herum, warmt sich am kalten Ofen seinen Hintern, betrachtet eine Anzahl Gesteinsproben, die seit zwanzig Jahren im Buro auf den Regalen liegen, und schie?t endlich los:»Wenn einem derartige Schwierigkeiten gemacht werden, ist es kein Wunder, wenn wir bald pleite sind!«

Ich antworte nicht, um ihn zu argern.

»Pleite, sage ich«, erklart er.»Und ich wei?, was ich sage.«

»Wirklich?«Ich blicke ihn freundlich an.»Wozu dann die Verteidigung? Jeder glaubt es Ihnen.«

»Verteidigung? Ich brauche mich nicht zu verteidigen! Aber was da in Wustringen passiert ist -«

»Hat man die Morder des Tischlers gefunden?«

»Morder? Was geht das uns an? Und wer redet bei so was von Mord? Es war ein Unfall. Der Mann hatte sich das selbst zuzuschreiben! Was ich meine, ist, wie Sie mit dem Vorsteher Dobbeling dort umgegangen sind! Und dann noch der Witwe des Tischlers umsonst einen Grabstein anzubieten!«

Ich drehe mich zum Fenster und blicke in den Regen. Heinrich Kroll gehort zu den Menschen, die nie einen Zweifel an ihren Anschauungen haben – das macht sie nicht nur langweilig, sondern auch gefahrlich. Sie sind die eherne Masse unseres geliebten Vaterlandes, mit der man immer wieder in einen Krieg ziehen kann. Nichts kann sie belehren, sie sind mit den Handen an der Hosennaht geboren, und sie sind stolz darauf, auch so zu sterben. Ich wei? nicht, ob es den Typ in anderen Landern auch gibt – sicher aber nicht in solchen Mengen.

Nach einer Weile hore ich wieder, was der kleine Dickkopf redet. Er hat also mit dem Vorsteher eine lange Sitzung gehabt und die Sache bereinigt. Nur seiner Personlichkeit ist das zu danken. Wir durfen wieder Grabsteine nach Wustringen liefern.

»Was sollen wir jetzt tun?«frage ich.»Sie anbeten?«

Er wirft mir einen giftigen Blick zu.»Passen Sie auf, da? Sie nicht einmal zu weit gehen!«

»Wie weit?«

»Zu weit. Vergessen Sie nicht, da? Sie hier Angestellter sind.«

»Ich vergesse das dauernd. Sonst mu?ten Sie mir dreifaches Gehalt zahlen – als Zeichner, Burochef und Reklamechef. Im ubrigen stehen wir nicht im militarischen Verhaltnis zueinander, sonst mu?ten Sie vor mir strammstehen. Und wenn Sie wollen, kann ich ja einmal mit Ihrer Konkurrenz telefonieren – Hollmann und Klotz nehmen mich sofort.«

Die Tur offnet sich, und Georg erscheint in einem fuchsroten Pyjama.»Redest du von Wustringen, Heinrich?«

»Wovon sonst?«

»Dann geh in den Keller und schame dich. In Wustringen ist ein Mensch getotet worden! Ein Leben ist untergegangen. Eine Welt ist fur jemand zerstort worden. Jeder Mord, jeder Totschlag ist der erste Totschlag der Welt. Kain und Abel, immer wieder! Wenn du und deine Genossen das einmal begreifen wurden, gabe es nicht so viel Kriegsgeschrei auf dieser an sich gesegneten Erde!«

»Sklaven und Knechte gabe es dann! Kriecher vor dem unmenschlichen Vertrag von Versailles!«

»Der Vertrag von Versailles! Naturlich!«Georg tut einen Schritt vorwarts. Der Duft des Gluhweins umschwebt ihn stark.»Hatten wir den Krieg gewonnen, dann hatten wir unsere Gegner naturlich mit Liebe und Geschenken uberhauft, was? Hast du vergessen, was du und deine Genossen alles annektieren wollten? Die Ukraine, Brie, Longwy und das gesamte Erz- und Kohlenbecken Frankreichs? Hat man uns die Ruhr weggenommen? Nein, wir haben sie noch! Willst du behaupten, da? unser Friedensvertrag nicht zehnmal harter geworden ware, hatten wir nur einen diktieren konnen? Habe ich deine gro?e Schnauze daruber nicht selbst noch 1917 gehort? Frankreich sollte ein Staat dritten Ranges werden, riesige Stucke Ru?lands mu?ten annektiert werden, und alle Gegner hatten zu zahlen und Sachwerte abzuliefern bis zum Wei?bluten! Das warst du, Heinrich! Jetzt aber brullst du im Chor mit uber die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde. Es ist zum Kotzen mit eurem Selbstmitleid und eurem Rachegeschrei! Immer ist ein anderer schuld! Ihr stinkt vor Selbstgerechtigkeit, ihr Pharisaer! Wi?t ihr nicht, da? das erste Zeichen eines Mannes darin besteht, da? er dafur einsteht, was er getan hat? Euch aber ist nie etwas anderes als das gro?te Unrecht geschehen, und ihr unterscheidet euch nur in einem von Gott – Gott wei? alles, aber ihr wi?t alles besser.«

Georg sieht sich um, als erwache er. Sein Gesicht ist jetzt so rot wie sein Pyjama, und sogar die Glatze hat eine rosige Farbe. Heinrich ist erschreckt zuruckgewichen. Georg folgt ihm. Er ist sehr wutend. Heinrich weicht weiter zuruck.»Steck mich nicht an!«schreit er.»Du blast mir ja deine Bazillen ins Gesicht! Wohin soll das fuhren, wenn wir beide die Grippe haben?«

»Niemand durfte mehr sterben«, sage ich.

