Da knarrte die Tur. Rosa kam. Rosa, die Friedhofshure, genannt das Eiserne Pferd. Den Beinamen hatte sie, weil sie so unverwustlich war. Sie wollte eine Tasse Schokolade trinken. Die leistete sie sich jeden Sonntagmorgen hier; dann fuhr sie nach Burgdorf, um ihr Kind zu besuchen.

»Servus, Robert.«

»Servus, Rosa. Was macht die Kleine?«

»Will mal sehen. Hier – das bring' ich ihr mit.«

Sie packte aus einem Paket eine Puppe mit roten Backen und druckte ihr auf den Bauch. »Ma-ma«, quakte die Puppe. Rosa strahlte.

»Fabelhaft!« sagte ich.

»Pa? mal auf.« Sie beugte die Puppe nach hinten. Mit einem Klapp schlossen sich die Augen.

»Unerhort, Rosa.«

Sie war befriedigt und packte die Puppe wieder weg. »Du verstehst was von solchen Sachen, Robert. Wirst mal ein guter Ehemann.«

»Na, na«, sagte ich zweifelnd.

Rosa hing an ihrem Kinde. Bis vor einem Vierteljahr, solange es noch nicht laufen konnte, hatte sie es bei sich in ihrem Zimmer gehabt. Das ging, trotz ihres Berufes, weil nebenan ein kleiner Verschlag war. Wenn sie dann mit einem Kavalier abends ankam, lie? sie ihn unter irgendeinem Vorwand einen Augenblick drau?en warten, ging rasch voran, schob den Kinderwagen in den Verschlag, schlo? die Tur und lie? den Kavalier eintreten. Aber im Dezember mu?te die Kleine zu oft aus dem warmen Zimmer in den ungeheizten Verschlag. So kam es, da? sie sich erkaltete und oft weinte, wenn gerade jemand da war. Rosa mu?te sich von ihr trennen, so schwer es ihr auch wurde. Sie gab sie in ein teures Kinderheim. Dort galt sie als honette Witwe. Sonst hatte man das Kind nicht angenommen.

Rosa erhob sich. »Du kommst doch Freitag?«

Ich nickte.

Sie sah mich an. »Du wei?t doch, was los ist?«

»Naturlich.«

Ich hatte keine Ahnung, was los war; aber ich hatte auch keine Lust, danach zu fragen. Das hatte ich mir hier so angewohnt in dem Jahr als Klavierspieler. Es war immer am bequemsten. Ebenso wie ich zu all den Madchen du sagte. Das ging gar nicht anders.

»Servus, Robert.«

»Servus, Rosa.«

Ich sa? noch eine Weile. Aber ich hatte nicht die richtige schlafrige Ruhe wie sonst, wenn das International so eine Art Sonntagsheimat fur mich war. Ich trank noch einen Rum, streichelte die Katze und ging dann.

Tagsuber trieb ich mich umher. Ich wu?te nicht recht, was ich machen sollte, und hielt es nirgendwo lange aus. Am spaten Nachmittag ging ich in unsere Werkstatt. Koster war da. Er arbeitete an dem Cadillac. Wir hatten ihn vor einiger Zeit fur einen Spottpreis alt gekauft. Jetzt war er von uns grundlich uberholt worden, und Koster gab ihm gerade den letzten Schliff. Es war eine Spekulation. Wir hofften, gut damit zu verdienen. Ich zweifelte, ob es ein Geschaft sein wurde. Bei den schlechten Zeiten wollten alle Leute kleine Wagen kaufen, aber nicht so einen Omnibus. »Wir bleiben darauf sitzen, Otto«, sagte ich.

Doch Koster war zuversichtlich. »Auf mittleren Wagen bleibt man sitzen, Robby«, erklarte er. »Billige werden gekauft und ganz teure auch. Es gibt immer noch Leute, die Geld haben. Oder so aussehen wollen.«

»Wo ist Gottfried?« fragte ich.

»In irgendeiner politischen Versammlung…«

»Verruckt! Was will er denn da?«

Koster lachte. »Das wei? er selbst nicht. Wahrscheinlich sitzt ihm das Fruhjahr in den Knochen. Da mu? er ja immer irgend etwas Neues haben.«

»Kann sein«, sagte ich. »Komm, ich helf' dir etwas.«

Wir murksten herum, bis es dunkel wurde. »Schlu? jetzt«, sagte Koster. Wir wuschen uns. »Wei?t du, was ich hier habe?« fragte er und klopfte auf seine Brieftasche.

»Na?«

»Karten zum Boxen heute abend. Zwei. Du gehst doch mit, was?« Ich zogerte. Er sah mich erstaunt an. »Stilling boxt«, sagte er,»gegen Walker. Wird ein guter Kampf.«

»Nimm Gottfried mit«, schlug ich vor und fand mich lacherlich, da? ich nicht mitging. Aber ich hatte keine rechte Lust, ich wu?te nicht warum.

