mu? anders werden! Wie ware es mit einem Bier?«

»Bier? Wo?«

»Bei Blume, um die Ecke.«

»Ich warte auf meine Frau.«

»Auf die konnen Sie bei Blume auch warten. Woruber hat Hitler gesprochen? Ich mochte das gerne genau wissen. Mein Radio ist kaputt.«

»Uber alles«, sagt der Schlachter und erhebt sich.»Der Mann wei? alles! Alles, sage ich Ihnen, Kamerad!«

Er stellt den Stuhl in den Haus?ur, und wir wandern eintrachtig dem Dortmunder Bier in der Gartenwirtschaft Blume entgegen.

X

Der Mann aus Glas steht bewegungslos in der milden Dammerung vor einem Rosenbeet. Gregor der Siebente geht in der Kastanienallee spazieren. Eine altere Schwester fuhrt einen gebeugten Greis mit langen Haaren herum, der sie immer wieder in den kraftigen Hintern zu kneifen versucht und jedesmal frohlich kichert. Neben mir auf einer Bank sitzen zwei Manner, von denen jeder dem anderen erklart, warum der andere verruckt sei, ohne da? sie sich zuhoren. Eine Gruppe von drei Frauen in gestreiften Kleidern begie?t die Blumen; schweigend gleiten sie mit ihren Zinnkannen durch den Abend.

Ich hocke auf der Bank neben dem Rosenbeet. Alles ist hier friedlich und richtig. Niemand kummert sich darum, da? der Dollar um zwanzigtausend Mark an einem Tag gestiegen ist. Niemand erhangt sich deswegen, wie in der Stadt gestern nacht ein altes Ehepaar, das heute morgen im Kleiderschrank gefunden wurde – jeder an einem Stuck Wascheleine. Au?er den beiden war nichts mehr im Schrank; alles war verkauft und versetzt worden, auch das Bett und der Schrank selbst. Als der Kaufer die Mobelstucke abholen wollte, entdeckte er die Toten. Sie hatten sich aneinander geklammert und streckten sich die geschwollenen blauen Zungen entgegen. Sie waren sehr leicht, und man konnte sie rasch abnehmen. Beide waren sauber gewaschen, die Haare waren geburstet und die Kleider tadellos ge?ickt und sauber. Der Kaufer, ein vollblutiger Mobelhandler, erbrach sich, als er sie sah, und erklarte, den Schrank nicht mehr haben zu wollen. Erst abends anderte er seine Meinung und lie? ihn abholen. Die Toten lagen um diese Zeit auf dem Bett und mu?ten auch da heruntergenommen werden, weil das Bett ebenfalls abgeholt wurde. Die Nachbarn liehen ein paar Tische, und die alten Leute wurden nun darauf aufgebahrt, die Kopfe mit Seidenpapier verhullt. Das Seidenpapier war das einzige gewesen, was ihnen in der Wohnung noch gehort hatte. Sie hinterlie?en einen Brief, in dem sie erklarten, da? sie sich eigentlich durch Gas hatten toten wollen, aber die Gasgesellschaft hatte es abgestellt gehabt, weil es zu lange nicht bezahlt worden war. Deshalb entschuldigten sie sich bei dem Mobelhandler fur die Umstande, die sie ihm machten.

Isabelle kommt heran. Sie tragt eine kurze blaue Hose, die die Knie frei la?t, eine gelbe Bluse und um den Hals eine Bernsteinkette.»Wo warst du?«fragt sie atemlos.

Ich habe sie ein paar Tage nicht gesehen. Jedesmal nach der Andacht bin ich aus der Kirche geschlupft und nach Hause gegangen. Es war nicht leicht, auf das hervorragende Abendessen und den Wein mit Bodendiek und Wernicke zu verzichten; aber es war mir lieber, bei Butterbroten und Kartoffelsalat mit Gerda meine Ruhe zu haben.

»Wo warst du?«wiederholt Isabelle.

»Drau?en«sage ich ablehnend.»Da, wo Geld die Hauptsache ist.«

Sie setzt sich auf die Lehne der Bank. Ihre Beine sind sehr braun, als hatte sie viel in der Sonne gelegen. Die beiden Manner neben mir sehen unmutig auf; dann erheben sie sich und gehen. Isabelle gleitet auf die Bank.»Wozu sterben Kinder, Rudolf?«fragt sie.

»Das wei? ich nicht.«

Ich sehe sie nicht an. Ich will nicht wieder von ihr eingefangen werden; es ist schon genug, wie sie dasitzt mit den langen Beinen und der Tennishose, als hatte sie geahnt, da? ich von jetzt an nach Georgs Rezept leben will.

