Ich wei?, da? sie dort gewesen ist. Der Reisende von Hollmann und Klotz, Tranen-Oskar, hat es mir erzahlt. Wir haben ihn kurzlich getroffen und versucht, ihn zum Verrater zu machen. Er schwankt noch, aber wir haben ihm hohere Prozente angeboten als Hollmann und Klotz, und um sich wahrend der Bedenkzeit freundlich zu erweisen, arbeitet er einstweilen fur uns als Spion.»Zeigen Sie mir Ihre Zeichnungen!«be?ehlt Frau Niebuhr wie eine Herzogin.
Wir haben keine, aber ich hole ein paar Kriegerdenkmalsentwurfe hervor. Sie sind effektvoll, einundeinhalb Meter hoch, mit Kohle und bunter Kreide gezeichnet und mit stimmungsvollem Hintergrund geschmuckt.
»Ein Lowe«, sagt Frau Niebuhr.»Er war wie ein Lowe! Aber wie ein springender, nicht wie ein sterbender. Es mu?te ein springender Lowe sein.«
»Wie ware es mit einem springenden Pferd?«frage ich.»Unser Bildhauer hat darin vor einigen Jahren den Wanderpreis von Berlin-Teplitz gewonnen.«
Sie schuttelt den Kopf.»Ein Adler«, sagt sie nachdenklich.
»Ein wirkliches Mausoleum sollte eine Art Kapelle sein«, erklare ich.»Bunte Scheiben wie eine Kirche, ein Marmorsarkophag mit einem bronzenen Lorbeerkranz, eine Marmorbank zum Ausruhen und zum stillen Gebet fur Sie, rundherum Blumen, Zypressen, Kieswege, ein Vogelbad fur unsere ge?ederten Sanger, eine Grabeinfassung von niedrigen Granitsaulen und Bronzeketten, eine schwere Eisentur mit dem Monogramm, dem Familienwappen oder dem Wahrzeichen der Backerinnung -«
Frau Niebuhr lauscht, als spiele Moritz Rosenthal ein Nocturne von Chopin.»Klingt ganz gut«, sagt sie dann.»Aber haben Sie nicht etwas Originelles?«
Ich starre sie argerlich an. Sie starrt kalt zuruck – das Urbild des ewigen Kunden mit Geld.
»Es gibt schon originelle Sachen«, erwidere ich sanft und giftig.»Zum Beispiel solche wie auf dem Campo Santo in Genua. Unser Bildhauer hat dort jahrelang gearbeitet. Eines der Glanzstucke ist von ihm – eine weinende Frauengestalt, uber einen Sarg gebeugt, im Hintergrund der auferstandene Tote, der von einem Engel himmelwarts gefuhrt wird. Der Engel sieht zuruck und segnet mit der freien Hand die trauernde Hinterbliebene. Alles das in wei?em carrarischem Marmor, der Engel entweder mit angelegten oder ausgebreiteten Flugeln -«
»Ganz nett. Was gibt es sonst noch?«
»Man stellt hau?g auch den Beruf des Verschiedenen dar. Man konnte zum Beispiel einen Backermeister beim Brotkneten aushauen. Hinter ihm steht der Tod und tippt ihm auf die Schulter. Der Tod kann mit oder ohne Sense gezeigt werden, entweder in ein Bahrtuch gekleidet, oder aber nackt, das hei?t in diesem Falle als Gerippe, eine sehr schwierige bildhauerische Leistung, besonders bei den Rippen, die ja einzeln sehr vorsichtig ausgemei?elt werden mussen, damit sie nicht brechen.«
Frau Niebuhr schweigt, als erwarte sie mehr.»Die Familie kann naturlich auch noch hinzugefugt werden«, fahre ich fort.»Betend zur Seite oder schreckerfullt dem Tode wehrend. Das sind aber Objekte, die in die Billionen gehen und ein oder zwei Jahre Arbeit erfordern. Ein gro?er Vorschu? und Ratenzahlungen waren dazu unerla?lich.«
Ich habe plotzlich Angst, da? sie einen der Vorschlage annehmen konnte. Kurt Bach kann hochstens einen windschiefen Engel modellieren; aber viel weiter geht seine Kunst nicht. Immerhin, zur Not konnten wir die Bildhauerarbeiten anderswo bestellen.
»Und sonst?«fragt Frau Niebuhr unerbittlich.
Ich uberlege, ob ich diesem unbarmherzigen Teufel etwas von dem Grabmal in Form eines Sarkophags erzahlen soll, dessen Deckel sich etwas verschoben hat und aus dem eine skelettige Hand herausgreift – aber ich lasse es. Unsere Positionen sind zu ungleich; sie ist der Kaufer und ich bin der Verkaufer, sie kann mich schikanieren, ich sie nicht – denn vielleicht kauft sie doch etwas.
