Nationalhymne?«
»Nicht in Kaffeehausern, wenn damit Krach provoziert werden soll«, erwidert Georg.»Und nun lassen Sie uns mit Ihren Albernheiten in Ruhe!«
»Albernheiten? Sie nennen die heiligsten Gefuhle eines Deutschen Albernheiten? Das werden Sie bu?en mussen! Wo waren Sie im Kriege, Sie Druckeberger?«
»Im Schutzengraben«, erwidert Georg.»Leider.«
»Das kann jeder sagen! Beweise!«
Willy steht auf. Er ist ein Riese. Die Musik schweigt gerade.»Beweise?«sagt Willy.»Hier!«Er luftet ein Bein etwas an, dreht dem Frager leicht den Hintern zu, und ein Gerausch wie ein mittlerer Kanonenschu? erschallt.
»Das«, sagt Willy abschlie?end,»ist alles, was ich bei den Preu?en gelernt habe. Vorher hatte ich nettere Manieren.«
Der Fuhrer der Rotte ist unwillkurlich zuruckgesprungen.»Sagten Sie nicht Feigling?«fragt Willy und grinst.»Sie scheinen selbst etwas schreckhaft zu sein!«
Der Wirt ist herangekommen mit drei stammigen Kellnern.»Ruhe, meine Herrschaften, ich mu? dringend bitten! Keine Auseinandersetzungen im Lokal!«
Die Kapelle spielt jetzt»Das Schwarzwaldmadel«. Die Huter der Nationalhymne ziehen sich unter dunklen Drohungen zuruck. Es ist moglich, da? sie drau?en uber uns herfallen wollen. Wir schatzen sie ab; sie hocken in der Nahe der Tur. Es sind etwa zwanzig. Der Kampf wird ziemlich aussichtslos fur uns sein.
Doch auf einmal kommt unerwartet Hilfe. Ein vertrockneter kleiner Mann tritt an unseren Tisch. Es ist Bodo Lederhose, ein Handler in Hauten und altem Eisen. Wir haben mit ihm in Frankreich gelegen.»Kinder«, sagt er.»Habe gerade gesehen, was los ist. Bin mit meinem Verein hier. Druben hinter der Saule. Wir sind ein gutes Dutzend. Werden euch helfen, wenn die Arschgesichter was wollen. Gemacht?«
»Gemacht, Bodo. Du bist von Gott gesandt worden.«
»Das nicht. Aber dies ist kein Platz fur vernunftige Leute. Wir sind nur fur ein Glas Bier hereingekommen. Leider hat der Wirt hier das beste Bier in der ganzen Stadt. Sonst ist er ein charakterloses Arschloch.«
Ich ?nde, da? Bodo ziemlich weitgeht, in diesen Zeiten selbst von einem so einfachen menschlichen Organ noch Charakter zu verlangen; aber es ist trotzdem erhebend, gerade deswegen. In faulen Zeiten soll man unmogliche Anspruche stellen.
»Wir gehen bald«, sagt Bodo noch.»Ihr auch?«
»Sofort.«
Wir zahlen und erheben uns. Bevor wir an der Tur sind, sind die Huter der Nationalhymne bereits drau?en. Sie haben wie durch Zauber auf einmal Knuppel, Steine und Schlagringe in den Handen. Im Halbkreis stehen sie vor dem Eingang.
Bodo ist plotzlich zwischen uns. Er schiebt uns zur Seite, und seine zwolf Mann gehen vor uns durch die Tur. Sie bleiben drau?en stehen.»Irgendwelche Wunsche, Ihr Rotzkopfe?«fragt Bodo.
Die Huter des Reiches starren uns an.»Feiglinge!«sagt schlie?lich der Befehlshaber, der mit zwanzig Mann uber uns drei herfallen wollte.»Wir werden euch schon noch erwischen!«
»Sicher«, sagt Willy.»Dafur haben wir ein paar Jahre im Schutzengraben gelegen. Seht aber zu, da? ihr immer drei- oder viermal so viele seid. Ubermacht gibt Patrioten Zuversicht.«
Wir gehen mit Bodos Verein die Gro?e Stra?e hinunter. Die Sterne stehen am Himmel. In den Laden brennt Licht. Manchmal, wenn man mit Kameraden vom Kriege zusammen ist, erscheint einem das immer noch sonderbar und herrlich und atemberaubend und unbegrei?ich: da? man so dahinschlendern kann und frei ist und lebt. Ich verstehe plotzlich, was Wernicke gemeint hat mit der Dankbarkeit. Es ist eine Dankbarkeit, die sich nicht an jemand richtet – einfach die, davongekommen zu sein fur etwas mehr Zeit – denn wirklich davon kommt naturlich keiner.
»Ihr mu?t ein anderes Cafe haben«, sagt Bodo.»Wie ist es mit unserem? Da gibt es keine solchen Brullaffen. Kommt mit, wir zeigen es euch!«
Sie zeigen es uns. Unten gibt es Kaffee, Selters, Bier und Eis – oben sind die Versammlungsraume. Bodos Verein ist ein Gesangsverein. Die Stadt wimmelt von Vereinen, die alle ihre Vereinsabende, ihre Statuten, ihre Tagesordnungen haben und sich sehr wichtig und ernst nehmen. Bodos Verein tagt donnerstags im ersten Stock.
