Baby?«
Ich starre sie an. Was ist hier los? denke ich. Ist das noch dieselbe Person, mit der ich gestern im Gartenrestaurant»Zur schonen Aussicht«fur bescheidene funftausend Mark Butterbrote mit dicker Milch gegessen und uber den Zauber des einfachen Lebens gesprochen habe?»Eduard ist fett, schmutzig und unheilbar geizig«, erklare ich fest.»Und ich wei? das seit vielen Jahren.«
Der Frauenkenner Riesenfeld hat mir einmal gesagt, diese Kombination schrecke jede Frau ab. Aber Gerda scheint keine gewohnliche Frau zu sein. Sie mustert die gro?en Kronleuchter, die wie durchsichtige Stalaktiten von der Decke hangen, und bleibt beim Thema.»Wahrscheinlich braucht er jemand, der auf ihn achtgibt. Nicht wie eine Henne naturlich! Er scheint jemand zu brauchen, der seine guten Eigenschaften wurdigt.«
Ich bin jetzt offen alarmiert. Geht mein friedliches Zweiwochengluck bereits auf Wanderschaft? Wozu mu?te ich es auch an die Statte des Silbers und Kristalls schleppen!
»Eduard hat keine guten Eigenschaften«, sage ich.
Gerda lachelt wieder.»Jeder Mann hat welche. Man mu? sie ihm nur klarmachen.«
In diesem Augenblick erscheint zum Gluck der Kellner Freidank und tragt pompos auf einer silbernen Platte eine Pastete heran.»Was ist denn das?«frage ich.
»Leberpastete«, erklart Freidank hochmutig.
»Auf dem Menu steht aber doch Kartoffelsuppe!«
»Dies ist das Menu, das Herr Knobloch selbst bestimmt haben«, sagt Freidank, der ehemalige Fouriergefreite, und teilt zwei Stucke ab – ein dickes fur Gerda, ein dunnes fur mich.»Oder wollen Sie lieber die verfassungsgema?e Kartoffelsuppe?«erkundigt er sich kordial.»Kann gemacht werden.«
Gerda lacht. Ich will gerade, erbost uber den billigen Versuch Eduards, sie mit Fressen zu kapern, die Kartoffelsuppe verlangen, als Gerda mich unter dem Tisch ansto?t. Uber dem Tisch wechselt sie grazios die Teller und gibt mir das gro?te Stuck.»So gehort sich das«, sagt sie zu Freidank.»Ein Mann mu? immer das gro?te Stuck haben. Oder nicht?«
»Das schon«, stottert Freidank, plotzlich verwirrt.»Zu Hause – aber hier -«Der ehemalige Gefreite wei? nicht, was er machen soll. Er hat den Befehl von Eduard erhalten, Gerda ein generoses Stuck, mir aber ein Scheibchen zu geben, und er hat ihn ausgefuhrt. Jetzt sieht er, da? das Gegenteil daraus geworden ist, und er bricht nahezu zusammen, da er auf einmal selbst die Verantwortung dafur ubernehmen mu?, was er jetzt tun soll. Das ist in unserm geliebten Vaterlande nicht beliebt. Auf Befehl reagieren wir prompt, das haben wir nun seit Jahrhunderten in unserem stolzen Blut – aber selbst zu entscheiden, das ist eine andere Sache. Freidank tut das einzige, was er kennt: er blickt um Hilfe nach seinem Meister aus und hofft auf einen neuen Befehl.
Eduard erscheint.»Servieren Sie, was stehen Sie herum?«
Ich greife nach meiner Gabel und hacke rasch ein Stuck aus der Pastete, die vor mir steht, gerade als Freidank, getreu seinem ersten Befehl, die Teller wieder umtauschen will.
Freidank erstarrt. Gerda prustet los. Eduard, beherrscht wie ein Feldherr, ubersieht die Situation, schieb Freidank beiseite, schneidet ein zweites gutes Stuck von der Pastete ab, legt es mit Schwung Gerda vor und fragt mich sauersu?:»Schmeckt’s?«
»Es geht«, erwidere ich.»Schade, da? es keine Ganseleber ist.«
»Es ist Ganseleber.«
»Sie schmeckt wie Kalbsleber.«
»Hast du je in deinem Leben Ganseleber gegessen?«
»Eduard«, erwidere ich.»Ich hab‘ sogar Ganseleber gekotzt, soviel habe ich gegessen.«
Eduard lacht durch die Nase.»Wo?«fragt er verachtlich.
»In Frankreich, beim Vormarsch, wahrend meiner Erziehung zum Mann. Wir haben damals einen ganzen Laden voll Ganseleber erobert. In Terrinen, von Stra?burg, mit schwarzen Truffeln aus Perigord, die in deiner hier fehlen. Du schaltest damals in der Kuche Kartoffeln.«
Ich erzahle nicht, da? mir schlecht geworden ist, weil wir auch noch die Besitzerin des Ladens gefunden hatten – ein altes Frauchen, das in Fetzen an den Resten der Wande klebte, der graue Kopf abgerissen und am Haken eines Ladenregals aufgespie?t, wie von einem barbarischen Stamm an einer Lanze.