»Das ware alles fur den Augenblick.«
Frau Niebuhr wartet noch einen Moment.»Wenn Sie weiter nichts haben, mu? ich zu Hollmann und Klotz gehen.«
Sie sieht mich mit ihren Kaferaugen an. Den Trauerschleier hat sie uber den schwarzen Hut emporgeschlagen. Sie erwartet, da? ich jetzt ein wildes Theater mache. Ich tue es nicht.»Sie werden uns damit ein Vergnugen machen«, erklare ich statt dessen kalt.»Es ist unser Prinzip, die Konkurrenz heranzuziehen, damit man sieht, wie leistungsfahig unsere Firma ist. Bei Auftragen mit so viel Bildhauerarbeit kommt es naturlich sehr auf den Kunstler an, sonst hat man plotzlich, wie kurzlich bei der Arbeit eines unserer Konkurrenten, dessen Namen ich verschweigen mochte, einen Engel mit zwei linken Fu?en. Auch schielende Mutter Gottes sind schon dagewesen und ein Christus mit elf Fingern. Als man es merkte, war es dann zu spat.«
Frau Niebuhr la?t den Schleier herunter wie einen Theatervorhang.»Ich werde schon aufpassen!«
Ich bin uberzeugt, da? sie das tun wird. Sie ist ein gieriger Genie?er ihrer Trauer und schlurft sie in vollen Zugen. Es wird noch lange dauern, bis sie etwas bestellt; denn solange sie sich nicht entscheidet, kann sie alle Grabsteingeschafte drangsalieren – nachher aber nur noch das eine, bei dem sie bestellt hat. Sie ist jetzt gewisserma?en noch ein ?otter Junggeselle der Trauer – spater ist sie wie ein verheirateter Mann, der treu sein mu?.
Der Sargtischler Wilke kommt aus seiner Werkstatt. In seinem Schnurrbart hangen Hobelspane. Er halt ein Kistchen appetitlicher Kieler Sprotten in der Hand und i?t sie schmatzend.
»Wie denken Sie uber das Leben?«frage ich ihn.
Er halt an.»Morgens anders als abends, im Winter anders als im Sommer, vor dem Essen anders als nachher, und in der Jugend wahrscheinlich anders als im Alter.«
»Richtig. Endlich eine vernunftige Antwort!«
»Na schon, wenn Sie es wissen, weshalb fragen Sie denn noch?«
»Fragen bildet. Au?erdem frage ich morgens anders als abends, im Winter anders als im Sommer, und vor dem Beischlaf anders als nachher.«
»Nach dem Beischlaf«, sagt Wilke.»Richtig, da ist immer alles anders! Das hatte ich ganz vergessen.«
Ich verbeuge mich vor ihm wie vor einem Abt.»Gratuliere zur Askese! Sie haben den Stachel des Fleisches also schon uberwunden! Wer auch soweit ware!«
»Unsinn! Ich bin nicht impotent. Aber die Weiber sind komisch, wenn man Sargtischler ist. Grauen sich. Wollen nicht in die Werkstatt rein, wenn ein Sarg drinsteht. Nicht einmal, wenn man Berliner Pfannkuchen und Portwein auftischt.«
»Wo auftischt?«frage ich.»Auf dem unfertigen Sarg? Auf dem polierten doch sicher nicht; Portwein macht Ringe.«
»Auf der Fensterbank. Auf dem Sarg kann man sitzen. Dabei ist es doch noch gar kein Sarg. Ein Sarg wird es erst, wenn ein Toter drin liegt. Bis dahin ist es nur ein Stuck Tischlerarbeit.«
»Stimmt. Aber es ist schwer, das immer auseinanderzuhalten!«
»Es kommt darauf an. Einmal, in Hamburg, hatte ich eine Dame, der war es egal. Es machte ihr sogar Spa?. Sie war scharf drauf. Ich fullte den Sarg halbvoll mit weichen wei?en Hobelspanen aus Tanne, die riechen immer so romantisch nach Wald. Alles ging gut. Wir hatten machtigen Spa?, bis sie wieder herauswollte. Da war irgendwo noch etwas von dem verdammten Leim an einer Stelle auf dem Boden nicht ganz trocken gewesen, die Hobelspane hatten sich verschoben, und die Haare der Dame waren in den Leim geraten und festgeklebt. Sie ruckte ein paarmal, und dann ging das Schreien los. Sie glaubte, es waren Tote, die sie bei den Haaren festhielten. Sie schrie und schrie, und Leute kamen, mein Meister auch, sie wurde freigemacht, und ich ?og aus meiner Stellung heraus. Schade – es hatte eine schone Beziehung werden konnen; das Leben ist nicht leicht fur unsereins.«
Wilke wirft mir einen wilden Blick zu, grinst kurz und scharrt genu?voll in seinem Kistchen, ohne es mir anzubieten.»Ich kenne zwei Falle von Sprottenvergiftung«, sage ich.»Das ist ein grauenhafter, langwieriger Tod.«
Wilke winkt ab.»Diese hier sind frisch gerauchert. Und sehr zart. Eine Delikatesse. Ich teile sie mit Ihnen, wenn Sie mir ein nettes, unvoreingenommenes Madchen verschaffen – so wie die mit dem Sweater, die Sie jetzt ofter abholen kommt.«
Ich starre den Sargtischler an. Er meint zweifellos Gerda. Gerda, auf die ich gerade warte.»Ich bin kein Madchenhandler«, sage ich scharf.»Aber ich will Ihnen einen Rat geben. Fuhren Sie Ihre Damen anderswohin und nicht gerade in Ihre Werkstatt.«