Sehnsucht und Erfullung, Gott und Fleisch, Kosmos und Lokus -«

Zum Gluck setzen die Trompeten wieder ein. Georg kommt mit Lisa von der Tanz?ache zuruck. Lisa ist eine Vision in aprikosenfarbenem Crepe de Chine. Riesenfeld hat, nachdem er uber ihren plebejischen Hintergrund aufgeklart worden ist, als Suhne verlangt, da? wir alle als seine Gaste mit ihm zur Roten Muhle gehen mussen. Er verbeugt sich jetzt vor Lisa.»Einen Tango, gnadige Frau. Wurden Sie -«

Lisa ist einen Kopf gro?er als Riesenfeld, und wir erwarten eine interessante Vorstellung. Aber zu unserm Erstaunen erweist sich der Granitkaiser als hervorragender Tangomeister. Er beherrscht nicht nur den argentinischen, sondern auch den brasilianischen und anscheinend auch noch ein paar andere Varianten. Wie ein Kunstschlittschuhlaufer pirouettiert er mit der fassungslosen Lisa auf dem Parkett umher.»Wie fuhlst du dich?«frage ich Georg.»Nimm es nicht zu schwer. Mammon gegen Gefuhl! Ich habe vor ein paar Tagen auch eine Anzahl Lehren daruber bekommen. Sogar von dir, pikanterweise. Wie ist Lisa heute morgen aus deiner Bude entwichen?«

»Es war schwer. Riesenfeld wollte das Buro als Beobachtungsposten ubernehmen. Er wollte ihr Fenster beobachten. Ich dachte, ich konnte ihn verscheuchen, wenn ich ihm enthullte, wer Lisa ist. Es nutzte nichts. Er trug es wie ein Mann. Es gelang mir schlie?lich, ihn fur ein paar Minuten in die Kuche zum Kaffee zu schleppen. Das war der Moment fur Lisa. Als Riesenfeld wieder ins Buro auf Ausguck ging, lachelte sie huldvoll aus ihrem eigenen Fenster.«

»In dem Kimono mit den Storchen?«

»In einem mit Windmuhlen.«

Ich sehe ihn an. Er nickt.»Eingetauscht gegen einen kleinen Hugelstein. Es war notwendig. Immerhin, Riesenfeld, unter Verbeugungen, rief ihr uber dis Stra?e die Einladung fur heute abend hinuber.«

»Das hatte er nicht gewagt, als sie noch „de la Tour“ hie?.«

»Er tat es mit Respekt. Lisa akzeptierte. Sie dachte, es wurde uns geschaftlich helfen.«

»Und das glaubst du?«

»Ja«, erwidert Georg frohlich.

Riesenfeld und Lisa kommen von der Tanz?ache zuruck. Riesenfeld schwitzt. Lisa ist kuhl wie eine Klosterlilie. Zu meinem ungeheuren Erstaunen sehe ich plotzlich im Hintergrund der Bar zwischen den Luftballons eine neue Gestalt erscheinen. Es ist Otto Bambuss. Er steht etwas verloren im Gewuhl und pa?t ungefahr so hierher, wie Bodendiek passen wurde. Dann taucht neben ihm der rote Schadel Willys auf, und ich hore von irgendwoher die Kommandostimme Renee de la Tours:»Bodmer, Sie konnen ruhren!«

Ich erwache.»Otto«, sage ich zu Bambuss,»was hat denn dich hierher verschlagen?«

»Ich«, antwortet Willy.»Ich will etwas fur die deutsche Literatur tun. Otto mu? bald in sein Dorf zuruck. Da hat er dann Zeit, Gedichte uber die sundige Welt zu drechseln. Vorlau?g aber soll er sie noch sehen.«

Otto lachelt sanft. Seine kurzsichtigen Augen zwinkern. Leichter Schwei? steht auf seiner Stirn. Willy la?t sich mit Renee und ihm am Nebentisch nieder. Zwischen Lisa und Renee hat ein rasantes, sekundenkurzes Blickgefecht stattgefunden. Beide wenden sich ungeschlagen, uppig und lachelnd wieder ihren Tischen zu.

Otto lehnt sich zu mir heruber.»Ich habe den Zyklus „Die Tigerin“ fertig«, ?ustert er.»Gestern nacht beendet. Bin bereits bei einer neuen Serie: „Das scharlachne Weib“. Werde es vielleicht auch „Das gro?e Tier der Apokalypse“ nennen und zu freien Rhythmen ubergehen. Es ist gro?artig. Der Geist ist uber mich gekommen!«

»Gut! Aber was erwartest du dann noch hier?«

»Alles«, erwidert Otto gluckstrahlend.»Ich erwarte immer alles, das ist das Schone, wenn man noch nichts kennt. Ubrigens, du kennst doch eine Dame vom Zirkus!«

»Damen, die ich kenne, sind nicht fur Anfanger da, um damit zu trainieren«, sage ich.»Du scheinst wirklich noch nichts zu wissen, du naives Kamel, sonst warest du nicht so dummdreist! Merke dir deshalb Gesetz Nummer eins: La? die Finger von den Damen anderer Leute – du hast nicht den notigen Korperbau dazu.«

