gesehen, wie er den Spaten heben wollte.«

»Jawohl, Herr Obersturmbannfuhrer.«

»Na, schon. Los, gie?en Sie ihm eine Kanne Wasser uber den Schadel.«

Neubauer blickte auf den zweiten Russen. Der Mann grub, tief uber den Spaten gebuckt. Sein Gesicht war leer. Vom Nachbargrundstuck her bellte ein Hund wie rasend. Wasche flatterte dort im Winde. Neubauer fuhlte, da? sein Mund trocken war.

Er verlie? den Garten. Seine Hande zitterten. Was ist los? dachte er. Angst? Ich habe keine Angst.

Ich nicht! Nicht vor einem damlichen Russen. Wovor dann? Was ist los mit mir? Gar nichts ist los!

Ich bin nur zu anstandig, weiter nichts. Weber hatte den Kerl langsam totgeschlagen. Dietz hatte ihn auf der Stelle erschossen. Ich nicht. Ich bin zu sentimental, das ist mein Fehler. Das ist mein Fehler mit allem. Mit Selma auch.

Der Wagen stand drau?en. Neubauer straffte sich. »Zum neuen Parteihaus, Alfred.

Sind die Stra?en dahin frei?«

»Nur, wenn wir um die Stadt herumfahren.«

»Gut. Fahr um die Stadt herum.«

Der Wagen wendete. Neubauer sah das Gesicht des Chauffeurs. »Irgendwas passiert, Alfred?«

»Meine Mutter ist mit umgekommen.«

Neubauer ruckte unbehaglich hin und her. Auch das noch! Hundertdrei?igtausend Mark, Selmas Geschrei, und jetzt mu?te er auch noch Trost spenden. »Mein Beileid, Alfred«, sagte er knapp und militarisch, um es hinter sich zu bringen. »Schweine! Morder von Frauen und Kindern.«

»Wir haben sie auch gebombt.« Alfred sah auf die Stra?e vor sich. »Zuerst. Ich war dabei. In Warschau, Rotterdam und Coventry. Bevor ich den Schu? erhielt und entlassen wurde.«

Neubauer starrte ihn uberrascht an. Was war nur los, heute? Erst Selma und jetzt der Chauffeur!

Ging denn alles aus den Fugen?»Das war etwas anderes, Alfred«, sagte er.

»Etwas ganz anderes. Das waren strategische Notwendigkeiten. Dieses hier ist reiner Mord.«

Alfred erwiderte nichts. Er dachte an seine Mutter, an Warschau, an Rotterdam und Coventry und den fetten deutschen Luftmarschall und ri? den Wagen um die Ecke.

»Man darf nicht so denken, Alfred. Das ist schon fast Hochverrat! Verstandlich im Augenblick Ihres Schmerzes naturlich, aber verboten. Ich will es nicht gehort haben.

Befehl ist Befehl, das genugt fur unser Gewissen. Reue ist undeutsch. Falsches Denken auch. Der Fuhrer wei? schon, was er tut. Wir folgen ihm, fertig. Diesen Massenmordern wird er es schon noch heimzahlen! Doppelt und dreifach! Mit unseren geheimen Waffen! Wir kriegen sie zu Boden!

Schon jetzt beschie?en wir England Tag und Nacht mit unseren V-1 Geschossen. Wir werden die ganze Insel in Asche legen mit all den neuen Erfindungen, die wir haben. Im letzten Moment! Und Amerika dazu!

Sie mussen bezahlen! Doppelt und dreifach! Doppelt und dreifach«, wiederholte Neubauer und wurde zuversichtlich und begann selbst fast zu glauben, was er redete.

Er holte eine Zigarre aus einem Lederetui und bi? die Spitze ab. Er wollte noch weitersprechen. Er hatte plotzlich ein gro?es Bedurfnis danach – aber er schwieg, als er Alfreds zusammengepre?te Lippen sah. Wer kummert sich schon um mich, dachte er.

Jeder ist nur mit sich beschaftigt. Ich sollte zu meinem Garten vor der Stadt fahren.

Die Kaninchen, weich und flaumig, mit roten Augen in der Dammerung. Immer, schon als Junge, hatte er Kaninchen haben wollen. Sein Vater hatte es verboten. Jetzt hatte er sie. Der Geruch nach Heu und Fell und frischen Blattern. Die Geborgenheit der Knabenerinnerung. Vergessene Traume.