»Hast du was vor?« fragte er.

»Nein.«

Er sah mich an.

»Ich gehe mal nach Hause«, sagte ich. »Briefe schreiben und so was. Mu? auch mal sein…«

»Bist du krank?« fragte er besorgt.

»Ach wo, keine Spur. Habe vielleicht auch den Fruhling etwas in den Knochen.«

»Na schon. Wie du willst.«

Ich schlenderte nach Hause. Aber als ich in meinem Zimmer sa?, wu?te ich auch nicht, was ich anfangen sollte. Unschlussig wanderte ich umher. Ich verstand jetzt nicht mehr, weshalb ich eigentlich hierher gewollt hatte. Schlie?lich ging ich uber den Korridor, um Georgie zu besuchen. Dabei stie? ich auf Frau Zalewski. »Nanu«, sagte sie verblufft,»Sie hier?«

»Ware schwer abzustreiten«, erwiderte ich etwas gereizt.

Sie wiegte den Kopf mit den grauen Locken. »Nicht unterwegs? Zeichen und Wunder.«

Ich hielt mich nicht lange bei Georgie auf. Nach einer Viertelstunde ging ich zuruck. Ich uberlegte, ob ich etwas trinken wollte. Aber ich wollte nicht. Ich setzte mich ans Fenster und schaute auf die Stra?e. Die Dammerung wehte mit Fledermausflugeln uber den Friedhof. Der Himmel hinter dem Gewerkschaftshause war grun wie ein unreifer Apfel. Drau?en brannten schon die Laternen; aber es war noch nicht dunkel genug – sie sahen aus, als froren sie. Ich kramte unter meinen Buchern nach dem Zettel mit der Telefonnummer. Schlie?lich – anrufen konnte ich ja mal. Hatte es doch sogar halb und halb versprochen. Wahrscheinlich war das Madchen auch gar nicht zu Hause.

Ich ging zum Vorplatz, wo das Telefon stand, hob den Horer ab und sagte die Nummer. Wahrend ich auf Antwort wartete, fuhlte ich, wie eine weiche Welle, eine leichte Erwartung aus der schwarzen Muschel sich hob. Das Madchen war da. Als ihre dunkle, etwas rauhe Stimme geisterhaft plotzlich in Frau Zalewskis Vorzimmer zwischen Wildschweinskopfen, Fettgeruch und Kuchengeklirr sprach, leise und etwas langsam, als dachte sie vor jedem Worte nach, verschwand auf einmal meine Unzufriedenheit. Ich hangte wieder an, nachdem ich, anstatt mich nur zu erkundigen, eine Verabredung fur ubermorgen abgemacht hatte. Plotzlich erschien mir alles nicht mehr so stumpf. Verruckt, dachte ich und schuttelte den Kopf. Dann hob ich noch einmal den Horer auf und rief Koster an. »Hast du die Karten noch Otto?«

»Ja.«

»Gut. Ich gehe doch mit zum Boxen.«

Nachher wanderten wir noch eine Zeitlang durch die nachtliche Stadt. Die Stra?en waren hell und leer. Die Firmenschilder leuchteten. In den Schaufenstern brannte zwecklos das Licht. In einem standen nackte Wachspuppen mit gemalten Kopfen. Sie sahen gespenstisch und pervers aus. Daneben glitzerte Schmuck. Dann kam ein Warenhaus, wei? bestrahlt wie eine Kathedrale. Die Fenster schaumten uber von bunter, glanzender Seide. Vor einem Kino hockten blasse, verhungerte Gestalten. Neben ihnen glanzte die Auslage eines Lebensmittelgeschaftes. Zu zinnernen Turmen standen da die Konserven geschichtet, in Watte gebettet lagen murbe Kalvillapfel, eine Schnur fetter Ganse baumelte wie Wasche auf einer Leine, braune runde Brote lagen zwischen harten Dauerwursten, angeschnitten, zartgelb und rosig schimmerte das Bukett der Lachsschinken und Leberpasteten.

Wir setzten uns auf eine Bank in der Nahe der Anlagen. Es war kuhl. Der Mond stand wie eine Bogenlampe uber den Hausern. Es war schon weit nach Mitternacht. In der Nahe hatten Arbeiter auf dem Fahrdamm ein Zelt aufgerichtet. Sie arbeiteten an den Stra?enbahnschienen. Die Geblase zischten, und Strome von Funken spruhten uber die ernsthaft gebeugten, dunklen Gestalten. Neben ihnen qualmten Kessel mit Teerasphalt wie Gulaschkanonen.

Wir hingen unseren Gedanken nach.

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