Das wirkte sofort. Es war Gottfrieds wunde Stelle. »Lange vor dem Kriege«, entschuldigte er sich. »Au?erdem, Baby, beim Rennen verruckt zu werden ist keine Schande. Was, Pat?«
»Verruckt sein ist uberhaupt keine Schande.«
Gottfried salutierte. »Ein gro?es Wort!«
Das Donnern der Motoren ubertonte alles Weitere. Die Luft bebte. Erde und Himmel bebten. Das Feld raste vorbei. »Vorletzter!« knurrte Lenz. »Das Biest hat beim Anfahren doch wieder gestottert.«
»Macht nichts«, sagte ich,»der Start ist Karls Schwache. Er zieht langsam ab, aber dann hort er uberhaupt nicht mehr auf.«
In das verklingende Tosen orgelten die Lautsprecher. Wir trauten unsern Ohren nicht: Burger, ein schwerer Konkurrent, war am Start stehengeblieben.
Die Wagen brummten heran. Sie zitterten in der Ferne wie Heuschrecken auf der Bahn, wurden gro?er und rasten auf der gegenuberliegenden Seite an den Tribunen vorbei in die gro?e Kurve. Es waren noch sechs, Koster immer noch an vorletzter Stelle. Wir hielten uns bereit. Hall und Widerhall schlugen starker und schwacher aus der Kurve. Dann scho? die Meute heraus. Einer vorweg – der zweite und dritte dicht hinter ihm, und dann Koster. Er war in der Kurve vorgegangen und fuhr jetzt als vierter.
Die Sonne kam aus den Wolken hervor. Breite Streifen Helle und Grau stromten uber die Bahn, die plotzlich von Licht und Schatten gefleckt war wie ein Tiger. Wolkenschatten wanderten uber die Menschenmenge auf den Tribunen. Der Motorensturm war uns allen ins Blut geschlagen wie eine ungeheure Musik. Lenz zappelte herum, ich kaute eine Zigarette zu Brei, und Patrice Hollmann witterte in die Luft wie ein Fohlen am fruhen Morgen. Nur Valentin und Grau sa?en friedlich da und lie?en sich von der Sonne bescheinen.
Wieder drohnte der ungeheure Herzschlag der Maschinen heran, an den Tribunen vorbei. Wir starrten zu Koster hinuber. Er schuttelte den Kopf; er wollte keine Reifen wechseln. Als er zuruckkam, hatte er etwas aufgeholt. Er hing dem dritten dicht am Hinterrad. So rasten sie in die unendliche Gerade.
»Verflucht!« Lenz nahm einen Schluck aus der Flasche.
»Er hat das trainiert«, sagte ich zu Patrice Hollmann. »In der Kurve 'rangehen ist seine Spezialitat.«
»Auch einen Schluck aus der Pulle, Pat?« fragte Lenz.
Ich sah ihn argerlich an. Er hielt, ohne zu blinzeln, meinen Blick aus.
»Lieber ein Glas«, sagte sie. »Aus der Flasche trinken habe ich noch nicht gelernt.«
»Da sieht man's!« Gottfried angelte nach dem Glas. »Das sind die Fehler der modernen Erziehung.«
In den folgenden Runden zog das Feld sich weiter auseinander. Braumuller fuhrte. Die ersten vier hatten allmahlich dreihundert Meter Vorsprung. Koster verschwand mit dem dritten Kuhler an Kuhler hinter der Tribune. Dann tobten die Wagen wieder heran. Wir sprangen auf. Wo war der dritte geblieben? Otto kam allein hinter den beiden anderen herangefegt. Da – endlich brummelte der dritte heran. Zerfetzte Hinterreifen. Lenz grinste schadenfroh; der Wagen hielt vor der Nebenbox. Der riesige Monteur fluchte. Eine Minute spater war die Maschine wieder flott. Die nachsten Runden anderten nichts am Klassement. Lenz legte die Stoppuhr beiseite und rechnete. »Karl hat noch Reserven«, verkundete er dann.
»Ich furchte, die andern auch«, sagte ich. »Kleinglaubiger!« Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. Auch in der vorletzten Runde schuttelte Koster den Kopf. Er wollte es riskieren, die Reifen nicht zu wechseln. Es war noch nicht so warm, da? sie es nicht hatten aushalten konnen.
Wie ein glasklares Tier lagerte die Spannung jetzt uber dem weiten Platz und den Tribunen, als die Wagen zum Endkampf ansetzten. »Fa?t alle Holz an«, sagte ich und umklammerte einen Hammerstiel. Lenz griff an meinen Kopf. Ich stie? ihn weg. Er grinste und fa?te an die Barriere.