»Wir haben einen schonen vierstimmigen Mannerchor«, sagt er.»Nur im ersten Tenor sind wir etwas schwach. Komisch, es sind wohl sehr viele erste Tenore im Kriege gefallen. Und der Nachwuchs ist erst im Stimmbruch.«
»Willy ist ein erster Tenor«, erklare ich.
»Tatsachlich?«Bodo sieht ihn interessiert an.»Sing mal diesen Ton nach, Willy.«
Bodo ?otet wie eine Drossel. Willy ?otet nach.»Gutes Material«, sagt Bodo.»Nun diesen!«
Willy schafft auch den zweiten.»Werde Mitglied«, drangt Bodo jetzt.»Wenn es dir nicht pa?t, kannst du ja immer wieder austreten.«
Willy ziert sich etwas, aber zu unserem Erstaunen bei?t er an. Er wird sofort zum Schatzmeister des Klubs ernannt. Dafur zahlt er eine doppelte Lage Bier und Schnaps und fugt fur alle Erbsensuppe und Eisbein hinzu. Bodos Verein ist politisch demokratisch; nur im ersten Tenor haben sie einen konservativen Spielwarenhandler und einen halbkommunistischen Schuster; aber bei ersten Tenoren kann man eben nicht wahlerisch sein, es gibt zu wenige. Bei der dritten Lage erzahlt Willy, da? er eine Dame kenne, die ebenfalls ersten Tenor singen konne und sogar Ba?. Der Verein schweigt, kaut Eisbein und zweifelt. Georg und ich greifen ein und erklaren die Duettfahigkeit Renee de la Tours. Willy schwort, da? sie kein wirklicher Ba? sei, sondern von Geburt reiner Tenor. Darauf wird mit machtigem Beifall geantwortet. Renee wird in Abwesenheit zum Mitglied und sofort zum Ehrenmitglied ernannt. Willy spendet die Runden dafur. Bodo traumt von mysteriosen Sopraneinlagen, wodurch andere Gesangvereine bei Sangerfesten wahnsinnig werden sollen, weil sie glauben mussen, da? Bodos Klub einen Eunuchen bei sich habe, zumal Renee naturlich in Mannerkleidung auftreten mu?, da der Verein sonst als gemischter Chor klassi?ziert wurde.
»Ich werde es ihr heute abend noch sagen«, erklart Willy.»Kinder, wird sie lachen! In allen Stimmlagen!«
Georg und ich gehen schlie?lich. Willy bewacht vom ersten Stock aus den Platz; er rechnet, als alter Soldat, noch mit einem Hinterhalt der Huter der Nationalhymne. Aber nichts geschieht. Der Marktplatz liegt ruhig unter den Sternen. Rundum stehen die Fenster der Kneipen offen. Gewaltig dringt es aus Bodos Vereinslokal:»Wer hat dich, du schoner Wald, aufgebaut so hoch da droben«?
»Sag mal, Georg«, frage ich, als wir in die Hakenstra?e einbiegen.»Bist du eigentlich glucklich?«
Georg Kroll luftet seinen Hut vor etwas Unsichtbarem in der Nacht.»Eine andere Frage!«sagt er.»Wie lange kann man auf einer Nadelspitze sitzen?«
XI
Regen sturzt vom Himmel. Nebel dampfen aus dem Garten dagegen. Der Sommer ist ertrunken, es ist kalt, und der Dollar steht auf hundertzwanzigtausend Mark. Mit machtigem Krach bricht ein Teil der Dachtraufe nieder, und das Wasser schie?t vor unserem Fenster herunter wie ein grauer Glaswall. Ich verkaufe zwei Engel aus Bisquitporzellan und einen Imortellenkranz an eine zarte Frau, deren beide Kinder an Grippe gestorben sind. Nebenan liegt Georg und hustet. Er hat auch die Grippe, aber ich habe ihn mit einer Kanne Gluhwein gestarkt. Er hat au?erdem ein halbes Dutzend Zeitschriften um sich herumliegen und benutzt die Gelegenheit, sich uber die letzten Ehen, Scheidungen und Skandale der gro?en Welt in Cannes, Berlin, London und Paris zu informieren. Heinrich Kroll, unverwustlich in gestreiften Hosen, Radfahrerklammern und einem passend gewahlten dunklen Regenmantel, tritt ein.»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihnen einige Bestellungen diktiere?«fragt er mit unubertre?ichem Sarkasmus.
»Keineswegs. Immer los.«
Er gibt einige Auftrage an. Es sind kleinere Hugelsteine aus rotem Syenit, eine Marmorplatte, ein paar Grabeinfassungen – der Alltag des Todes, nichts Besonderes. Nachher steht er noch eine Zeitlang unschlussig