Manchmal war man verdammt allein.

Hundertdrei?igtausend Mark. Das Hochste, was er als Junge gehabt hatte, waren funfundsiebzig Pfennig gewesen. Zwei Tage spater hatte man sie ihm gestohlen.

Feuer um Feuer sprang auf. Es war die alte Stadt, die wie Zunder brannte. Sie bestand fast nur aus Holzhausern. Der Flu? spiegelte die Flammen, als brenne auch er.

Die Veteranen, die gehen konnten, hockten in einem schwarzen Klumpen vor der Baracke. Im roten Dunkel konnten sie sehen, da? die Maschinengewehrstande noch leer waren. Der Himmel war bedeckt; die weiche, graue Wolkenschicht war angestrahlt wie Flamingogefieder. Das Feuer funkelte selbst in den Augen der Toten, die aufeinandergeschichtet hinter ihnen lagen.

Ein leises Scharren weckte die Aufmerksamkeit von 509. Lewinskys Gesicht hob sich vom Boden.

509 atmete tief und stand auf. Er hatte auf diesen Augenblick gewartet, seit er wieder kriechen konnte. Er hatte sitzenbleiben konnen, aber er stand auf; er wollte Lewinsky zeigen, da? er gehen konnte und kein Kruppel war.

»Alles wieder in Ordnung?« fragte Lewinsky.

»Naturlich. So leicht kriegt man uns nicht kaputt.«

Lewinsky nickte. »Konnen wir irgendwo reden?«

Sie gingen auf die andere Seite des Totenhaufens. Lewinsky blickte rasch um sich.

»Die Wachen sind bei euch noch nicht zuruck -«

»Hier ist nicht viel zu bewachen. Bei uns bricht keiner aus.«

»Das meine ich. Und nachts werdet ihr nicht kontrolliert?«

»So gut wie nie.«

»Wie ist es am Tage? Kommt die SS oft in die Baracken?«

»Fast nie. Sie hat Angst vor Lausen, Dysenterie und Typhus.«

»Und euer Blockfuhrer?«

»Der kommt nur zum Appell. Kummert sich sonst wenig um uns.«

»Wie hei?t er?«

»Bolte. Scharfuhrer.«

Lewinsky nickte. »Die Blockaltesten schlafen hier nicht in den Baracken, wie? Nur die Stubenaltesten. Wie ist eurer?«

»Du hast neulich mit ihm gesprochen. Berger. Wir konnten keinen besseren haben.«

»Ist das der Arzt, der jetzt im Krematorium arbeitet?«

»Ja. Du wei?t gut Bescheid.«

»Wir haben uns danach erkundigt. Wer ist euer Blockaltester?«

»Handke. Ein Gruner. Hat vor ein paar Tagen einen von uns totgetreten.«

»Scharf?«

»Nein. Gemein. Aber er wei? wenig von uns. Hat auch Angst, sich mit irgend etwas anzustecken.

Kennt nur ein paar von uns. Die Gesichter wechseln zu schnell. Der Blockfuhrer wei? noch weniger. Die Kontrolle liegt bei den Stuben» altesten. Man kann hier allerlei machen. Das wolltest du doch wissen, wie?«

»Ja, das wollte ich wissen. Du hast mich verstanden.« Lewinsky blickte uberrascht auf das rote Dreieck auf dem Kittel von 509. Er hatte nicht so viel erwartet.

»Kommunist?« fragte er.

509 schuttelte den Kopf.

» Sozialdemokrat?«

»Nein.«

»Was denn? Irgendwas mu?t du doch sein.« 509 blickte auf. Die Haut um seine Augen war noch verfarbt von den Blutergussen.

Die Augen wurden dadurch heller; sie glanzten fast durchsichtig im Licht des Feuers, als gehorten sie nicht zu dem dunklen, demolierten Gesicht. »Ein Stuck Mensch – wenn dir das genugt.«

»Was?«

»Schon gut. Nichts.«

Lewinsky hatte einen Augenblick gestutzt. »Ach so, ein Idealist«, sagte er dann mit einer Spur gutmutiger Verachtung. »Na, meinetwegen, wie du willst. Wenn wir uns nur auf euch verlassen konnen.«

»Das konnt ihr. Auf unsere Gruppe. Die, die druben sitzen. Sie sind am langsten hier.« 509 verzog die Lippen. »Veteranen.«

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