»Wozu werden sie geboren, wenn sie gleich wieder sterben?«

»Das mu?t du den Vikar Bodendiek fragen. Er behauptet, Gott fuhre Buch uber jedes Haar, das von irgendeinem Kopfe fallt, und alles habe einen Sinn und eine Moral.«

Isabelle lacht.»Gott fuhrt Buch? Uber wen? Uber sich selbst? Wozu? Er wei? doch alles.«

»Ja«, sage ich und bin plotzlich sehr argerlich, ohne zu wissen, warum.»Er ist allwissend, allgutig, gerecht und voll Liebe – und trotzdem sterben Kinder und Mutter, die sie brauchen, und niemand wei?, warum so viel Elend in der Welt ist.«

Isabelle wendet sich mir mit einem Ruck zu. Sie lacht nicht mehr.»Warum sind nicht alle Menschen einfach glucklich, Rudolf?«?ustert sie.

»Das wei? ich nicht. Vielleicht, weil Gott sich sonst langweilen wurde.«

»Nein«, sagt sie rasch.»Nicht deshalb.«

»Warum denn?«

»Weil er Angst hat.«

»Angst? Wovor?«

»Wenn alle glucklich waren, brauchte man keinen Gott mehr.«

Ich sehe sie jetzt an. Ihre Augen sind sehr durchsichtig. Auch ihr Gesicht ist braun und schmaler als fruher.»Er ist nur fur das Ungluck da«, sagt sie.»Dann braucht man ihn und betet. Deshalb macht er es.«

»Es gibt auch Menschen, die zu Gott beten, weil sie glucklich sind.«

»So?«Isabelle lachelt unglaubig.»Dann beten sie, weil sie Angst haben, da? sie es nicht bleiben werden. Alles ist Angst, Rudolf. Wei?t du das nicht?«

Der frohliche Greis wird von der kraftigen Schwester vorubergefuhrt. Aus einem Fenster vom Hauptgebaude kommt das hohe Summen eines Staubsaugers. Ich sehe mich um. Das Fenster ist offen, aber vergittert – ein schwarzes Loch, aus dem der Staubsauger schreit wie eine verdammte Seele.

»Alles ist Angst«, wiederholt Isabelle.»Hast du nie Angst?«

»Ich wei? es nicht«, erwidere ich, immer noch auf der Hut.»Ich glaube schon. Ich hatte sehr oft Angst im Kriege.«

»Das meine ich nicht. Das ist vernunftige Angst. Ich meine die ohne Namen.«

»Welche? Angst vor dem Leben?«

Sie schuttelt den Kopf.»Nein. Fruher.«

»Vor dem Tode?«

Sie schuttelt wieder den Kopf. Ich frage nicht weiter. Ich will da nicht hinein. Schweigend sitzen wir eine Zeitlang in der Dammerung. Wieder einmal habe ich das Gefuhl, da? Isabelle nicht krank sei; aber ich lasse es nicht aufkommen. Wenn es aufkommt, ist die Verwirrung wieder da, und ich will sie nicht. Isabelle ruhrt sich schlie?lich.

»Warum sagst du nichts?«fragt sie.

»Was sind schon Worte?«

»Viel«, ?ustert sie.»Alles. Hast du Angst davor?«

Ich denke nach.»Wahrscheinlich haben wir alle etwas Angst vor gro?en Worten. Es ist so entsetzlich viel damit gelogen worden. Vielleicht haben wir auch Angst vor unsern Gefuhlen. Wir trauen ihnen nicht mehr.«

Isabelle zieht die Beine auf die Bank.»Man braucht sie aber, Liebster«, murmelt sie.»Wie kann man sonst leben?«

Der Staubsauger hat aufgehort zu summen. Es ist plotzlich sehr still. Kuhl kommt von den Beeten der Hauch der feuchten Erde. Ein Vogel ruft in den Kastanien, immer denselben Ruf. Der Abend ist plotzlich eine Waage, die auf beiden Seiten gleich viel Welt tragt. Ich fuhle sie, als balanciere sie ohne Schwere auf meiner Brust. Nichts kann mir geschehen, denke ich, solange ich so ruhig weiter atme.

»Hast du Angst vor mir?«?ustert Isabelle.

Nein, denke ich und schuttle den Kopf; du bist der einzige Mensch, vor dem ich keine Angst habe. Auch nicht mit Worten. Vor dir sind sie nie zu gro? und nie lacherlich. Du verstehst sie immer, denn du lebst noch in der Welt,

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