»Gewi?…«
Er stand herum und schien sich nicht entschlie?en zu konnen, abzufahren. Ich erwartete, da? er noch irgendwas umsonst einzuhandeln versuchen wurde, einen Wagenheber, einen Aschenbecher oder etwas Ahnliches.
Aber es kam anders. Er schnaufte eine Weile herum, sah mich dann aus seinen rotgeaderten Augen an und sagte:»Wenn man so denkt – da hat sie nun vor ein paar Wochen noch gesund und munter drin gesessen…«
Ich war etwas erstaunt, ihn so plotzlich weich zu sehen, und vermutete, da? ihm das flinke schwarze Luder, das er zuletzt bei sich gehabt hatte, bereits auf die Nerven ging. Arger macht ja die Leute leichter sentimental als Liebe.
»War eine gute Frau«, fuhr er fort,»eine Seele von Frau. Nie verlangte sie was. Zehn Jahre lang hat sie denselben Mantel getragen. Blusen und so was schneiderte sie sich alles selbst. Und das Haus machte sie ganz allein – ohne Madchen.«
Aha, dachte ich, das machte die Neue wahrscheinlich alles nicht. Der Backer begann sich auszusprechen. Er erzahlte mir, wie sparsam die Frau gewesen sei. Es war merkwurdig, wie geruhrt die Erinnerung an gespartes Geld diesen versoffenen Kegelbruder machte. Nicht einmal richtig fotografieren hatte sie sich lassen, es sei ihr zu teuer gewesen. So hatte er nur ein Bild von der Hochzeit und ein paar kleine Momentaufnahmen von ihr.
Das brachte mich auf einen Gedanken. »Sie sollten sich ein schones Bild von Ihrer Frau malen lassen«, sagte ich. »Dann haben Sie fur immer was. Fotografien verbleichen mit der Zeit. Es gibt hier einen Kunstler, der das macht.«
Ich erklarte ihm Ferdinand Graus Tatigkeit. Er wurde sofort mi?trauisch und meinte, das sei wohl sehr teuer. Ich beruhigte ihn – wenn ich mitginge, bekame er einen Sonderpreis. Er versuchte, sich zu drucken. Aber ich lie? ihn nicht los und erklarte, wenn er so an der Frau hinge, durfe ihm das nicht zuviel sein. Schlie?lich war er bereit. Ich rief Ferdinand Grau an und sagte ihm Bescheid. Dann fuhr ich mit dem Backermeister los, um die Fotografien der Frau abzuholen.
Die schwarze Person sturzte uns aus dem Laden entgegen. Sie umkreiste den Ford. »Rot ware schoner gewesen, Puppi!
Aber du mu?test naturlich deinen Kopf durchsetzen.«
»Nu la? mal«, sagte Puppi verdrossen.
Wir gingen in die gute Stube hinauf. Die Schwarze folgte uns. Ihre flinken Augen waren uberall. Der Backer wurde nervos. Er wollte vor ihren Augen die Fotografien nicht suchen. »La? uns mal allein«, sagte er schlie?lich grob.
Herausfordernd mit den Brusten unter dem straff gezogenen Jumper wippend, drehte sie sich heraus. Der Backer holte aus einem grunen Pluschalbum ein paar Bilder hervor und zeigte sie mir. Die Frau als Braut, er daneben mit hochgewichstem Schnurrbart, da lachte sie noch – dann ein anderes, auf dem sie schmal, verarbeitet, mit angstlichen Augen auf der Kante eines Stuhles sa?. Nur zwei kleine Bilder – aber ein ganzes Leben. »Das geht«, sagte ich. »Danach kann er alles machen.«
Ferdinand Grau empfing uns in einem Gehrock. Er sah wurdig und feierlich aus. Das gehorte zu seinem Geschaft. Er wu?te, da? vielen Trauernden der Respekt vor ihrem Schmerz wichtiger war als der Schmerz selbst.
An den Wanden des Ateliers hingen einige stattliche Olportrats in goldenen Rahmen; darunter die kleinen dazugehorigen Fotografien. Jeder Kunde konnte dadurch sofort sehen, was selbst aus einer verwischten Momentaufnahme zu machen war. Ferdinand fuhrte den Backermeister herum und fragte ihn, welche Art ihm am besten gefiele. Der Backer fragte zuruck, ob die Preise sich nach der Gro?e richteten. Ferdinand erklarte, es ginge nicht nach dem Quadratmeter, sondern nach der Ausfuhrung. Darauf gefiel dem Backer das gro?te am besten.
»Sie haben einen guten Geschmack«, lobte Ferdinand,»das Bild ist ein Portrat der Prinzessin Borghese. Es kostet achthundert Mark. Mit Rahmen.«
Der Backer zuckte zusammen. »Und ohne Rahmen?«
»Siebenhundertzwanzig.« Der Backer bot vierhundert Mark.
