Jahr, das hei?t, so gut wie uberhaupt nicht. Sie sind dann langst entwertet. Und der einzige Dieb, den Eduard kennt, ist er selbst.

»An dir ist wenigstens was dran zu fressen«, erwidert Valentin lachelnd und erbarmungslos.»Das dachten die Wurmer in Flandern auch, als sie schon auszogen, dich zu holen.«

Eduard windet sich.»Was soll es sein, Valentin?«fragt er.»Ein Bier? Bier ist das beste gegen die Hitze.«

»Mir ist es nicht zu hei?. Aber das Beste ist gerade gut genug, um zu feiern, da? du noch lebst, da hast du recht. Gib mir eine Flasche Johannisberger Langenberg, Wachstum Mumm, Eduard.«

»Der ist ausverkauft.«

»Er ist nicht ausverkauft. Ich habe mich bei deinem Kellermeister erkundigt. Du hast noch uber hundert Flaschen davon. Welch ein Gluck, da? es meine Lieblingsmarke ist!«

Ich lache.»Was lachst du?«schreit Eduard wutend.»Gerade du hast keinen Grund dazu. Blutegel! Blutegel seid ihr alle! Blutet mich wei?! Du, dein Bonvivant von Grabsteinhandler und du, Valentin! Blutet mich wei?! Ein Kleeblatt von Schmarotzern!«

Valentin blinzelt mir zu und bleibt ernst.»So, das ist also der Dank, Eduard! Und so haltst du dein Wort! Hatte ich das gewu?t, damals -«

Er krempelt seinen Armel hoch und betrachtet eine lange, zackige Narbe. Er hat Eduard 1917 im Kriege das Leben gerettet. Eduard, der Kuchenuntero?zier gewesen war, war damals plotzlich abgelost und an die Front geschickt worden. Schon in den ersten Tagen erwischte der Elefant auf einer Patrouille im Niemandsland einen Schu? durch die Wade und gleich darauf einen zweiten, bei dem er viel Blut verlor. Valentin fand ihn, band ihn ab und schleppte ihn in den Graben zuruck. Dabei erhielt er selbst einen Splitter in den Arm. Aber er rettete Eduards Leben, der sonst sicher verblutet ware. Eduard, in uberstromender Dankbarkeit, bot Valentin damals an, er konne sein Leben lang im»Walhalla«essen und trinken, was er wolle. Valentin schlug mit der linken, unverwundeten Hand ein. Georg Kroll und ich waren Zeugen.

Das alles sah 1917 noch harmlos aus. Werdenbruck war weit, der Krieg nah, und wer wu?te schon, ob Valentin und Eduard jemals wieder zum»Walhalla«zuruckkommen wurden? Sie kamen; Valentin, nachdem er noch zweimal verwundet worden war, Eduard fett und rund, als wiedereingesetzter Kuchenbulle. Im Anfang war Eduard tatsachlich dankbar und spendierte, wenn Valentin zu Besuch kam, ab und zu sogar deutschen Sekt, der nicht mehr schaumte. Doch die Jahre begannen zu zehren. Valentin etablierte sich namlich in Werdenbruck. Er hatte vorher in einer anderen Stadt gelebt; jetzt zog er in eine kleine Bude nahe beim»Walhalla«und erschien punktlich zum Fruhstuck, zum Mittagessen und zum Abendbrot bei Eduard, der bald sein leichtfertiges Versprechen bitter bereute. Valentin war ein guter Esser, besonders deshalb, weil er ja keine Sorgen mehr hatte. Eduard hatte sich vielleicht noch halbwegs uber das Futter hinweggetrostet; doch Valentin trank auch, und allmahlich entwickelte er Kennerschaft und feinen Geschmack fur Wein. Vorher hatte er Bier getrunken; jetzt trank er nur noch Kellerabzuge und brachte Eduard dadurch naturlich ganz anders zur Verzwei?ung als wir mit unseren armseligen E?marken.

»Also schon«, sagt Eduard trostlos, als Valentin ihm seine Narbe entgegenhalt.»Aber Essen und Trinken hei?t Trinken zum Essen, nicht zwischendurch. Trinken zwischendurch habe ich nicht versprochen.«

»Sieh dir diesen erbarmlichen Kramer an«, erwidert Valentin und sto?t mich an.»1917 hat er nicht so gedacht. Da hie? es: Valentin, liebster Valentin, rette mich, ich gebe dir auch alles, was ich habe!«

»Das ist nicht wahr! Das habe ich nie gesagt!«schreit Eduard im Falsett.