Es ist ein schones Bild, die kampfenden Bruder zu sehen. Georg im roten Satinpyjama, schwitzend vor Wut, und Heinrich im kleinen Gesellschaftsanzug, voller Sorge, die Grippe zu erwischen. Die Szene wird au?er mir noch von Lisa beobachtet, die in einem Morgenrock mit eingedruckten Segelschiffen trotz des Wetters weit aus dem Fenster hangt. Im Hause Knopf steht die Tur offen. Der Regen hangt wie ein Vorhang von Glasperlen davor. Es ist so dunkel drinnen, da? die Madchen bereits Licht gemacht haben. Man konnte glauben, sie schwammen da herum wie die Rheintochter Wagners. Unter einem riesigen Schirm wandelt der Tischler Wilke wie ein schwarzer Pilz uber den Hof. Heinrich Kroll verschwindet, buchstablich von Georg aus dem Buro gedrangt.»Gurgeln Sie mit Salzsaure«, rufe ich ihm nach.»Grippe ist bei Leuten Ihres Schlages todlich.«

Georg bleibt stehen und lacht.»Was bin ich fur ein Idiot«, sagt er.»Als ob die Sorte je etwas lernen wurde!«

»Woher hast du das Pyjama?«frage ich.»Bist du in die kommunistische Partei eingetreten?«

Handeklatschen kommt von gegenuber. Lisa uberschuttet Georg mit Beifall – ein starkes Stuck von Disloyalitat gegen Watzek, den aufrechten Nationalsozialisten und kunftigen Schlachthofdirektor. Georg verneigt sich, die Hand aufs Herz gedruckt.»Leg dich ins Bett«, sage ich.»Du bist ja ein Springbrunnen, so schwitzest du!«

»Schwitzen ist gesund! Schau dir den Regen an! Da schwitzt der Himmel. Und druben das Stuck Leben, in seinem offenen Morgenrock, mit wei?en Zahnen und voll von Gelachter! Was tun wir hier? Warum zerspringen wir nicht wie Feuerwerk? Wenn wir einmal richtig wu?ten, was Leben ist, wurden wir zerspringen! Wozu verkaufe ich Denkmaler? Warum bin ich nicht eine Sternschnuppe? Oder ein Vogel Greif, der uber Hollywood hinstreicht und die wunderbarsten Frauen aus ihren Swimmingpools raubt? Weshalb mussen wir in Werdenbruck leben und Kampfe im Cafe Central haben, anstatt eine Karawane nach Timbuktu auszurusten und mit mahagonifarbenen Tragern in den weiten afrikanischen Morgen zu ziehen? Warum haben wir kein Bordell in Yokohama? Antworte! Es ist wichtig, das sofort zu wissen! Warum schwimmen wir nicht mit purpurnen Fischen um die Wette in den roten Abenden von Tahiti? Antworte!«

Er greift nach der Flasche Kornschnaps.»Halt!«sage ich.»Es ist noch Wein da. Ich werde ihn sofort auf dem Spirituskocher hei? machen. Keinen Schnaps jetzt! Du hast Fieber! Roten, hei?en Wein, gewurzt mit den Spezereien Indiens und der Sundainseln!«

»Gut! Erhitze ihn! Aber warum sind wir nicht selbst auf den Inseln der Hoffnung und schlafen mit Frauen, die nach Zimt riechen und deren Augen wei? werden, wenn wir sie unter dem sudlichen Kreuz begatten, und die Schreie aussto?en wie die Papageien und die Tiger? Antworte!«

Die blaue Flamme des Spirituskochers brennt wie das blaue Licht des Abenteuers im Halbdunkel des Buros. Der Regen rauscht wie das Meer.»Wir sind auf dem Weg, Kapitan«, sage ich und nehme einen gewaltigen Zug Kornschnaps, um Georg nachzukommen.»Die Karavelle passiert gerade Santa Cruz, Lissabon und die Goldkuste. Die Sklavinnen des Arabers Mohammed ben Hassan ben Watzek starren aus ihren Kajuten und winken. Hier ist Eure Wasserpfeife!«

Ich reiche Georg eine Zigarre aus der Kiste fur die besten Agenten. Er entzundet sie und blast ein paar tadellose Rauchringe. Sein Pyjama zeigt dunkle Wasser?ecke.»Auf dem Wege«, sagt er.»Warum sind wir noch nicht da?«

»Wir sind da. Man ist immer und uberall da. Zeit ist ein Vorurteil. Das ist das Geheimnis des Lebens. Man wei? es nur nicht. Man bemuht sich immer, irgendwo anzukommen!«

»Warum wei? man es nicht?«fragt Georg.

»Zeit, Raum und das Kausalgesetz sind der Schleier der Maja, der die freie Sicht behindert.«

»Warum?«

»Sie sind die Peitschen, mit denen Gott verhindert, da? wir ihm gleich werden. Er jagt uns mit ihnen durch ein Panorama von Illusionen und durch die Tragodie der Dualitat.«

»Welcher Dualitat?«

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