»Und wie schmeckt es Ihnen?«fragt Eduard Gerda im schmelzenden Ton eines Frosches, der ?ott an den dunklen Teichen der Weltschwermut hockt.
»Gut«, erwidert Gerda und haut ein.
Eduard macht eine weltmannische Verbeugung und weht davon wie ein tanzender Elefant.»Siehst du«, sagt Gerda und strahlt mich an.»So geizig ist er gar nicht.«
Ich lege meine Gabel nieder.»Hore, du von Sagespanen umwehtes Zirkuswunder«, erwidere ich.»Du siehst einen Menschen vor dir, dessen Stolz noch schwer verletzt ist, um in Eduards Jargon zu reden, weil ihm eine Dame mit einem reichen Schieber durchgegangen ist. Willst du nun, um wieder Eduards Barockprosa zu kopieren, siedendes Oel in die noch nicht verheilten Wunden gie?en und mir dasselbe noch einmal vormachen?«
Gerda lacht und i?t.»Rede keinen Unsinn, Schatz«, erklart sie mit vollen Backen.»Und sei keine beleidigte Leberwurst. Werde noch reicher als die andern, wenn es dich argert.«
»Ein schoner Rat! Wie soll ich das machen? Zaubern?«
»So wie die andern. Die haben es doch auch geschafft.«
»Eduard hat dieses Hotel geerbt«, sage ich bitter.
»Und Willy?«
»Willy ist ein Schieber.«
»Was ist ein Schieber?«
»Ein Mann, der die Konjunktur ausnutzt. Der mit allem handelt, von Heringen bis zu Stahlaktien. Der Geschafte macht, wo er kann, mit was er kann, wie er kann, wenn er nur gerade noch am Gefangnis vorbeikommt.«
»Na, siehst du!«sagt Gerda und greift nach dem Rest der Pastete.
»Findest du, ich sollte auch einer werden?«
Gerda zerkracht ein Brotchen zwischen ihren gesunden Zahnen.»Werde einer oder werde keiner. Aber argere dich nicht, wenn du keiner werden willst und die andern es sind. Schimpfen kann jeder, Schatz!«
»Stimmt«, sage ich perplex und plotzlich stark ernuchtert. Eine Menge Seifenblasen scheinen auf einmal in meinem Gehirn zu platzen. Ich sehe Gerda an. Sie hat eine ver?ucht realistische Art, die Dinge zu betrachten.
»Du hast eigentlich wirklich recht«, sage ich.
»Naturlich habe ich recht. Aber sieh mal, was da erscheint: Glaubst du, das ist auch fur uns?«
Es ist fur uns. Ein gebratenes Huhn und Spargel dazu. Ein Essen fur Munitionsfabrikanten. Eduard uberwacht die Sache selbst. Er la?t Freidank tranchieren.»Die Brust fur Madame«, kommandiert er.
»Ich nehme lieber ein Bein«, sagt Gerda.
»Ein Bein und ein Stuck Brust fur Madame«, erklart Eduard galant.
»Immer zu«, erwidert Gerda.»Sie sind ein Kavalier, Herr Knobloch! Ich wu?te es doch!«
Eduard schmunzelt selbstgefallig. Ich verstehe nicht, wozu er das ganze Theater auffuhrt. Da? Gerda ihm so gefallt, da? er derartige Opfer bringt, kann ich nicht glauben; eher, da? er aus Wut uber unsere E?marken versucht, sie mir wegzuschnappen. Ein Racheakt ausgleichender Gerechtigkeit also.
»Freidank«, sage ich.»Nehmen Sie das Gerippe von meinem Teller. Ich esse keine Knochen. Geben Sie mir dafur das zweite Bein. Oder handelt es sich bei eurem Huhn um ein amputiertes Kriegsopfer?«
Freidank schaut wie ein Schaferhund auf seinen Herrn.
»Das ist doch das Leckerste«, erklart Eduard.»Die Brustknochen sind delikat zum Abknabbern.«
»Ich bin kein Knabberer. Ich bin ein Esser.«
Eduard zuckt seine dicken Schultern und gibt mir zogernd das zweite Bein.
»Mochtest du nicht lieber etwas Salat?«fragt er.»Spargel sind sehr schadlich fur Trunkenbolde.«
»Gib mir die Spargel. Ich bin ein moderner Mensch und habe einen starken Hang zur Selbstzerstorung.«
Eduard entschwebt wie ein Gummirhinozeros. Mir kommt plotzlich ein Einfall.»Knobloch!«schnauze ich im Generalston Renee de la Tours hinter ihm her.
Er schie?t herum, wie von einer Lanze in den Rucken getroffen.»Was soll das?«fragt er mich wutend.
»Was?«
»So zu brullen.«