»Woher wei?t du das? Du warst doch halb verruckt vor Angst und halb verblutet, als ich dich zuruckschleppte.«

»Ich hatte es nicht sagen konnen! Das nicht! Selbst wenn es mein sofortiger Tod gewesen ware. Es liegt nicht in meinem Charakter.«

»Das stimmt«, sage ich.»Der Geizknochen ware lieber verreckt.«

»Das meine ich«, erklart Eduard, aufatmend, Hilfe gefunden zu haben. Er wischt sich die Stirn. Seine Locken sind na?, so hat ihn die letzte Drohung Valentins erschreckt. Er sah schon einen Proze? um das»Walhalla«vor sich.»Also meinetwegen, fur dieses Mal«, sagt er rasch, um nicht weiter bedrangt zu werden.»Kellner, eine halbe Flasche Mosel.«

»Johannisberger Langenberg, eine ganze Flasche«, korrigiert Valentin und wendet sich an mich.»Darf ich dich zu einem Glas einladen?«

»Und ob!«erwidere ich.

»Halt!«sagt Eduard.»Das war bestimmt nicht in der Abmachung! Sie war nur fur Valentin allein! Ludwig kostet mich ohnehin schon jeden Tag schweres Geld, der Blutsauger mit den entwerteten E?marken!«

»Sei ruhig, du Giftmischer«, erwidere ich.»Dies ist geradezu eine Karma-Verknupfung. Du schie?t auf mich mit Sonetten, ich bade meine Wunden dafur in deinem Rheinwein. Willst du, da? ich einer gewissen Dame einen Zwolfzeiler in der Art des Aretino uber diese Situation zuschicke, du Wucherer an deinem Lebensretter?«

Eduard verschluckt sich.»Ich brauche frische Luft«, murmelt er wutend.»Erpresser! Zuhalter! Schamt ihr euch eigentlich nie?«

»Wir schamen uns uber schwierigere Dinge, du harmloser Millionenzahler.«Valentin und ich sto?en an. Der Wein ist hervorragend.

»Wie ist es mit dem Besuch im Haus der Sunde?«fragt Otto Bambuss, scheu vorubergleitend.

»Wir gehen bestimmt, Otto. Wir sind es der Kunst schuldig.«

»Warum trinkt man eigentlich am liebsten bei Regen?«fragt Valentin und schenkt neu ein.»Es mu?te doch umgekehrt sein.«

»Mochtest du fur alles immer eine Erklarung haben?«

»Naturlich nicht. Wo bliebe sonst die Unterhaltung? Mir ist das nur aufgefallen.«

»Vielleicht ist es der Herdentrieb, Valentin. Flussigkeit zu Flussigkeit.«

»Mag sein. Aber ich pisse auch ofter an Tagen, wenn es regnet. Das ist doch zumindest sonderbar.«

»Du pi?t mehr, weil du mehr trinkst. Was ist daran sonderbar?«

»Stimmt.«Valentin nickt erleichtert.»Daran habe ich nicht gedacht. Fuhrt man auch mehr Kriege, weil mehr Menschen geboren werden?«

XII

Bodendiek streicht wie eine gro?e schwarze Krahe durch den Nebel.»Nun«, fragt er jovial.»Verbessern Sie noch immer die Welt?«

»Ich betrachte sie«, erwidere ich.

»Aha! Der Philosoph! Und was ?nden Sie?«

Ich schaue in sein munteres Gesicht, das rot und na? vom Regen unter dem Schlapphut leuchtet.»Ich ?nde, da? das Christentum die Welt in zweitausend Jahren nicht wesentlich weitergebracht hat«, erwidere ich.

Einen Augenblick verandert sich die wohlwollend uberlegene Miene; dann ist sie wieder wie vorher.»Meinen Sie nicht, da? Sie ein bi?chen jung fur solche Urteile sind?«

»Ja – aber ?nden Sie nicht, da? es ein trostloses Argument ist, jemand seine Jugend vorzuwerfen? Haben Sie nichts anderes?«

»Ich habe eine ganze Menge anderes. Aber nicht gegen solche Albernheiten. Wissen Sie nicht, da? jede Verallgemeinerung ein Zeichen von Ober?achlichkeit ist?«

»Ja«, sage ich mude.»Ich habe das auch nur gesagt, weil es regnet. Im ubrigen ist etwas daran. Ich studiere seit einigen Wochen Geschichte, wenn ich nicht schlafen kann.«

»Warum? Auch weil es ab und zu regnet?«

Ich ignoriere den harmlosen Schu?.»Weil ich mich vor vorzeitigen Zynismus und lokaler Verzwei?ung bewahren mochte. Es ist nicht jedermanns Sache, mit einfachem Glauben an die heilige Dreifaltigkeit daruber hinwegzusehen, da? wir mitten drin sind, einen neuen Krieg vorzubereiten – nachdem wir gerade einen verloren haben, den Sie und Ihre Herren Kollegen von den verschiedenen protestantischen Bekenntnissen im Namen Gottes und der Liebe zum Nachsten gesegnet und geweiht haben – ich will zugeben, Sie etwas gedampfter und verlegener – Ihre Kollegen dafur um so munterer, in Uniform, mit den Kreuzen rasselnd und siegschnaubend.«

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