Trummern des Zigarrenladens, sie ritten auf den Ruinen des Zeitungsgebaudes, sie grinsten ihn an, und ihre Klauen drohten in die Zukunft. Neubauers dicker roter Nacken wurde na?, unsicher trat er zuruck und sah einen Augenblick nichts mehr und wu?te es und wollte es sich trotzdem nicht eingestehen: da? der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte. »Nein«, sagte er laut. »Nein, nein – es mu? noch – der Fuhrer – ein Wunder – trotz allem naturlich -« Er sah sich um. Da war niemand. Nicht einmal jemand zum Loschen. Selma Neubauer schwieg endlich. Ihr Gesicht war verschwollen, der seidene franzosische Morgenrock war voll von Tranenspuren, und die dicken Hande bebten. »Sie kommen diese Nacht nicht wieder«, sagte Neubauer ohne Uberzeugung. »Die ganze Stadt brennt ja. Was sollen sie da noch bombardieren?« »Dein Haus, dein Geschaftsgebaude. Deinen Garten. Die stehen doch noch, wie?« Neubauer bezwang seinen Arger und die jahe Angst, da? es so sein konnte. »Blodsinn! Deshalb kommen sie nicht extra.« »Andere Hauser. Andere Laden. Andere Fabriken. Es stehen noch genug.« »Selma -« Sie unterbrach ihn. »Du kannst sagen, was du willst! Ich komme 'rauf!« Ihr Gesicht rotete sich wieder. »Ich komme 'rauf zu dir ins Lager, und wenn ich bei den Gefangenen schlafen mu?! Ich bleibe nicht hier in der Stadt! In dieser Rattenfalle! Ich will nicht umkommen! Dir ist das naturlich egal, wenn du nur sicher bist. Weit weg vom Schu?! Wie immer! Wir konnen es ja ausfressen! So warst du immer!« Neubauer blickte sie beleidigt an. »Ich war nie so. Und du wei?t es! Sieh dir deine Kleider an! Deine Schuhe! Deine Morgenrocke! Alles aus Paris! Wer hat sie dir besorgt? Ich! Deine Spitzen! Das Feinste aus Belgien. Ich habe sie eingehandelt fur dich. Deinen Pelzmantel! Die Pelzdecke! Ich habe sie dir aus Warschau kommen lassen. Sieh dir deinen Vorratskeller an. Dein Haus! Ich habe gut fur dich gesorgt!« »Du hast eine Sache vergessen. Einen Sarg. Du kannst ihn jetzt noch rasch besorgen. Sarge werden nicht billig sein morgen fruh. Es gibt sowieso kaum noch welche in Deutschland. Aber du kannst ja einen machen lassen in deinem Lager oben! Du hast ja genugend Leute dafur.« »So? Das ist also der Dank! Der Dank fur alles, was ich riskiert habe. Das, ist der Dank!« Selma horte nicht auf Neubauer. »Ich will nicht verbrennen! Ich will nicht in Stucke gerissen werden!« Sie wandte sich an ihre Tochter. »Freya! Du horst deinen Vater! Deinen leiblichen Vater! Alles, was wir wollen, ist, nachts in seinem Haus da oben schlafen. Nichts weiter. Unser Leben retten. Er weigert sich. Die Partei. Was wird Dietz sagen? Was sagt Dietz zu den Bomben?
Warum tut die Partei da nichts? Die Partei -«
»Ruhig, Selma!«
»Ruhig, Selma! Horst du es, Freya? Ruhig! Stillgestanden! Ruhig gestorben! Ruhig, Selma, das ist alles, was er wei?!«
»Funfzigtausend Menschen sind in derselben Situation«, sagte Neubauer mude. »Alle -«
»Funfzigtausend Menschen gehen mich nichts an. Funfzigtausend Menschen fragen auch nicht danach, wenn ich krepiere. Spar dir deine Statistik fur Parteireden.«
»Mein Gott -«
»Gott! Wo ist Gott? Ihr habt ihn weggejagt! Komm mir nicht mit Gott -«
Warum haue ich ihr nicht eine herunter? dachte Neubauer. Warum bin ich auf einmal so mude? Ich sollte ihr eine 'runterhauen! Scharf auftreten! Energisch!
Hundertdrei?igtausend Mark verloren! Und dieses schreiende Weib! Scharf zupacken!
Ja! Retten! Was? Was retten? Wohin?
Er setzte sich auf einen Sessel. Er wu?te nicht, da? es ein exquisiter Gobelinfauteuil des 18.
Jahrhunderts aus dem Hause der Komtesse Lambert war – fur ihn war es nur ein Sessel, der reich aussah. Deshalb hatte er ihn vor einigen Jahren mit ein paar anderen Stucken von einem Major, der aus Paris kam, gekauft.
»Bring mir eine Flasche Bier, Freya.«
»Bring ihm eine Flasche Champagner, Freya! Er kann ihn trinken, bevor er In die Luft fliegt. Popp!
Popp! Popp! La?t die Pfropfen knallen! Die Siege mussen begossen werden!«
»La? das, Selma -«
Seine Tochter ging zur Kuche. Die Frau richtete sich auf. »Also – ja oder nein? Kommen wir heute abend zu dir 'rauf oder nicht?«
Neubauer sah auf seine Stiefel. Sie waren voll Asche. Fur hundertdrei?ig-lausend Mark Asche.