Otto hustelt.»Aha«, sagt er dann.»Burgerliche Vorurteile! Ich spreche doch nicht von Ehefrauen.«

»Ich auch nicht, du Riesenro?. Bei Ehefrauen sind die Regeln nicht so streng. Warum soll ich denn mit aller Gewalt eine Dame vom Zirkus kennen? Ich habe dir doch schon einmal gesagt, da? sie Billettverkauferin in einem Flohzirkus war.«

»Willy hat mir erzahlt, das ware nicht wahr. Sie sei beim Zirkus Akrobatin.«

»So, Willy!«Ich sehe den roten Schadel wie einen Kurbis auf dem Meer der Tanz?ache schwanken.»Hor zu, Otto«, sage ich.»Es ist ganz anders. Willys Dame ist vom Zirkus. Die mit dem blauen Hut. Und sie liebt die Literatur. Also da ist die Chance! Immer feste drauf los!«

Bambuss sieht mich mi?trauisch an.»Ich spreche aufrichtig mit dir, du vertrottelter Idealist!«sage ich.

Riesenfeld ist schon wieder mit Lisa unterwegs.»Was ist los mit uns, Georg?«frage ich.»Dort druben sucht dir ein Geschaftsfreund deine Dame auszuspannen, und hier habe ich gerade eine Anfrage gehabt, im Interesse der deutschen Dichtkunst Gerda auszuleihen. Sind wir solche Schafe, oder sind unsere Damen so begehrenswert?«

»Beides. Au?erdem ist die Frau eines anderen immer funfmal begehrenswerter als eine, die zu haben ist. Ein altes Sittengesetz. Lisa wird aber in wenigen Minuten an schweren Kopfschmerzen erkranken, hinausgehen, um in der Garderobe Aspirin zu holen, und dann einen Kellner herschicken mit der Nachricht, sie hatte nach Hause gehen mussen, wir sollten uns weiter amusieren.«

»Ein Schlag fur Riesenfeld. Er wird uns morgen nichts mehr verkaufen.«

»Er wird uns mehr verkaufen. Du solltest das wissen. Gerade deshalb. Wo ist Gerda?«

»Ihr Engagement beginnt erst in drei Tagen. Ich hoffe, sie ist im Altstadter Hof. Aber ich furchte, sie sitzt in der Walhalla Eduards. Sie nennt das ein Abendessen sparen. Ich kann wenig dagegen machen. Sie hat so erstklassige Grunde, da? ich drei?ig Jahre alter werden mu?, um antworten zu konnen. Pa? du lieber auf Lisa auf. Vielleicht kriegt sie keine Kopfschmerzen, um uns wieder weiter im Geschaft zu helfen.«

Otto Bambuss lehnt sich wieder zu mir heruber. Seine Augen sind wie die eines erschreckten Herings hinter den Brillenglasern.»„Manege“ ware ein guter Titel fur einen Band Zirkusgedichte, was? Mit Abbildungen von Toulouse-Lautrec.«

»Warum nicht von Rembrandt, Durer und Michelangelo?«

»Gibt es von denen Zirkuszeichnungen?«fragt Otto ernsthaft.

Ich gebe ihn auf.»Trink, mein Junge«, sage ich vaterlich.»Und freue dich deines kurzen Lebens, denn irgendwann wirst du mal ermordet. Aus Eifersucht, du Mondkalb!«

Er prostet mir geschmeichelt zu und sieht dann nachdenklich zu Renee hinuber, die einen sehr kleinen eisvogelblauen Hut auf ihren blonden Lockchen schaukelt und aussieht wie eine Dompteuse am Sonntag.

Lisa und Riesenfeld kommen zuruck.»Ich wei? nicht, was los ist«, sagt Lisa.»Ich habe plotzlich solche Kopfschmerzen. Ich gehe mal ein Aspirin nehmen -«

Bevor Riesenfeld aufspringen kann, ist sie schon vom Tisch weg. Georg sieht mich entsetzlich selbstgefallig an und greift nach einer Zigarre.

XVII

»Das su?e Licht«, sagte Isabelle.»Warum wird es schwacher? Weil wir ermatten? Wir verlieren es jeden Abend. Wenn wir schlafen, ist die Welt fort. Wo sind wir dann? Kommt die Welt immer wieder, Rudolf?«

Wir stehen am Rande des Gartens und sehen durch das Gittertor in die Landschaft drau?en. Der fruhe Abend liegt auf den reifenden Feldern, die sich zu beiden Seiten der Kastanienallee bis zum Walde hinabziehen.

»Sie kommt immer wieder«, sage ich und fuge vorsichtig hinzu:»Immer, Isabelle.«

»Und wir? Wir auch?«

Wir? denke ich. Wer wei? das? Jede Stunde gibt und nimmt und verandert. Aber ich sage es nicht. Ich will in kein Gesprach geraten, das plotzlich in einen Abgrund rutscht.

Von drau?en kommen die Anstaltsinsassen zuruck, die auf den Ackern gearbeitet haben. Sie kommen zuruck wie mude Bauern, und auf ihren Schultern liegt das erste Abendrot.

»Wir auch«, sage ich.»Immer, Isabelle. Nichts, was da ist, kann verlorengehen. Nie.«

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