hinter der Theke war mit Kupfer beschlagen. Das gedampfte Licht eines Leuchters warf rote Reflexe hinein, als spiegele sich dort ein unterirdisches Feuer. Von den kleinen, schmiedeeisernen Wandarmen brannten nur zwei – einer bei Valentin und einer bei uns. Sie hatten gelbe Pergamentschirme, die aus alten Landkarten gemacht waren, und sahen aus wie schmale, erleuchtete Ausschnitte der Welt.

Ich war etwas verlegen und wu?te nicht recht, wie ich ein Gesprach anfangen sollte. Ich kannte das Madchen ja uberhaupt nicht, und je langer ich es ansah, um so fremder erschien es mir. Es war lange her, da? ich mit jemand so zusammen gewesen war; ich hatte keine Ubung mehr darin. Ich hatte mehr Ubung im Umgang mit Mannern. Vorhin, im Cafe, war es mir zu laut gewesen – jetzt, hier, war es plotzlich zu ruhig. Jedes Wort bekam durch die Stille des Raumes so viel Gewicht, da? es schwer war, unbefangen zu reden. Fast wunschte ich mich schon wieder ins Cafe zuruck.

Fred brachte die Glaser. Wir tranken. Der Rum war stark und frisch. Er schmeckte nach Sonne. Er war etwas, woran man sich halten konnte. Ich trank und gab das Glas Fred gleich wieder mit.

»Gefallt es Ihnen hier?« fragte ich.

Das Madchen nickte.

»Besser als in der Konditorei druben?«

»Ich hasse Konditoreien«, sagte sie.

»Weshalb haben wir uns dann gerade da getroffen?« fragte ich verblufft.

»Ich wei? nicht.« Sie nahm ihre Kappe ab. »Mir fiel nichts anderes ein.«

»Um so besser, da? es Ihnen dann hier gefallt. Wir sind oft hier. Abends ist diese Bude fur uns schon fast so eine Art Zuhause.«

Sie lachte. »Ist das nicht eigentlich traurig?«

»Nein«, sagte ich,»zeitgema?.«

Fred brachte mir das zweite Glas. Er legte eine grune Havanna dazu auf den Tisch. »Von Herrn Hauser.«

Valentin winkte aus seiner Ecke heruber und hob sein Glas. »31. Juli 17, Robby«, sagte er mit schwerer Stimme.

Ich nickte ihm zu und hob ebenfalls mein Glas.

Er mu?te immer jemand zutrinken; ich hatte ihn abends schon getroffen, wie er dem Mond oder einem Fliederbusch in einer Bauernkneipe zutrank. Dann erinnerte er sich an irgendeinen Tag aus den Schutzengraben, wo es besonders schwer zugegangen war, und war dankbar dafur, da? er noch da war und so sitzen konnte.

»Er ist mein Freund«, sagte ich zu dem Madchen. »Ein Kamerad aus dem Kriege. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der aus einem gro?en Ungluck ein kleines Gluck gemacht hat. Er wei? nicht mehr, was er mit seinem Leben anfangen soll – deshalb freut er sich einfach, da? er noch lebt.«

Sie sah mich nachdenklich an. Ein Streifen Licht fiel schrag uber ihre Stirn und ihren Mund. »Das kann ich gut verstehen«, sagte sie.

Ich blickte auf. »Das sollten Sie aber nicht. Dafur sind Sie viel zu jung.«

Sie lachelte. Es war ein leichtes, schwebendes Lacheln, das nur in den Augen war. Das Gesicht veranderte sich kaum dabei; es wurde nur heller, von innen heraus heller. »Zu jung«, sagte sie,»das ist so ein Wort. Ich finde, zu jung ist man nie. Nur immer zu alt.«

Ich schwieg einen Augenblick. »Dagegen lie?e sich eine Menge sagen«, erwiderte ich dann und machte Fred ein Zeichen, mir noch etwas zu trinken zu bringen. Das Madchen war so sicher und selbstverstandlich; ich fuhlte mich wie ein Holzblock dagegen. Ich hatte gern ein leichtes, spielerisches Gesprach gefuhrt, so ein richtiges Gesprach, wie es einem gewohnlich hinterher einfallt, wenn man wieder allein ist. Lenz konnte das; bei mir aber wurde es immer gleich ungeschickt und schwer. Gottfried behauptete nicht mit Unrecht von mir, als Unterhalter stande ich ungefahr auf der Stufe eines Postsekretars.

Zum Gluck war Fred vernunftig. Er brachte mir statt der kleinen Fingerhute jetzt gleich ein anstandiges Weinglas voll heran. So brauchte er nicht immer hin und her zu laufen, und es fiel auch nicht so auf, wieviel ich trank. Ich mu?te trinken; anders konnte ich diese stockige Schwere nicht loswerden.

»Wollen Sie nicht noch einen Martini nehmen?« fragte ich das Madchen.

