»Brullen? Wer brullt hier au?er dir? Oder ist es zuviel, wenn Mi? Schneider etwas Salat haben mochte? Dann biete ihn nicht vorher an!«
Eduards Augen werden enorm. Man sieht einen ungeheuren Verdacht in ihnen aufsteigen und zur Gewi?heit werden.
»Sie -«fragt er Gerda.»Sie haben mich gerufen?«
»Wenn Salat da ist, nehme ich gerne welchen«, erklart Gerda, die nicht errat, was vorgeht. Eduard steht immer noch am Tisch. Er glaubt jetzt fest, da? Gerda die Schwester Renee de la Tours ist. Ich kann sehen, wie er die Leberpastete, das Huhn und die Spargel bereut. Er hat den Eindruck, grauenhaft hereingelegt zu sein.»Es war Herr Bodmer«, sagt Freidank, der herangeschlichen ist.»Ich habe es gesehen.«
Aber Freidanks Worte verhallen ungehort bei Eduard.
»Antworten Sie nur, wenn Sie gefragt werden, Kellner«, sage ich nachlassig zu ihm.»Das sollten Sie bei den Preu?en gelernt haben! Und nun gehen Sie und schutten Sie weiter ahnungslosen Leuten Gulaschsaft in den Nacken. Du aber, Eduard, erklare mir, ob dieses herrliche Essen eine Einladung war, oder ob du dafur unsere Marken kassieren willst?«
Eduard sieht aus, als ob er einen Schlaganfall kriegen wird.»Gib die Marken her, Schuft«, sagt er dumpf.
Ich trenne sie ab und lege die Papierstuckchen auf den Tisch.»Wer hier der Schuft war, steht sehr zur Debatte, du verhinderter Don Juan«, sage ich.
Eduard nimmt die Marken nicht selbst auf.»Freidank«, sagt er, diesmal tonlos vor Wut.»Werfen Sie diese Fetzen in den Papierkorb.«
»Halt«, sage ich und greife nach dem Menu.»Wenn wir schon zahlen, haben wir noch das Recht auf ein Dessert. Was mochtest du, Gerda? Rote Grutze oder Kompott?«
»Was empfehlen Sie, Herr Knobloch?«fragt Gerda, die nicht wei?, was fur ein Drama in Eduard vorgegangen ist.
Eduard macht eine verzweifelte Geste und geht ab.»Also Kompott!«rufe ich ihm nach.
Er zuckt kurz und geht dann weiter, als schliche er uber Eier. Jede Sekunde erwartet er die Kasernenhofstimme.
Ich uberlege, verzichte aber dann darauf, als noch wirksamere Taktik.»Was ist auf einmal hier los?«fragt die ahnungslose Gerda.
»Nichts«, erwidere ich unschuldig und teile das Huhnerskelett zwischen uns auf.»Lediglich ein kleines Muster fur die These des gro?en Clausewitz uber Strategie: Greife den Gegner an, wenn er glaubt, gesiegt zu haben, und dann da, wo er es am wenigsten vermutet.«
Gerda nickt verstandnislos und i?t ihr Kompott, das Freidank respektlos vor uns hinschmei?t. Ich sehe ihr gedankenvoll zu und beschlie?e, sie nie wieder in das»Walhalla«zu fuhren und von nun an dem eisernen Gesetz Georgs zu folgen: Zeige einer Frau nichts Neues, dann will sie auch nicht dahin und lauft dir nicht weg.
Es ist Nacht. Ich lehne in meiner Bude am Fenster. Der Mond scheint, der schwere Geruch des Flieders weht aus den Garten, und ich bin vor einer Stunde aus dem Altstadter Hof nach Hause gekommen. Ein verliebtes Paar huscht die Stra?enseite entlang, die im Mondschatten liegt, und verschwindet in unserm Garten. Ich tue nichts dagegen; wer selbst nicht durstet, ist friedfertig, und die Nachte sind jetzt unwiderstehlich. Damit nichts passiert, habe ich allerdings vor einer Stunde an die beiden kostbaren Kreuzdenkmaler ein Schild gehangt mit der Aufschrift:»Achtung! Kann umfallen! Zerschmettert die Zehen!«Aus irgendwelchen Grunden bevorzugen namlich die Liebenden die Kreuze, wenn der Boden zu feucht ist; wahrscheinlich, weil sie sich besser daran festhalten konnen, obschon man glauben konnte, da? mittlere Hugelsteine ebenso vorteilhaft waren. Ich hatte den Gedanken, ein zweites Schild mit einer Empfehlung dafur aufzuhangen, habe es aber nicht getan. Frau Kroll ist manchmal fruh auf, und sie wurde mich, bei aller Toleranz, ohrfeigen wegen Frivolitat, bevor ich ihr erklaren konnte, da? ich vor dem Kriege ein pruder Mensch war – eine Eigenschaft, die mir bei der Verteidigung unseres geliebten Vaterlandes abhanden gekommen ist.