Das Drohnen schwoll zum Brausen, das Brausen zum Heulen, das Heulen zum Donnern, zum hohen, pfeifenden Singen der mit hochsten Touren laufenden Wagen. Braumuller flog die Kurve hoch, dicht hinter ihm raste der zweite, er ging mit staubenden, knirschenden Hinterradern tiefer hinein, weiter innen, er wollte wahrscheinlich drinnen versuchen, unten vorbeizukommen. »Falsch!« schrie Lenz. Da scho? auch schon Koster hinterher, schwirrend stieg der Wagen bis zum au?ersten Rand empor, einen Augenblick erstarrten wir, es sah aus, als floge er daruber hinaus, dann brullte der Motor, und der Wagen sprang herum. »Er ist mit vollem Gas 'reingegangen!« rief ich. Lenz nickte. »Verruckt!«
Wir hingen weit uber der Barriere, fiebernd vor Aufregung, ob es gegluckt sei. Ich hob Patrice Hollmann auf die Kiste mit dem Werkzeug. »So sehen Sie besser! Stutzen Sie sich auf meine Schulter. Passen Sie auf, er wird auch den in der Kurve schnappen.«
»Er hat ihn!« rief sie. »Er ist schon vorbei!«
»Er geht an Braumuller 'ran! Himmelherrgott, heiliger Moses!« schrie Lenz jetzt,»er ist tatsachlich vorbei und geht an Braumuller 'ran.«
In einer Wolke von Gewittern fegten die drei Wagen heraus, heran, wir schrien wie die Verruckten, auch Valentin und Graus ungeheurer Ba? waren jetzt dabei – Koster war der Wahnsinn gegluckt, er hatte den zweiten in der Kurve von oben her uberholt, weil der sich verschatzt und im scharferen Bogen innen Fahrt verloren hatte, und jetzt stie? er wie ein Habicht auf Braumuller los, der plotzlich nur noch zwanzig Meter vor ihm lag und anscheinend Fehlzundungen hatte.
»Gib ihm, Otto! Gib ihm! Fri? den Nu?knacker«, brullten wir und winkten.
Die Wagen verschwanden in der letzten Kurve. Lenz betete laut zu allen Gottern Asiens und Sudamerikas um Hilfe und schwenkte sein Amulett. Ich ri? meins ebenfalls heraus. Patrice Hollmann stutzte sich auf meine Schulter, das Gesicht spahend weit nach vorn gereckt wie das Antlitz einer Gallionsfigur.
Da kamen sie heran. Braumullers Motor spuckte immer noch, er setzte alle Augenblicke wieder aus. Ich machte die Augen zu; Lenz drehte sich um, den Rucken zur Bahn – wir wollten das Schicksal bestechen. Ein Ruf ri? uns herum. Wir sahen gerade noch, wie Koster mit zwei Metern Vorsprung durchs Ziel ging.
Lenz wurde wahnsinnig. Er schleuderte das Werkzeug zur Erde und machte einen Handstand auf den Reifen.
»Wie sagten Sie vorhin?« brullte er, als er wieder senkrecht stand, zu dem herkulischen Monteur hinuber,»Klamotte?«
»Ach, Mensch, quak mich nicht an«, erwiderte der Monteur mi?mutig. Und zum erstenmal, seit ich ihn kannte, kriegte der letzte Romantiker bei einer Beleidigung keinen Wutanfall, sondern einen Veitstanz vor Lachen.
Wir warteten auf Otto. Er hatte noch bei der Rennleitung zu tun.
»Gottfried«, sagte auf einmal eine heisere Stimme hinter uns. Wir drehten uns um. Da stand ein menschliches Gebirge in zu engen, gestreiften Hosen, zu engem Marengojackett und schwarzer Melone.
»Alfons!« rief Patrice Hollmann.
»Personlich«, gab er zu.
»Wir haben gewonnen, Alfons!« rief sie.
»Heftig, heftig. Dann komm' ich wohl zu spat, was?«
»Du kommst nie zu spat, Alfons«, sagte Lenz.
»Wollte euch eigentlich was zu futtern bringen. Kalter Schweinebraten und etwas Pokelrippchen. Schon zugeschnitten.«
»Gib her und setz dich, du Goldjunge«, rief Gottfried. »Wir legen gleich los.«
Er machte das Paket auf. »Mein Gott«, sagte Patrice Hollmann,»das ist ja fur ein Regiment.«
»Kann man immer erst nachher entscheiden«, meinte Alfons. »Ubrigens – etwas Eiskummel ist auch da.«
Er holte zwei Flaschen heraus. »Propfen sind schon gezogen.«
»Heftig, heftig«, sagte Patrice Hollmann. Er blinzelte ihr wohlwollend zu.
Karl blubberte heran. Koster und Jupp sprangen heraus. Jupp sah aus wie ein junger Napoleon. Seine Ohren leuchteten wie Kirchenfenster. Er hatte einen entsetzlich geschmacklosen, riesigen Silberpokal in den Armen. »Der sechste«, sagte Koster lachend. »Da? den Leuten auch nie was anderes einfallt.«
»Nur den Milchtopf?« fragte Alfons sachlich. »Keinen cash?«
»Doch«, beruhigte ihn Otto,»auch cash.«
»Dann schwimmen wir ja geradezu in Geld«, sagte Grau.
»Scheint ein netter Abend zu werden.«
»Bei mir?« fragte Alfons.
»Ehrensache«, erwiderte Lenz.
»Erbsensuppe mit Schweinebauch, Pfoten und Ohren«, sagte Alfons, und sogar Patrice Hollmann machte ein Gesicht voll Hochachtung. »Gratis naturlich«, fugte er hinzu.