»Es wurde Gerede geben, wenn wir das jetzt plotzlich machen wurden. Nicht, da? es nicht erlaubt ist – aber wir haben es bisher nicht getan. Man wurde sagen, ich wollte Vorteile ausnutzen gegen die anderen, die hier unten bleiben mussen. Und oben ist es im Augenblick gefahrlicher als hier.
Das Lager wird als nachstes bombardiert werden. Wir haben doch kriegswichtige Betriebe.«
Einiges davon stimmte; aber der eigentliche Grund fur seine Weigerung war, da? Neubauer allein bleiben wollte. Dort oben hatte er sein Privatleben, wie er es nannte.
Zeitungen, Kognak, und ab und zu eine Frau, die drei?ig Kilo weniger wog als Selma – jemand, der zuhorte, wenn er redete, und der ihn bewunderte als Denker, Mann und zartfuhlenden Kavalier. Ein unschuldiges Vergnugen, das notig war als Entspannung nach dem Kampf ums Dasein.
»La? sie sagen, was sie wollen!« erklarte Selma. »Du hast dich um deine Familie zu kummern!«
»Wir konnen spater weiter daruber sprechen. Ich mu? jetzt zum Parteiburo. Mu? sehen, was dort bestimmt wird. Vielleicht sind schon Vorbereitungen getroffen, die Leute in den Dorfern unterzubringen. Sicherlich alle die, die ihre Wohnungen verloren haben. Aber vielleicht konnt auch ihr -«
»Kein vielleicht! Wenn ich in der Stadt bleibe, werde ich herumrennen und schreien, schreien -«
Freya brachte das Bier. Es war nicht kalt. Neubauer schmeckte es, beherrschte sich und stand auf.
»Ja oder nein?« fragte Selma.
»Ich komme zuruck. Dann werden wir daruber reden. Erst mu? ich die Bestimmungen kennen.«
»Ja oder nein?«
Neubauer sah Freya hinter ihrer Mutter nicken und ihm ein Zeichen machen, vorlaufig beizustimmen.
»Schon – ja«, sagte er verdrie?lich.
Selma Neubauer offnete den Mund. Die Spannung wich aus ihr wie Gas aus einem Ballon. Sie lie? sich vornuber auf das Sofa fallen, das zu dem Fauteuil aus dem 18. Jahrhundert gehorte. Sie war auf einmal nur noch ein Haufen weiches Fleisch, geschuttelt von Schluchzen:»Ich will nicht sterben -ich will nicht – mit all unseren schonen Sachen – nicht jetzt -« Uber ihrem zerwuhlten Haar blickten die Schafer und Schaferinnen des Gobelinbezuges mit dem ironischen Lacheln des 18. Jahrhunderts heiter und gleichgultig ins Nichts.
Neubauer betrachtete sie angewidert. Sie hatte es leicht; sie schrie und heulte – aber wer fragte danach, was in ihm vorging? Er mu?te alles 'runterschlucken. Zuversichtlich sein; ein Fels im Meer.
Hundertdrei?igtausend Mark. Nicht ein mal gefragt hatte sie danach.
»Pa? gut auf sie auf«, sagte er kurz zu Freya und ging.
Im Garten hinter dem Hause standen die beiden russischen Gefangenen. Si« arbeiteten noch, obschon es dunkel war. Neubauer hatte das vor ein paar Tagen angeordnet. Er hatte ein Stuck rasch umgegraben haben wollen. Er hatte dort Tulpen setzen wollen.
Tulpen und etwas Petersilie, Majoran, Basilikum andere Kuchenkrauter. Er liebte Krauter am Salat und fur So?en. Das war vor ein paar Tagen gewesen. Es war eine Ewigkeit her. Verbrannte Zigarren konnte er jetzt da pflanzen. Zerschmolzenes Blei aus der Zeitung.
Die Gefangenen beugten sich uber ihre Spaten, als sie Neubauer kommen sahen. »Was habt ihr zu glotzen?« fragte er. Die Wut brach plotzlich durch. Der Altere von ihnen antwortete etwas auf russisch.
»Glotzen, habe ich gesagt! Du glotzt jetzt noch, Bolschewistenschwein! Frech sogar!
Freust dich wohl, da? das Privateigentum von ehrlichen Burgern zerstort wird, was?«
Der Russe erwiderte nichts. »Vorwarts, an die Arbeit, ihr faulen Hunde!«
Die Russen verstanden ihn nicht. Sie starrten ihn an und versuchten heraus» zufinden, was er meinte. Neubauer holte aus und gab einem von ihnen einen Tritt in den Bauch.
Der Mann fiel um und stand langsam wieder auf. Er richtete sich an seinem Spaten auf und hielt den Spaten dann in der Hand. Neubauer sah seine Augen und die Hande, die die Schaufel umfa?t hatten. Er spurte Angst, wie einen Messerstich in den Magen, und griff nach seinem Revolver.
»Lump! Widerstand leisten, was?«
Er schlug ihm den Revolvergriff zwischen die Augen. Der Russe fiel um und stand nicht mehr auf.
Neubauer atmete heftig. »Erschie?en hatte ich dich konnen«, schnaufte er. »Widerstand leisten!
Wollte den Spaten heben, um zu schlagen! Erschie?en! Zu anstandig ist man, das ist es. Ein anderer hatte ihn erschossen!« Er sah den Wachsoldaten an, der seitab stramm stand. »Erschossen hatte ihn ein anderer. Sie haben