Plotzlich sehe ich eine quadratische Gestalt schwarz durch den Mondschein heranstampfen. Ich erstarre. Es ist der Ro?schlachter Watzek. Er verschwindet in seiner Wohnung, zwei Stunden zu fruh. Vielleicht sind ihm die Gaule ausgegangen; Pferde?eisch ist heute ein sehr beliebter Artikel. Ich beobachte die Fenster. Sie werden hell, und Watzeks Schatten spukt umher. Ich uberlege, ob ich Georg Kroll Bescheid sagen soll; aber es ist ein undankbares Geschaft, Liebende zu storen, und au?erdem kann es sein, da? Watzek, ohne nachzudenken, schlafen geht. Das scheint aber nicht so zu werden. Der Schlachter offnet das Fenster und starrt rechts und links die Stra?e entlang. Ich hore ihn schnaufen. Er schlie?t die Laden, und nach einer Weile erscheint er vor der Tur, einen Stuhl in der Hand, sein Fleischermesser im Stiefelschaft. Er setzt sich auf den Stuhl, und es sieht aus, als ob er auf Lisas Ruckkehr warten will. Ich schaue auf die Uhr; es ist halb zwolf. Die Nacht ist warm, und Watzek kann es Stunden drau?en aushalten. Lisa dagegen ist schon ziemlich lange bei Georg; das heisere Fauchen der Liebe ist bereits verstummt, und wenn sie dem Schlachter in die Arme lauft, wird sie zwar eine glaubhafte Erklarung ?nden, und er wird wahrscheinlich darauf hereinfallen – aber besser ist es doch, wenn das nicht passiert.
Ich schleiche hinunter und klopfe den Anfang des Hohenfriedberger Marsches an Georgs Tur. Sein kahler Kopf erscheint. Ich berichte, was los ist.»Verdammt«, sagte er.»Sieh zu, da? du ihn dort wegbringst.«
»Um diese Zeit?«
»Versuch es! La? deinen Charme spielen.«
Ich schlendere nach drau?en, gahne, bleibe stehen und wandere dann zu Watzek hinuber.»Schoner Abend«, sage ich.
»Schoner Abend, Schei?e«, erwidert Watzek.
»Das auch«, gebe ich zu.
»Es wird nicht mehr lange dauern«, sagt Watzek plotzlich scharf.
»Was?«
»Was? Sie wissen das doch genau! Die Schweinerei! Was sonst?«
»Schweinerei?«frage ich alarmiert.»Wieso?«
»Na, was sonst? Finden Sie das etwa nicht?«
Ich blicke auf das Messer im Stiefel und sehe Georg bereits mit durchschnittener Kehle zwischen den Denkmalern liegen. Lisa naturlich nicht; das ist die alte Idiotie des Mannes.»Wie man es nimmt«, sage ich diplomatisch. Ich verstehe nicht ganz, weshalb Watzek nicht langst in Georgs Fenster geklettert ist. Es liegt im Parterre und ist offen.
»Das alles wird bald anders werden«, erklart Watzek grimmig.»Blut wird ?ie?en. Die Schuldigen werden bu?en.«
Ich sehe ihn an. Er hat lange Arme an seinem gedrungenen Korper und sieht uberaus kraftig aus. Ich konnte ihm mit dem Knie gegen das Kinn sto?en und ihm dann, wenn er hochtaumelt, einen zweiten Sto? zwischen die Beine versetzen – oder aber, wenn er losrennt, kann ich ihm ein Bein stellen und seinen Schadel ein paarmal grundlich aufs P?aster schlagen. Das wurde im Augenblick genugen – aber was spater?
»Haben Sie ihn gehort?«fragt Watzek.
»Wen?«
»Sie wissen doch! Ihn! Wen sonst? Es gibt doch nur einen!«
Ich lausche. Ich habe nichts gehort. Die Stra?e ist still. Georgs Fenster ist jetzt vorsichtig zugezogen worden.
»Wen soll ich gehort haben?«frage ich laut, um Zeit zu gewinnen und den andern ein Zeichen zu geben, damit Lisa in den Garten verschwindet.
»Mensch, ihn! Den Fuhrer! Adolf Hitler!«
»Adolf Hitler!«wiederhole ich erlost.»Den?«
»Was, den?«fragt Watzek herausfordernd.»Sind Sie nicht fur ihn?«
»Und wie! Gerade jetzt! Sie konnen sich gar nicht vorstellen, wie sehr!«
»Warum haben Sie ihn dann nicht gehort?«
»Er war doch nicht hier.«
»Er war am Radio. Wir haben ihn auf dem Schlachthof gehort. Sechsrohrenapparat. Er wird alles andern! Wunderbare Rede! Der Mann wei?, was los ist. Alles mu? anders werden!«
»Das ist klar«, sage ich. In dem einen Satz steckt das gesamte Rustzeug aller Demagogen der Welt.»Alles