»Was trinken Sie denn da?«

»Das hier ist Rum.«

Sie betrachtete mein Glas. »Das haben Sie neulich auch schon getrunken.«

»Ja«, sagte ich,»das trinke ich meistens.«

Sie schuttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, da? das schmeckt.«

»Ob es schmeckt, wei? ich schon gar nicht mehr.«

Sie sah mich an. »Weshalb trinken Sie es denn?«

»Rum«, sagte ich, froh, etwas gefunden zu haben, uber das ich reden konnte. »Rum hat mit Schmecken nicht viel zu tun. Er ist nicht so einfach ein Getrank – er ist schon mehr ein Freund. Ein Freund, der alles leichter macht. Er verandert die Welt. Und deshalb trinkt man ja«- Ich schob das Glas beiseite. »Aber soll ich Ihnen nicht noch einen Martini bestellen?«

»Lieber einen Rum«, sagte sie. »Ich mochte ihn auch mal versuchen.«

»Gut«, erwiderte ich,»aber nicht diesen. Der ist fur den Anfang zu schwer. Bring einen Baccardi-Cocktail«, rief ich zu Fred hinuber.

Fred brachte die Glaser. Er setzte auch eine Schale mit Salzmandeln und schwarzgebrannten Kaffeebohnen dazu. »La? meine Flasche nur gleich hier stehen«, sagte ich.

Langsam bekam alles Griff und Glanz. Die Unsicherheit schwand, die Worte kamen von selber, und ich achtete nicht mehr so darauf, was ich sagte. Ich trank weiter und spurte, wie die gro?e, weiche Welle herankam und mich erfa?te, wie sich die leere Stunde der Dammerung mit Bildern fullte und geisterhaft uber den gleichgultigen, grauen Bezirken des Daseins der lautlose Zug der Traume wiederauftauchte. Die Wande der Bar weiteten sich, und plotzlich war es nicht mehr die Bar – es war eine Ecke der Welt, ein Winkel der Zuflucht, ein halbdunkler Unterstand, um den ringsumher die ewige Schlacht des Chaos brauste und in dem wir geborgen hockten, ratselhaft zueinandergeweht durch das Zwielicht der Zeit. Das Madchen sa? zusammengekauert in seinem Stuhl, fremd und geheimnisvoll, als ware es hierher verschlagen von der anderen Seite des Lebens. Ich horte mich sprechen, aber es war, als ware ich es nicht mehr, als sprache jetzt ein anderer, einer, der ich hatte sein mogen. Die Worte stimmten nicht mehr, sie verschoben sich, sie drangten hinuber in andere, buntere Gebiete, als sie die kleinen Ereignisse meines Lebens geben konnten – ich wu?te, da? sie schon nicht mehr Wahrheit waren, da? sie zu Phantasie und Luge wurden, aber es war mir gleich -, die Wahrheit war trostlos und fahl, und nur das Gefuhl und der Abglanz der Traume waren Leben…

In der kupfernen Wanne der Bar gluhte das Licht. Ab und zu hob Valentin sein Glas und murmelte ein Datum vor sich hin. Drau?en spulte sich gedampft die Stra?e mit den Raubvogelrufen der Autos vorbei. Sie schrie herein, wenn jemand die Tur offnete. Sie schrie wie ein keifendes, neidisches, altes Weib.

Es war schon dunkel, als ich Patrice Hollmann nach Hause brachte. Langsam ging ich zuruck. Ich fuhlte mich plotzlich allein und leer. Ein feiner Regen spruhte hernieder. Ich blieb vor einem Schaufenster stehen. Ich hatte zuviel getrunken, das merkte ich jetzt. Nicht, da? ich schwankte – aber ich merkte es doch deutlich.

Mir wurde mit einem Schlage machtig hei?. Ich knopfte den Mantel auf und schob den Hut zuruck. Verdammt, es hatte mich wieder einmal uberrumpelt! Was mochte ich da vorhin nur alles zusammengeredet haben? Ich wagte gar nicht, genau daruber nachzudenken. Ich wu?te es nicht einmal mehr, das war das schlimmste. Hier allein, auf der kalten, autobusdrohnenden Stra?e sah das alles ganz anders aus als im Halbdunkel der Bar. Ich verfluchte mich selber. Einen schonen Eindruck mu?te das Madchen von mir bekommen haben! Sie hatte es sicher gemerkt. Sie hatte ja selbst fast nichts getrunken. Beim Abschied hatte sie mich auch so sonderbar angesehen…

Herrgott! Ich drehte mich um. Dabei stie? ich mit einem dicken kleinen Mann zusammen. »Na«, sagte ich wutend.

»Sperren Sie doch Ihre Augen auf, Sie bockender Strohwisch!« bellte der Dicke.

Ich starrte ihn an.

»Wohl noch nicht oft Menschen gesehen, was?« klaffte er weiter.

Er kam mir gerade recht. »Menschen wohl«, sagte ich,»aber noch keine Bierfasser, die Spazierengehen.«

Der Dicke besann sich keine Sekunde. Er stoppte und schwoll. »Wissen Sie was?« fauchte er. »Gehen Sie in den Zoo! Traumerische Kanguruhs haben auf der Stra?e nichts zu suchen.«

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