sah ganz anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Zwischen den vielen Kuchen essenden, wohlgenahrten Weibern wirkte es wie eine schmale, junge Amazone, kuhl, strahlend, sicher und unangreifbar. – Das wird nie etwas mit uns, dachte ich und sagte:»Wo sind Sie denn nur so geisterhaft hergekommen? Ich habe doch die ganze Zeit die Tur beobachtet.«
Sie zeigte nach rechts hinuber. »Dort druben ist noch ein Eingang. Aber ich habe mich verspatet. Warten Sie schon lange?«
»Gar nicht. Hochstens zwei, drei Minuten. Ich bin auch erst eben gekommen.«
Das Kaffeekranzchen an meinem Tisch wurde still. Ich spurte die abschatzenden Blicke von vier soliden Muttern im Nacken. »Wollen wir hier bleiben?« fragte ich.
Das Madchen streifte mit einem raschen Blick den Tisch. Ihr Mund zuckte. Sie sah mich belustigt an. »Ich furchte, Cafes sind uberall gleich.«
Ich schuttelte den Kopf. »Wenn sie leer sind, sind sie besser. Dies hier ist ein Teufelslokal, in dem man Minderwertigkeitskomplexe bekommt. Wir konnten am besten in eine Bar gehen.«
»In eine Bar? Gibt es denn Bars, die am hellen Tage offen sind?«
»Ich wei? eine«, sagte ich. »Sie ist allerdings sehr ruhig. Wenn Sie das mogen…«
»Manchmal schon…«
Ich blickte auf. Ich konnte im Augenblick nicht feststellen, wie sie das meinte. Ich hatte nichts gegen Ironie, wenn sie nicht gegen mich ging; aber ich hatte ein schlechtes Gewissen.
»Also gehen wir«, sagte sie.
Ich winkte dem Kellner. »Drei gro?e Kognaks«, brullte der Unglucksvogel mit einer Stimme, als wollte er einem Gast im Grabe die Rechnung machen. »Drei Mark drei?ig!«
Das Madchen drehte sich um. »Drei Kognaks in drei Minuten? Ganz schones Tempo!«
»Es sind noch zwei von gestern dabei.«
»So ein Lugner«, zischte die Athletin am Tisch hinter mir. Sie hatte lange geschwiegen.
Ich wandte mich um und verbeugte mich. »Ein gesegnetes Weihnachtsfest, meine Damen!« Dann ging ich rasch.
»Haben Sie Streit gehabt?« fragte mich das Madchen drau?en.
»Nichts Besonderes. Ich habe nur eine ungunstige Wirkung auf Hausfrauen in gesicherten Verhaltnissen.«
»Ich auch«, erwiderte sie.
Ich sah sie an. Sie erschien mir wie aus einer andern Welt. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was sie war und wie sie lebte.
Die Bar war sicherer Boden fur mich. Fred, der Mixer, stand hinter der Theke und polierte gerade die gro?en Schwenkglaser fur Kognak, als wir hereinkamen. Er begru?te mich, als sahe er mich zum erstenmal und hatte mich nicht vor zwei Tagen noch nach Hause bringen mussen. Er hatte eine gute Schule und eine riesige Erfahrung hinter sich.
Der Raum war leer bis auf einen Tisch. Dort sa?, wie fast immer, Valentin Hauser. Ich kannte ihn vom Kriege her; wir waren in derselben Kompanie gewesen. Er hatte mir einmal durchs Sperrfeuer einen Brief nach vorne gebracht, weil er dachte, er ware von meiner Mutter. Er wu?te, da? ich darauf wartete, denn meine Mutter war operiert worden. Aber er hatte sich geirrt – es war nur eine Reklame fur Kopfschutzer aus Brennesselstoff gewesen. Auf dem Ruckwege hatte er einen Schu? ins Bein bekommen.
Valentin hatte einige Zeit nach dem Kriege eine Erbschaft gemacht. Die vertrank er seitdem. Er behauptete, das Gluck feiern zu mussen, lebend herausgekommen zu sein. Es war ihm gleich, da? das schon eine Anzahl Jahre her war. Er erklarte, man konne es gar nicht genug feiern. Er war einer der Menschen, die ein unheimliches Gedachtnis fur den Krieg haben. Wir andern hatten vieles vergessen; er aber erinnerte sich an jeden Tag und jede Stunde.
Ich sah, da? er schon viel getrunken hatte: Er sa? ganz versunken und abwesend in seiner Ecke. Ich hob die Hand. »Salu, Valentin!«
Er blickte auf und nickte. »Salu, Robby!«
Wir setzten uns in eine Ecke. Der Mixer kam. »Was mochten Sie trinken?« fragte ich das Madchen.
»Vielleicht einen Martini«, erwiderte sie. »Einen trockenen Martini.«
»Darin ist Fred Spezialist.«
Fred erlaubte sich ein Lacheln. »Mir wie immer«, sagte ich.
Die Bar war kuhl und halbdunkel. Sie roch nach vergossenem Gin und Kognak. Es war ein wurziger Geruch, wie nach Wacholder und Brot. Von der Decke hing das holzgeschnitzte Modell eines Segelschiffs herab. Die Wand