Ferdinand schuttelte den Lowenschadel. »Fur vierhundert Mark konnen Sie hochstens ein Kopfbild im Profil haben. Aber nicht ein Kniestuck en face. Das ist doppelte Arbeit.« Der Backer meinte, ein Kopfbild im Profil genuge. Ferdinand machte ihn darauf aufmerksam, da? beide Fotos von vorn aufgenommen seien. Danach konne selbst Tizian kein Profilbild malen. Der Backer schwitzte; man sah ihm die Verzweiflung daruber an, damals beim Fotografieren nicht umsichtig genug gewesen zu sein. Er mu?te zugeben, da? Ferdinand recht hatte – en face mu?te er ein halbes Gesicht mehr malen als im Profil. Der hohere Preis war gerechtfertigt. Er schwankte machtig. Ferdinand war bis dahin ziemlich zugeknopft gewesen; jetzt begann er zu uberreden. Sein machtiger Ba? rollte gedampft durchs Atelier. Als Fachmann mu?te ich sagen, da? er ein tadelloses Stuck Arbeit leistete. Der Backer war auch bald reif – besonders, als Ferdinand ihm die Wirkung eines so pomposen Bildes auf ubelwollende Nachbarn ausmalte.
»Gut«, sagte er,»aber zehn Prozent Rabatt bei Barzahlung.«
»Einverstanden«, erwiderte Ferdinand,»zehn Prozent Rabatt, und als Anzahlung fur meine Auslagen, Farben und Leinwand, dreihundert Mark.«
Sie redeten noch eine Zeitlang hin und her, dann wurden sie einig und besprachen die Ausfuhrung. Der Backer wollte eine Perlenkette und eine goldene Brosche mit Diamanten extra dazu gemalt haben. Sie waren auf den Fotos nicht zu sehen.
»Selbstverstandlich«, erklarte Ferdinand,»der Schmuck Ihrer Gattin wird mitgemalt. Am besten ist, Sie bringen ihn mir einmal fur eine Stunde her, damit er moglichst naturgetreu wird.«
Der Backer wurde rot. »Ich habe ihn nicht mehr da. Er ist – ich habe ihn bei Verwandten.«»Ach so. Na, dann geht es auch so. Sah die Brosche ahnlich aus wie die auf dem Bilde druben?«
Der Backer nickte. »Nicht ganz so gro?.«
»Schon. Dann werden wir sie so machen. Die Kette brauchen wir ohnehin nicht. Perlen sehen ja alle ahnlich aus.« Der Backer atmete auf. »Und wann ist das Bild fertig?«»In sechs Wochen.«»Gut.« Der Backer verabschiedete sich.
Ferdinand und ich sa?en noch eine Weile allein im Atelier.
»Sechs Wochen brauchst du dazu?« fragte ich.
»Ach wo. Vier, funf Tage; das kann ich dem aber doch nicht sagen, sonst rechnet er aus, was ich pro Stunde verdiene, und fuhlt sich betrogen. Bei sechs Wochen ist er zufrieden. Ebenso wie bei der Prinzessin Borghese. Das ist die menschliche Natur, lieber Robby. Wurde ich ihm sagen, es sei ein Nahmadchen, so ware ihm sein Bild weniger wert. Es ist ubrigens das sechstemal, da? verstorbene Frauen den gleichen Schmuck gehabt haben wie druben auf dem Bild. So spielt der Zufall. Ein fabelhaft anregendes Reklamestuck, das Portrat der guten Luise Wolff.«
Ich sah mich um. Von den Wanden starrten aus unbeweglichen Gesichtern Augen herab, die langst im Grabe moderten. Es waren Bilder, die von den Angehorigen nicht abgenommen oder nicht bezahlt worden waren. Alles Menschen, die einmal gehofft und geatmet hatten. »Macht dich das hier nicht allmahlich melancholisch, Ferdinand?«
Er zuckte die Achseln. »Nein, hochstens zynisch. Melancholisch wird man, wenn man uber das Leben nachdenkt – zynisch, wenn man sieht, wie die meisten damit fertig werden.«
»Na, bei manchen geht's doch auch tiefer…«
»Gewi?. Aber die lassen keine Bilder malen.«
Er stand auf. »Ist auch ganz gut so, Robby, da? sie immer noch ihren wichtigen Kleinkram haben, der sie halt und schutzt. Alleinsein – richtig Alleinsein, ohne jede Illusion -, das kommt kurz vor Wahnsinn und Selbstmord.«
Der gro?e kahle Raum schwamm im halben Dammerlicht. Nebenan horte man leise Schritte hin und her gehen. Es war die Haushalterin. Sie lie? sich nie sehen, wenn einer von uns da war. Sie ha?te uns, weil sie glaubte, wir hetzten Grau gegen sie auf.
Ich ging. Unten kam der Schwall und Larm der Stra?e mir wie ein warmes Bad entgegen.